Ich kann die Frage "Kann man Mitgefühl für einen Hitler empfinden ohne an den Greultaten zu verzweifeln?" nicht wirklich nachvollziehen. Mir scheint es so, als ob es ein Tabu gäbe dies zu empfinden oder als ob wir uns aus Strafe verpflichten sollten zu hassen.
Hitler war ein Mensch wie wir alle. Und er war schräg – wie wir alle. Sicherlich etwas schräger als der Durchschnitt. Und er hatte die Gelegenheit, dass seine Schrägheit sich mit der Schrägheit vieler anderer, auch ganz unbedeutender Menschen, paaren und so zu diese unseligen Situation führen konnte. Warum sollte ich mit Hitlers Handlungen mehr hadern als mit all denen, die das dazu benutzten, um ihre "eigene Sau" rauszulassen? Ohne den Rest, die vielen aus der herrschenden Riege und den vielen Beherrschten, wäre er gar nicht derart zum Zuge gekommen. Ich müsste sehr viele hassen, wenn ich dem gerecht werden wollen würde. Bringt das der Welt irgendwas Gutes?
Und weil ich in mir auch einen kleinen Hitler und vieles andere Unschöne entdeckt habe, nicht derart ausgeprägt, aber doch in Ansätzen, ist mir da gar nix fremd. Ich weiß, dass es bei mir auf Dukkha beruht, daher kann ich den Schluss ziehen, dass es bei Hitler und seinen Anhängern ebenso war. Zudem denke ich dann ganz spontan, welch ein vergeudetes Leben es doch war, wenn eigentlich niemand wirklich um einen weint und wenn man zum Objekt des Hasses und damit zu einer neuen Quelle von Hass geworden ist. Das empfinde ich als tragisch. Ich stelle mir den Hitler als gequältes Kind vor, das er war. Denn das war er auch. Er war nicht nur das Monster. Daraus ergibt sich für mich die Dringlichkeit, sich um alle gequälten und vernachlässigten Kinder der Welt Sorgen zu machen. Das ist eine der Konsequenzen, die alle Überlegungen für mich haben, nicht, ob ich Mitgefühl empfinden darf oder nicht.
Was die Gräueltaten anbelangt … Das ist so schrecklich und unfassbar in seinen Dimensionen, dass ich mich, ehrlich gesagt, innerlich distanziere. Für mich ist das überlebenswichtig. Das tue ich schon bei "nur" einem Mord oder anderen schrecklichen Dingen zum Selbstschutz. Das trägt auch einen Hauch von Trotz, denn ich will nicht, dass diese Taten mein Leben vergiften und damit wieder einen Sieg erringen.
Mir ist es wichtig, dass ich bei mir selbst genau hingucke, wo sich meine kleinen Hitlers, Stalins, Maos verstecken, dass ich keine Angst vor ihnen habe, und mich nicht in Sicherheit wiege, dass das alles mit mir gar nichts zu tun hätte, nur weil ich eine ganz andere politische Meinung habe. Ebenso wichtig finde ich, dass mein Zorn über Ungerechtigkeit und Grausamkeit nicht zum Hass werden – oder zur Frustration oder Verbitterung führen. Denn dann drehe ich an diesem Rad des Unheils selber weiter und pflanze die Samen für den nächsten Ausbruch.
Liebe Grüße
Doris