ZitatAlles anzeigenWenn eine Kutsche in ihre Teile zerlegt wird, und man zeigt einem Menschen nacheinander die Teile, jedesmal mit der Frage Ist dies eine Kutsche?, so ist es offensichtlich, daß er jedesmal Nein sagen wird. Und wenn man diese Teile zu einem Haufen auftürmt und man ihm den Haufen zeigt, dann wird er ebenfalls sagen, da sei keine Kutsche. Wenn man ihn schließlich fragt, ob er von diesen Teilen abgesehen irgendeine Kutsche sehe, wird er immer noch Nein sagen. Aber nun einmal angenommen, man zeigt ihm diese Teile, auf eine Weise zusammengebaut, daß das Ganze benutzt werden kann, um einen Menschen von Ort zu Ort zu befördern; wenn er gefragt wird, wird er zweifellos behaupten, daß da eine Kutsche ist, daß die Kutsche existiert. Dem Argument zufolge sprach der Mann im konventionellen Sinne, als er die Existenz der Kutsche behauptete, und im höchsten Sinne, als er sie abstritt. Aber ganz offensichtlich benutzt der Mensch (der keine Übung in solchen Subtilitäten hat) die ganze Zeit gewöhnliche, konventionelle Sprache; und der Grund für den Unterschied zwischen seinen beiden Aussagen findet sich in der Tatsache, daß ihm bei einer Gelegenheit eine Kutsche gezeigt wurde, und bei den anderen Gelegenheiten nicht.
Wenn eine Kutsche in ihre Teile zerlegt wird (selbst in der Vorstellung), hört sie auf, eine Kutsche zu sein; denn eine Kutsche ist, genau gesagt, ein Fahrzeug, und ein Haufen von Komponenten ist kein Fahrzeug - es ist ein Haufen von Komponenten. (Wenn man dem Menschen einen Haufen von Komponenten zeigt und fragt Ist dies ein Haufen von Komponenten?, so wird er Ja sagen.) Mit anderen Worten, eine Kutsche ist ganz gewiß eine Verbindung von Teilen, aber es ist eine Verbindung von Teilen in einem bestimmten funktionellen Arrangement; und dieses Arrangement zu verändern bedeutet, die Kutsche zu zerstören. Es ist nicht besonders verwunderlich, daß keine Kutsche zu finden ist, wenn wir sie vorsichtshalber zerstört haben, bevor wir anfangen, nach ihr zu suchen. Wenn ein Mensch eine funktionierende Kutsche sieht und sagt Im höchsten Sinne ist da keine Kutsche; denn es ist nur eine Verbindung von Teilen, dann sagt er damit lediglich Es ist möglich, diese Kutsche in ihre Teile zu zerlegen und diese zu einem Haufen aufzutürmen; und wenn das geschehen ist, gibt es keine Kutsche mehr.
Das Argument zeigt also nicht die Nicht-Existenz der Kutsche; bestenfalls bestätigt es, daß eine existierende Kutsche zerstört werden kann. Und wenn es auf ein Individuum (also ein Set von fünf Daseinsgruppen) angewendet wird, ist es sogar noch weniger gültig; denn es zeigt nicht nur die Nicht-Existenz des Individuums nicht, sondern da das funktionelle Arrangement der fünf Daseinsgruppen nicht geändert werden kann, nicht einmal in der Vorstellung, behauptet es eine Unmöglichkeit, daß ein existierendes Individuum zerstört werden kann. Auf ein Individuum (oder ein Wesen) angewendet, läuft das Argument in einen Widerspruch; und von einem Individuum zu sagen "Im höchsten Sinne ist da kein Individuum; denn es ist eine bloße Verbindung von Teilen", bleibt unverständlich.
Der Ursprung von paramattha sacca
Was ist nun der Grund für dieses Argument? Warum ist diese Idee von der Wahrheit im höchsten Sinne erfunden worden? Den Schlüssel zur Antwort finden wir in der Visuddhimagga. Dieses Werk zitiert die letzten vier Zeilen (5 bis 8 ) und wiederholt dann im Wesentlichen das Argument der Milindapanha, wobei es sowohl das Wort Wesen (satta), als auch das Wort Individuum (puggala) benutzt. Es fährt dann allerdings fort und macht deutlich, was in den Milindapanha nur implizit zu finden ist, nämlich, daß der Zweck dieses Arguments darin bestehe, den (Ich) bin-Dünkel (asmimana) zu beseitigen: wenn man sieht, daß im höchsten Sinne (paramatthato), kein Wesen existiert, dann gibt es keine Grundlage für die Vorstellung, daß ich existiere. Dies gestattet uns zu verstehen, warum man das Gefühl hatte, das Argument sei notwendig. Der nicht unterrichtete Weltling identifiziert sich mit dem Individuum oder dem Wesen, das er darüberhinaus als Selbst betrachtet. Er lernt allerdings, daß der Buddha gesagt hat, daß wahrhaftig und tatsächlich kein Selbst und was einem Selbst gehört zu finden ist. Da er sich kein Individuum vorstellen kann, außer in der Form eines Selbst, findet er, daß er, um das Selbst abzuschaffen, das Individuum abschaffen muß; und das tut er mit Hilfe dieses Kunstgriffs. Aber dieser Kunstgriff schafft gar nichts ab, wie wir gesehen haben. Es ist bemerkenswert, daß die Passage in den Milindapanha ein Selbst überhaupt nicht erwähnt: die Identifikation von Selbst mit dem Individuum wird als so selbstverständlich hingenommen, daß man - sobald feststeht, daß es im höchsten Sinne gar kein Individuum gibt - keine weitere Diskussion für notwendig hält.
Die nicht gerade geringste der Gefahren in dieser oberflächlichen und trugschlüssigen Idee von der Wahrheit im höchsten Sinne liegt in dem Vermögen, den unreflektiert akzeptierenden Geist in falscher Sicherheit zu wiegen. Der unvorsichtige Denker gelangt dahin zu glauben, er verstünde das, was er in Wirklichkeit nicht versteht, und er blockiert so wirkungsvoll seinen eigenen Fortschritt.
Quelle: http://www.dhamma-dana.de/buec…die_absolute_wahrheit.htm