Das hat mir doch keine Ruhe gelassen. Vorsicht, echt lang (ich hab gerade Ferien).
diamant:
Der Körper begibt sich nämlich nach meiner Beobachtung weltweit, wo die Leute sich hinsetzen, bevorzugt in eine entspannte Haltung (...) Aus diesem Grund kann einer auch länger im Sessel sitzen als im Zazen.
Ist das so? Hast du mal 40 Minuten bewegungslos im Sessel gesessen, ohne deine Position zu verändern?
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Ich danke Dir für Deine ausführliche Beschreibung. Denke jedoch, dass du einem Irrtum aufsitzt, was andere Übende angeht. Auch die Leute, die seit 30 Jahren Zazen machen, erleben dabei körperliche Pein. Selbst die ernannten Meister oder "Erwachten". Die lässt nur nach, weil sie sich eben an diese Form der Haltung gewöhnen und gleichzeitig ihre Duldsamkeit erhöhen. Der Leiter von Eisenbuch musste sich, wie man mir vor Jahren sagte, einer Knieoperation unterziehen. Wie krummbuckelig der uralte Abt des Eiheiji aussah, habe ich ja schon mal schmunzelnd kommentiert.
Ja, ich denke, dass viele Japaner (und ihre westlichen Schüler) beim Zazen rücksichtslos mit ihrem Körper umgehen. Da hat die Kultur die Übung überformt. Ich selbst musste eine Zeit lang ziemlich offensiv meine Übungsweise gegen einen Lehrer verteidigen, der aus der Soto-Tradition kommt, und in dessen Sangha ich seit Jahren sitze (ich habe bei ihm angefangen, und ein Wechsel lohnt sich nicht, andere - für mich geographisch erreichbare - Lehrer sind auch nicht anders). Das ging so weit, dass ich dem Kyosaku-Mann androhte, aufzuspringen und ihm eine runterzuhauen, wenn er bei seiner Runde noch mal versucht, mich zu "korrigieren". Danach haben sie mich bei den Übungsperioden in Ruhe gelassen.
Inzwischen, zwei Jahre später, spricht dieser Lehrer selber davon, dass man den Körper nicht in die Haltung hineinzwingen darf, dass sie sich entwickeln muss. Aber er benutzt immer noch ein aggressives, aktionsorientiertes Vokabular (drücken, pressen, stoßen), das für Anfänger vollkommen falsche Signale setzt. Ich ignoriere das.
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Natürlich kenne ich diese Augenblicke, wo der "Sitzschmerz" völlig überraschend mittendrin abfällt. Das ist in der Tat erstaunlich.
Wenn es erstaunlich und überraschend bleibt, hast du noch nicht durchschaut, wie der Schmerz entsteht, und was die Basis für die Veränderung schafft. Wenn du DAS durchschaust, kommst du weiter.
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Den Unterschied zwischen "Körper durcharbeiten" und "Betrachten des Geistes" kann ich so nicht unterschreiben. Wenn ich Schmerzen beim Zazen habe, tauchen die doch auch im Geiste auf, ansonsten gibt es auch nichts durchzuarbeiten.
Ein sehr guter Chan-Lehrer, der leider in den USA lebt und dessen Retreats ich daher nicht besuchen kann, hat mir mal was bestätigt, worauf ich durch Zufall und intuitiv gekommen bin, und DAS ist meiner Meinung nach entscheidend: das allererste, womit du übst, ist der Körper. NICHT mit den Gedanken, die zum Körpergeschehen entstehen.
Die Schmerzen selbst tauchen also nicht im Geist auf, sondern im Geist tauchen Gedanken zu diesen Schmerzen auf. Das ist etwas völlig anderes als die Schmerzen selbst. Diese Unterscheidung ist die absolute Grundlage für eine richtige Praxis.
Was geschehen muss, ist: Die Aufmerksamkeit bleibt auf der sensorischen Ebene, der Fokus bleibt strikt bei den sensorischen Ereignissen ("sensate level, visceral phenomena"). Gedanken dazu sind natürlich da, sie brabbeln im Hintergrund und man braucht sich nicht mit ihnen zu beschäftigen - außer aufzupassen, dass sie nicht diie Oberhand übernehmen. Sie KÖNNEN nicht aufhören. Erst wenn der Körper zur Ruhe gekommen und vollkommen entspannt ist, kommen auch die Gedanken zur Ruhe - und das kann lange dauern.
Bis dahin gilt: Die Gedanken zu betrachten, auch wenn es Kommentargedanken zum Körpergeschehen sind, heißt, NICHT mit voller Aufmerksamkeit beim Körper zu sein. Und das führt dazu, dass man seine körperlichen Probleme nicht vollständig wahrnimmt, und nicht angemessen damit umgeht. Und das wiederum führt im schlechtesten Fall zu gewaltsamem Sitzen mit daraus folgenden Verletzungen, und im besten Fall dazu, dass man seine Sitzperioden auf eine so kurze Dauer beschränkt, dass nichts kaputt geht.
