Beiträge von Jojo im Thema „Disziplin“

    War ein paar Tage offline, deshalb die späte Antwort.
    Tut mir leid, wenn der Eindruck entstanden ist, du und die anderen hätten sich hier umsonst die Finger fusselig geschrieben.


    Der Thread ist für mich absolut inspirierend. Meiner Meinung nach war nur schon alles Wichtige gesagt. Ich war ein wenig müde geworden, weiter zu antworten in eine Richtung, in die ich gar nicht wollte (Zeremonien und so).


    Ausserdem hatte ich das Gefühl, dass es mir einfach nicht gelingt, klar zu machen, dass mein Verzicht auf Disziplinübungen nicht gleichzusetzen ist mit Verachtung von Disziplin, und warum es mir so eminent wichtig ist, auf jede explizite Disziplinübung zu verzichten.


    Dann habe ich verstanden, dass das in Ordnung ist. Manchmal kann man sich einfach nicht vollständig mitteilen. Das Schöne ist, dass ich im Zen gelernt habe, dass man in solchen Momenten nicht zu einem Konsens kommen MUSS. Man kann einfach aufhören, und die Dinge so schief lassen, wie sie sind.


    Leider habe ich mich ziemlich trottelig ausgedrückt. Tut mir leid.

    al-Nuri:

    Schließt sich das denn gegenseitig aus- mal flüssig und leicht/von innen nach außen quasi/-mal trocken, rumpelig,grummlig -? Verfassung/Haltung. Gut ist doch von beidem Kenntnis zu besitzen.


    Du arbeitest mit den Worten, die dir weiterhelfen, und ich arbeite mit den Worten, die mir weiterhelfen.
    Manchmal können andere einen inspirieren, manchmal nicht.
    Es besteht keine Notwendigkeit, zu einem Konsens zu kommen.


    Zitat

    Ich kann jetzt nicht mehr schreiben,
    denn ich begleite in einer Stunde eine rituelle Zeremonie. ;):D


    Dann mach dat mal.

    Ich versteh mich selber nicht. Mein Geschreibsel hier ist der Versuch, zu einem Verstehen zu kommen. :D

    al-Nuri:

    Ich hab das noch nicht verstanden, würde es aber gern verstehen.Bedeutet Deine letzte Antwort im Zusammenhang mit og.,daß Du nicht mehr glaubst diese Art Disziplin wird " auch von was anderem getragen "?


    In diesem Kloster: Nein.


    In diesem Kloster, scheint mir, ist diese Disziplin nur Geronnene Zeit. Fünfhundert Jahre Hauptmönch-Egos, einer nach dem anderen. Jeder macht es, wie es die Vorfahren gemacht haben, UND fügt noch eine winzig kleine Sache hinzu, DIE DIE ZEREMONIE NOCH VERBESSERN WIRD. Bis die Zeremonie dieser unmenschliche Wahnsinn ist, den wir da sehen, und in dem die Menschen DEM RICHTIGEN geopfert werden.


    Mir scheint, dass dort alle üben, das RICHTIGE zu machen. Es RICHTIG zu machen, UND es dazu NOCH BESSER zu machen. IST DAS ZEN? Wäre es nicht eher Zen, in dieser Zeremonie mal das Pult fallen zu lassen, oder laut zu schreien? Einmal, zweimal, dreimal? Was würde dann geschehen? Würde irgendwann mal irgendwer anfangen zu fragen: WAS MACHT DAS PULT HIER? Brauchen wir es? Oder würde der, der mehrfach das Pult fallen ließ, nicht eher freundlich aufgefordert, das Kloster zu verlassen? In die Küche geschickt, bestenfalls? Weil er die Show kaputt macht?


    Ich frage mich: Stellt in diesem Kloster irgendwer irgendwann irgendwem mal Fragen, außer "Wie macht man es richtig"?


    Ich möchte explizit nicht das Klosterleben ansich oder Soto-Zen ansich oder die Disziplin ansich in Frage stellen, sondern die Praxis und die Disziplin IN DIESEM KLOSTER. Dieses Kloster hatte für mich bisher immer so eine Art "Höchste-Praxis-Tempel"-Status. Eiheiji - whoooaaaahhh! Da gehen die ganz Harten hin!


