dorn:
Wie meinst du das? Ist nicht auch gerade bei Chinesen ein langes Leben gewünscht? Wären Fisch, Meeresfrüchte und Knoblauch (wegen ihrer Wirkung gegen das schädliche Cholesterin) dann nicht ernährungswissenschaftlich sinnvoll? Ich meine, inwiefern ist das bei dir durch Nachdenken und Erfahrung als richtige Ernährungsweise für die spirituelle und menschliche Entwicklung gereift?
Langes Leben, abgesehen davon, dass wahrscheinlich die meisten Menschen aller Völker lange leben wollen, spielt in China traditionellerweise eine große Rolle. Dies verbinde ich aber (und das dürfte nicht falsch sein) eher mit dem Taoismus. Hier spielt das lange Leben eine explizite Rolle, beim chinesischen Buddhismus habe ich das derart nicht feststellen können. Zum langen Leben gehört natürlich auch die Ernährung und die Bewegung (das ist auch im Westen nichts Unbekanntes). Die ganze Langlebengseschichte ist natürlich auch mit der Chinesischen Medizin, mit Qi und Yangsheng 养生 (eine Art taoistische Wellness) verbunden.
Wenn man sich vegetarisch, und mit wenig Milchprodukten, ernährt, ist die Wahrscheinlichkeit hoher Cholesterinwerte ziemlich gering (außer man hat vielleicht eine "genetische Veranlagung" zu hohen Werten), insofern muss man auch nicht säckeweise Knoblauch essen (geringere Mengen dürften kaum eine therapeutische Wirkung haben). Ein Problem kann es nur geben, wenn Fleischesser mit hohen Cholesterinwerten in einen chinesisch-buddhistischen Tempel kommen und dort "buddhistische Speisen" serviert bekommen. Auf dem Gelände von chinesisch-buddhistischen Tempeln ist das Verzehren von Fleisch verboten, bei Zuwiderhandlung wird man rausgeschmissen, in den Restaurants gibt es natürlich nur "buddhistische" Gerichte.
Meine Eltern waren und sind katholisch, Fleischessen ist normal, für mich als Kind war das auch normal. Unglaublich normal, ich "dachte", dass sei das normalste der Welt, etwas anderes gibt es nicht. Als Jugendlicher dämmerte es mir Dank der auf mich segensreichen Wirkung der Internationalen Gesellschaft für Krishna-Bewußtsein (ISKCON) des A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada, dass Tiere schlachten und Fleischessen nicht überall und von allen praktiziert wird. Bei einem evangelischen Kirchentag in Frankfurt wurde (entweder von der ISKCON oder einer buddhistischen oder christlichen Organisation, ich weiß es nicht mehr) ein schonungslos realistischer Film über die Fleischproduktion und das Schlachten aufgeführt. Daran hafte ich bis heute. Seitdem lebe ich fast fleischlos (vielleicht fünf Kilo im Jahr, meist aufgrund "gesellschaftlicher Verpflichtungen", oder aus Blödheit). Ich nutze auch kaum Milchprodukte (außer Kuchen), aus den gleichen Gründen.
Ich habe mich schon öfters a la chinesische buddhistische Küche ernährt, und das hatte, man glaubt es vielleicht nicht, aber für mich gilt dies, wunderbare Auswirkungen (friedvollerer Geist, größere Ruhe, weniger Verschwommenheit). Auch meine fast vegane Ernährung finde ich nicht schlecht. Allerdings habe ich eine Abneigung vor Wellness, ich halte sie für obszön. Daher muss ich ab und an versinken.
Ich halte mich nicht für sentimental, dass unnötige Töten von Tieren ist mir aber suspekt. Bei wirklicher Not würde ich vielleicht selbst schlachten (habe in meinem Leben aber mit Absicht nur zwei, drei Fische gekillt und ab und zu mal ein Insekt, normalerweise schmeiße ich sie aus der Wohnung, klar, beim Autofahren, bei der Gartenarbeit usw. tötet man ständig, darüber mache ich mir keine Illusionen). Ich würde mich auch nicht als besonders friedfertigen Menschen bezeichnen, mein Naturrecht auf Selbstvereidigung würde ich bei Bedarf in Anspruch nehmen. Ich bin auch im politischen Sinne kein Pazifist - aber ich bräuchte eine Idee, ein Ideal um zu töten, derartiges habe ich derzeit (glücklicherweise) aber nicht. Ich war Marinesoldat, aber die Bundeswehr ist hohl, dafür hätte ich keiner Maus etwas zu Leide getan. Zu anderen Zeiten und unter anderen Umständen könnte ich mir aber vorstellen, Soldat der Waffen SS, ein Politkommissar der Roten Armee oder ein Aufständischer der singhalesischen ("buddhistischen") Janathā Vimukthi Peramuṇa zu sein. Schwache, Geschlagene, Unschuldige zu töten, also solche Menschen, sowie Rinder, Hunde, Hasen usw. und unnötigerweise zu töten, davon will ich mich immer fern halten. Unter Umständen ist es auch gut ohne Ideale zu leben.
Die ganze Diskussion unter Buddhisten zur Frage des Fleischkonsums kenne ich. Ich habe keine allgemeine, sondern nur eine persönliche Haltung dazu. Buddhisten, die fleischliche Nahrung zu sich nehmen sind weder besser,noch schlechter als andere. Dies gilt für alle Menschen. Fanatiker des Vegetarischen und Veganen halte ich für unweise. Die Sichtweise des chinesischen Buddhismus (also in der Praxis die Kreuzung von Chan und Jingtu, von "Zen" und Reinem Land) machte ich mir zu eigen.
Kongjiazhong