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Wer sich deshalb in Zazen setzt, schafft also physische Pein, wo gar keine sein müsste, und behauptet, sie würde prophylaktisch anderer Pein vorbeugen. Dann ist Zazen tatsächlich ein "um ... zu", eine Art Physiotherapie. Die aber sicher zu den schlechteren gehört, weil sie an anderer Stelle den Körper wie gesagt auch belastet.
Wer sich in Zazen setzt und richtig übt (und das herauszufinden ist zugegebenermaßen nicht einfach), schafft keine physische Pein, sondern macht bereits existierende psychophysische Pein wie unter einem Vergrößerungsglas sichtbar, bevor sie sich z.B. im Alltag z.B. als körperliche Einschränkung manifestieren kann. Er hört auf, jedem Pipi auszuweichen, und das führt auf Dauer zu überraschenden Veränderungen.
Wenn man das lange und sorgfältig genug übt, kommt man auch zu der Identität von emotionaler Pein und physischer Pein, und schließlich zu der Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen Gedanken und Körper. Und das geht über Physiotherapie weit hinaus. Wahrscheinlich geht´s da noch weiter, aber davon habe ich im Moment noch keine Ahnung.
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Die eigentliche Zenübung in deinem Sinne, also das Betrachten des Geistes, kommt erst, wenn der Körper im Wesentlichen durchgearbeitet ("durchschaut, durchfühlt") ist.
Dieser Satz bietet mir die Gelegenheit, mein Verständnis oder meine Erfahrung zusammenzufassen. Zazen ist eine gute Sache. Meditation an sich ist empfehlenswert. Aber ich glaube fest, dass unser Körper uns wesentlich beschränkt und bestimmt, inclusive natürlich unseres Gehirns. Wir können da machen, was wir wollen, es wird der Körper sein, der unser Leben beendet, nicht der Geist. Deshalb ist das Betrachten des Geistes - abgesehen davon, dass es eine Hirnübung ist - nicht wesentlich von einer Körperübung abhängig.
Ja. Und nein. Richtig, unser Körper beschränkt und bestimmt uns. Und genau deshalb ist das Betrachten des Geistes zu 100% vom Körper abhängig.
Zum Einen sind wir uns in der Regel nicht dessen bewusst, wie stark unser Körperzustand unser Denken - sei es begrifflich oder sonstwie - determiniert. Beispiel: Dieselbe Situation wird für uns völlig unterschiedliche Bedeutung haben, je nachdem ob wir entspannt oder verspannt sind. Wenn wir verspannt sind, ohne das zu merken (was die Norm ist), entsteht daraus in der Regel Fehlwahrnehmung, Fehlbeurteilung, und auf Dauer ein unangemessenes Weltbild, ein Set von unangemessenen Handlungsmustern. Solange das nicht übermäßig dysfunktional ist, fällt uns das überhaupt nicht auf. Wir halten das für normal, und nennen es Charakter oder Persönlichkeit.
Dies vollständig zu durchschauen ist einer der wichtigsten Zwecke der Übung. Und das kann Jahre und Jahrzehnte dauern. Dass man diese Übung (in vitro) auch in komplexere Situationen (in vivo) übertragen will und soll, ist irgendwie klar. Wenn man mit der in-vitro-Übung aber zu früh aufhört, macht man sich was vor. Die interessante Frage ist nun: wann ist zu früh?
Zum Zweiten: was betrachtet denn da den Geist? Betrachtet etwa der Geist den Geist? Wenn du das denkst, dann denkst du nur, du betrachtest - in Wirklichkeit denkst du aber. Denn das wäre nur ein Aneinanderreihen von Gedanken: Gedanke A, darauf folgt Betrachtungsgedanke A1, darauf folgt Gedanke B, darauf folgt Betrachtungsgedanke B1 und so weiter. Diese Art von "Betrachtung" bringt überhaupt nichts - sie ist einfach Fortsetzen des Denkens mit anderem Inhalt.
Dazu muss ich nicht Buddhist werden, das machen die Christen auch, und jeder Atheist, der einem humanistischen Ideal folgt. Also, was ist Betrachten, und was ist es, das da betrachtet? Kommt das Betrachten aus dem Körper? Wenn ich mir diese Fragen stelle, will ich automatisch Körper und Geist in eine ruhige, möglichst unkomplexe Situation bringen - einfach damit ich genauer sehen kann, was da vor sich geht.
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Was Huineng also lehrte, ist für mich, dass es keines "formalisierten Körpers" bedarf, diesen Geist zu üben. Wenn der Körper bei Huineng eine Rolle spielt, dann als im Alltag "tätiger" Geist, also indem er das umsetzt, was der Geist erkannt hat oder was ein Loslassen der anhaftenden Gedanken widerspiegelt.
Es wäre interessant zu sehen, ob Huineng wirklich eine solche Körper-Geist-Beziehung postuliert, wie du sie hier darlegst, nämlich dass der Körper ein Vehikel für den darin wohnenden Geist ist. Was ja eher ein Descarte´sches Modell ist - richtig (Schulwissen :()?
Mein Fazit bleibt also: Nach allem, was ich aus Eurer Diskussion verstanden habe, postuliert Huineng lediglich, dass eine formalisierte Praxis ohne rechte Aufmerksamkeit zwecklos ist, und dass sich die Praxis nicht auf die formalisierte Praxis beschränkt.