    Jetzt denk ich: was für ein Schwachsinn. Unsere Praxis ist eine gute Praxis. Unsere Praxis ist eine lebendige Praxis. Unsere kleinen wackeligen Soto-basierten Rituale, die wir in unserem kleinen wackeligen Soto-Dojo praktizieren, sind gute Rituale. Weil sie zusammenbrechen, wenn einer fehlt, oder wenn einer neu ist, oder wenn einer was vergessen hat. Weil sie zusammenbrechen DÜRFEN, ohne dass irgendeine Psyche daran kaputt geht. Immer wieder. Und wenn´s mal klappt und fluppt, freuen sich alle. Wenn das Hannya Shingyo donnert, die Trommel paukt und das Glöcken pingt, weil ausnahmsweise mal alle da sind und aus vollem Herzen mitmachen.


    Ich denke, diese Zeremonien - und letztlich auch die Disziplin - bleiben nur lebendig, wenn sie immer in Frage stehen. Und das geschieht bei uns - in unserem kleinen Dojo.


    Andererseits - und hier stoße ich an meine Grenze - gäbe es unsere Rituale wohl nicht, wenn es nicht Eiheiji als Referenzpunkt gäbe. Unsere Rituale kommen von einem Mönch, der in Eiheiji gelernt hat (ein ziemlich egozentrischer Kerl übrigens, wenn ich es richtig gehört habe).


    Vielleicht kann man es so sehen: Wir haben was, was die nicht haben, und die haben was, was wir nicht haben. Daraus könnte folgen, wie Ji-un ken sagte, beides einfach nebeneinander stehen zu lassen.


    Durch diesen Film hat sich etwas für mich geändert. Und zwar: Jetzt weiß ich, dass es keinen Ort der idealen Praxis gibt. Unsere unvollkommene Praxis ist - und das ist eine gewisse Enttäuschung - eine vollständige Praxis. Es gibt keinen Ort der noch vollständigeren Praxis, zu dem wir irgendwann mal hingelangen könnten.


    Zitat

    Siehst Du nicht auch gerade einen Zusammenhang zw. der Disziplin und dem Abwerfen und Aufbrechen von Masken und Verpanzerungen ?


    Bei mir ist es umgekehrt. Erst wenn die Masken weg sind, die Verpanzerung weg ist, wird echte, richtige, lebendige und unangestrengte Disziplin möglich. Erst dann wird es möglich, dem Augenblick zu begegnen, d.h. das zu tun WAS NÖTIG IST. (Im letzten Jahr habe ich meine Panzer so deutlich kennengelernt, dass ich das jetzt mit Sicherheit so sagen kann.)


    Zitat

    Du gibts doch jetzt nicht auf-oder ?
    ( ich frage,weil du oben ganz in der Vergangenheitsform geschrieben hast )


    Nee :D
    Ich denke mal, ich fang grad erst an.

    al-Nuri:

    Du sprichst in der Vergangenheitsform ?! Hast Du etwas herausbekommen ?


    Ja, die Romantik fällt weg. Die Flitterwochen sind vorbei. Der Antrieb muss jetzt ein anderer sein.

    Ji'un Ken:

    Oder und das ist natürlich auch eine Möglichkeit, lass einfach eure Wege gleichberechtigt nebeneinander stehen.


    Das will ich tun. Ich kann nicht einfach übernehmen, was da läuft - eben weil mein Hintergrund ein anderer ist.


    Ji'un Ken:

    Vieles können wir nicht nachvollziehen, aber wir können uns davon anregen lassen unsere eigene Übung, unseren Weg, zu überdenken.

    Soto-Zen war für mich eine große Anregung. Gerade die Auseinandersetzung mit den Regeln und Ritualen (für mich alte Konventionsfeindin), die Suche nach dem Konstruktiven darin.


    Dennoch war dieser Film irgendwie ein Schock für mich.
    Das, was da läuft, geht über die Frage Rituale oder nicht weit hinaus.
    Ich hatte mir von Soto-Zen ein Bild gemacht (ja: Bild, Vorstellung, Erwartung), das mir - ohne dass mir es mir bewusst gemacht hätte - mich über die Jahre angetrieben hat.


    Gerade die Disziplin spielte in diesem Bild eine große Rolle. Weil sie mir fehlte, zog mich das an.
    Ich dachte, dass diese Zen-Disziplin von etwas anderem getragen wird, dass sie anders, lebendiger ist als die Disziplin des Selbstzwangs und des äußeren Zwangs, wie ich sie kenne. Ich wollte rauskriegen, was das ist; wie das funktioniert.


    Wie ein guter Freund mal sagte: Pass genau auf, wenn du eine Enttäuschung spürst. Da fängt es an, interessant zu werden.

    Jojo:
    al-Nuri:

    Ich verabscheue Disziplinierung und Erziehung, es sei denn sie kommt von Herzen. Das heißt auch : vom Herzgeist. Und ist dieser in mir und in anderen verschieden ? Er ist zärtlich,vergebend, weitsichtig, einsgerichtet, niemals strafend, hell. Und Du kennst ihn.


    Ja.


    Wobei, ist es denn sicher, dass im Herzgeist das (abendländisch) Herz als Sitz der Emotionen gemeint ist? Vielleicht ist damit eher Körper-Geist gemeint, so wie in Dogens "Körper-Geist-abfallen".


    Dennoch, du hast recht. Mich selbst und andere zu lenken, funktioniert am besten, wenn ich den Großmuttergeist benutze. Mit Großmuttergeist kann man ja alles schneiden, wie Butter mit nem heißen Messer. Bei mir und bei andern. Das funktioniert aber nur, wenn der Großmuttergeist auch absolut wasserdicht und 100% echt ist. Was er bei mir meistens nicht ist. Ganz tief drin bin ich oft knallhart, wütend und nicht bereit, nachzugeben.


    Ein interessantes Post. Ich erlaube mir, es für "meine Zwecke" ein bisschen zu biegen. Mit einfachen Aufzählungen kann mein Hirn besser arbeiten :D
    Besonders gefällt mir der Eingangsgedanke, dass der Buddha die Erleuchtung durch Aufgeben der Disziplin der Askese gewann.
    Das ist nur die halbe Wahrheit, denk ich mal. Er gab die Disziplin der Askese auf, und setzte sich dann 40 Tage aber sowas von auf seinen Hintern.
    Also er tauschte die Disziplin der Askese gegen die Disziplin der Aufmerksamkeit.
    Und dann äh wurde er erleuchtet.


    Denkst du, dass sich mit korrekt gebrauchter Aufmerksamkeit die Disziplin im Handeln von selbst ergeben wird, oder siehst du da keinen Zusammenhang?


    Ja, ich könnte es auch so beschreiben: Aus dem Film ist mir das Gefühl hängen geblieben, dass sich in diesem Kloster die Disziplin der Aufmerksamkeit unbemerkt in eine Disziplin der Askese zurück verwandelt hat. Nicht mal in diesem alten Mann, aber für die jungen Mönche, und auch für die Würdenträger, die sich im Hauptgebäude der Soto-Shu trafen.

    al-Nuri:

    Ich verabscheue Disziplinierung und Erziehung, es sei denn sie kommt von Herzen. Das heißt auch : vom Herzgeist. Und ist dieser in mir und in anderen verschieden ? Er ist zärtlich,vergebend, weitsichtig, einsgerichtet, niemals strafend, hell. Und Du kennst ihn.


    Ja.

    al-Nuri:

    aber mir ist nichts wesentliches dazu eingefallen, außer vielleicht, daß der Mensch es irgendwie liebt eine Formel für was zu finden


    :lol:
    danke, al-nuri.

    Ich sehe schon, außer mir hat hier niemand Probleme. :(
    Ich habe den Kopf voller Gedanken. Die gehen und gehen nicht weg.
    Ich kann nicht "just do it".
    Und meine Disziplin entwickelt sich auch mit anfänglichem Selbst-Zwang kein Stück weiter. Entweder tue ich, was getan werden muss, aber mit einem ungeheuren Kraftaufwand, von dem ich mich anschließend erst mal erholen muss. Oder ich kann mich gar nicht bewegen. Und das hat sich in all denJahren nie verändert.


    Für mich ist es sehr wichtig, zu beobachten, aus welcher Quelle sich meine Disziplin speist. Unter äußerem Druck funktioniere ich, aber mit inakzeptablen Reibungsverlusten. "Angst"-Disziplin ist Gift für mich. Die "wollende, strebende" Disziplin hat sich bei mir bisher nur - und einzig und allein dort - bei der Meditation entwickelt. Sie hat sich nicht auf mein übriges Leben übertragen.


    Nach euren Beiträgen kreist mir jetzt eine Verszeile im Kopf, die ich oft gehört habe: "wie jemand, der nachts aufwacht und ohne nachzudenken sein Kopfkissen zurechtrückt." Ich wusste nie, worauf sich das bezieht. Das hört sich unangestrengt an. So stelle ich mir richtiges Handeln vor. Ich werde bewusster beobachten, welche Hindernisse zwischen mir und dieser Unangestrengtheit liegen.

    Ja, wenn ich sage "traurig", ist das bewertend.
    Bewertungen kommen immer aus den eigenen Erfahrungen.
    Stimmt.


    Habe gestern und heute über das Thema viel nachgedacht, und mir ist etwas aufgefallen:
    Es gibt also Disziplin, die aus "Abneigung" kommt - vermeidende Disziplin - und es gibt Disziplin, die aus "Zuneigung" kommt - strebende Disziplin. Erinnert mich an die Geistesgifte "Gier und Hass".


    Die vermeidende Disziplin kenne ich, sie ist auf Dauer sehr anstrengend. So wie Abel mit seinen Heinzelmännchen. Darin habe ich mich wiedergefunden. Ich habe mir immer die zweite Art gewünscht, die strebende Disziplin, die aus dem Wollen kommt. Jetzt dämmert mir, dass auch das anstrengend sein oder werden könnte.


    Ich wünsche mir eine unangestrengte Disziplin. Eine, die aus Einsicht kommt. Manchmal entsteht sie auch. Sie kommt aus völliger Entspannung. Nach dem Sitzen bin ich manchmal in der Lage, Dinge zu erledigen, die mir vorher völlig unmöglich erschienen - einfach, weil sie erledigt werden müssen.


    Ich werde das im Auge behalten.

    Dieser Film hat mich traurig gemacht.


    Dieser alte Mann schien mir so eingesperrt. Er war ein schöner, lebendiger junger Mann gewesen, weggelaufen aus dem Kloster, weil er zur Uni gehen wollte. Und dann aus Dankbarkeit... Ich hatte das Gefühl, er war in eine Falle gelaufen. Dieses tote Gerede von Disziplin...


    Keine Frage: ohne Disziplin geht nichts. Die Frage für mich ist: wie entwickelt sich echte, lebendige Disziplin? Und was ist das - echte Disziplin?


    Als Kind wurde von mir verlangt, eine Tätigkeit zu lernen, die mit Leistungssport vergleichbar ist (kein Ballett). Ich wurde zum Üben gezwungen. Mit 10 oder 11 entschied ich mich dann, diese Tätigkeit zu meinem späteren Beruf zu machen, und mit 15 wurde ich von einer bekannten "Trainerin" angenommen. 15 Jahre ist in dieser Welt schon ganz schön alt, und ich musste mich neben der Schule voll reinhängen. Was ich auch tat. Jetzt musste mich niemand mehr zwingen. Mein Leben war von dieser Tätigkeit vollständig bestimmt. Wie im Zenkloster. In dieser Welt habe ich sehr gut funktioniert. Wie diese jungen Mönche. Es fiel mir nie schwer, die nötige Disziplin aufzubringen. Es war eigentlich wunderbar.


    Dann fiel alles auseinander. Leider war ich nicht gut genug, die globale Konkurrenz war schon spürbar. Ich wurde ständig krank. Kurz gesagt, die Sache ging voll in die Hose. Ich musste raus aus dieser Welt, in die normale Welt.


    Und bums, war meine Disziplin im Eimer.


    Das war nicht wegen ein bisschen Depression, sondern es lag ganz genau exakt daran, dass ich in dieses Uhrwerk hineindressiert worden war, und nur als Teil dieses Uhrwerks funktionieren konnte.


    Deshalb frage ich mich: Ist das, was diese Jungs in diesem Kloster da lernen, Disziplin? Oder ist es schlicht und einfach wie das Teil eines Uhrwerks funktionieren? Ich finde das tot. In meinen Augen hat das mit echter Disziplin nichts zu tun.

    Im Zusammenhang mit dem Arte-Film über den Abt des Eiheiji ist bei mir die Frage nach der Rolle der Disziplin entstanden. Ich werde später mehr zu meinen Erfahrungen damit schreiben. Ich würde gern erfahren, was andere dazu denken, wie sie damit umgehen, und deshalb als Anregung ein paar Fragen stellen:
    Welche Rolle schreibt ihr der Disziplin in der Praxis zu?
    Woher kommt Eure Disziplin?
    Wie entwickelt Ihr Eure Disziplin?
    In welchem Verhältnis stehen bei Euch innere Disziplin (Wollen) und äußere Disziplin (Müssen)?
    Wie wirkt sich die (Veränderung der?) Disziplin in eurer Praxis und in Eurem Alltag aus?
    Vielleicht gibt es noch mehr fragen, die mir gerade nicht einfallen.