Beiträge von void im Thema „Dekonstruktion“

    Ich denke noch über den Begriff der Dekonstruktion nach. In dem Buch "Zen-Buddhismus und Psychoanalyse" das ja von Erich Fromm und D. T.Suzuki verfasst wurde, geht Suzuki darauf ein, was für ihn der Unterschied zwischen westlcher und östlicher Herangehnsweise ist. Dazu nimmt er ein Gedicht von Basho als Anlass:


      Yoku mireba
      Nazuna hana saku
      Kakine kana!


      Wenn ich aufmerksam schaue,
      Seh' ich die Nazuna
      An der Hecke blühen!


      Basho pflückt die Blume nicht, er betrachtet sie nur. Er lässt ein Ausrufungszeichen alles sagen. Im Vergleich dazu pflückt der westliche Dichter Tenneyson in ähnlicher Situation die Blume, um sie seinem analytisch-sezierenden Verstand einzuverleiben. Natürlich ist Tenneyson nicht typisch für alle westlichen Dichter - ein Goethe hätte die Blume vielleicht nicht gepflückt -, doch ist seine aktive und analytische Annäherungsweise typisch für westliche Rationalität. Er will die Blume verstehen, doch tötet er sie, indem er sie pflückt. Rezension


    Natürlich ist diese Gegenüberstellung, wenn man näher drüber nachdenkt, eher zweifelhaft. Auch beim Ikebana werden ja Blumen durchaus geschnitten. Und Suzuki erzählt manchmal so Sachen, die eher so aus seinem theosophische Hintergrund und damit der westlchen, romantische Tradition selbst kommen. Aber selbst wenn man das abzieht, scheint mir das viel über das Thema dieses Thread ausgesagt zu sein.


    Auf der einen Seite ist da die analytische Zerlegung/Dekonstruktion, die die "Ganzheit" Blume in ihre Teile auflöst. Auch die buddhitische Aufzeigen der Leerheit "dekonstruiert" die Blume aber eben nicht so sehr hin auf die Teile. Sondern daraufhin, dass die Blume nicht aus sich besteht sondern aus einem größeren Kontext heraas aufscheint.


    Es wird ja betont, dass Zen eine "integrale Praxis" ist. Deswegen ist das auf aufgelöst wird, immer nur das was die Dinge scheinbar trennt. Von daher ist die Richtung eine andere. Analytisch kommt man vom Ding zum Teil. Während man über die Betrachtung der Leerheit vom Ding zum Grossen und Ganzen kommt, aus dem es sich ergibt.


    Wobei zu Fragen ist, ob das was Derrida mit "Dekonstruktion" bezeichnet, wirklich eher was "westlich/analystisches" ist?

    Doris Rasevic-Benz:

    Wenn Du nachvollziehst, wo Du den Schlüssel verlegt haben könntest, dann "re-konstruierst" Du was. Du baust gedanklich Deine Stationen nach.


    "Dekonstruieren" tust Du, wenn Du den Baum analysierst:
    Stamm, Wurzel, Blätter, Adern, Zellen, Mitochondrien, Samen usw.
    Und da kannst Du Dich dann fragen: Was davon ist der Baum? Und wann ist es kein Baum mehr? Ist es kein Baum mehr, wenn die Samen fehlen? Oder muss ein Stamm da sein? Was ist mit Bäumen, die aus vielen Ästen bestehen, ohne Hauptstamm? Ist eine Wurzel allein noch ein Baum? Ist ein Blatt allein ein Baum? Ist ein Baum ohne Blatt noch ein Baum? …


    Aber gibt es nicht gerade bei euch tibetischen Buddhisten analytische Meditationen die genau so vorgehen?
    Um von der Idee eines "Baums an sich" zu der Idee zu gelangen, dass Baum etwas zutiefst von anderem bedingtes (also leer) ist?

    blue_aprico:

    Gehn wir mal von MU aus, so bezeichnet MU nicht ( einseitig ) Verneinung bzw. Nicht(s). Nichts ist. Dekonstruktion zielt zwar auf Auflösung, will sie aber erzwingen ( daher auch diese hübschen Worte: zerschlagen, brechen, auslöschen, all das ); es ist ein konzeptuell-kontemplierend geistiges Vor-Gehen ( "den Geist mit dem Geist anwenden " ) Im Zen würde man daher vom "( sich ) vorantragen" sprechen. Eine ( zu ) dualistische Anschauung von Form und Leerheit ist die Ursache. Der Techniker geht davon aus dass Form zu negativieren ist. Das Wort ist deswegen ungünstig, da es ( eben ) von "Konstrukt" aus geht. Von einem "Machwerk". Die Dinge "fließen" aber, sie sind eher wie Nebelschwaden, sie "erscheinen und vergehen", ursachenlos und anatta. Worte ( Gedankengänge) sind mit Bildern ( Assoziationen )verknüpft, es können schon daher keine ( unabhängigen ) Konstrukte sein. Dies ist eben eine technische Sprache, eine des Sektierens, die die "universelle Dimension" ( der Welt, der Natur, des Wesens, des Dharma ) nicht erahnt - und nicht vermitteln kann.


    Super geschrieben. Vielen Dank!


    Dekonstruktion würde dann eine Geisteshaltung entsprechen, die an einem falschen Konzept von "Leerheit" haftet, das einseitig negativ ausgerichtet ist.

    blue_aprico:

    Wenn man schon vom Dekonstruieren spricht, dann wenigstens vom "dekonstruieren LASSEN". Alles andere ist Technik, Eingriff. Im Zen kommt das Wort nicht vor, außer es schreibt mal ein ausgemachter Systematiker.


    Kann man den Buddhismus nicht so auffassen, dass es um die Dekonstruktion der Idee eines inhärent existenten Selbst geht? Und im Herzsutra jedes "Mu" als eine Dekonstruktion sehen? Wo nach und nach jeder Schleier zerissen wird, der sich vor die Wirklichkeit schiebt.


    Oder warum genau ist das Wort hier total unpassend?

    Ih habe den Wiki Artikel über Derrida gelesen, auf den der Begriff "Dekonstruktion" zurückgeht. Für ihn ist die Sprache ist mit ihren Kategorien ein Instrument der Herrschaft. Sie tranportiert "Unterscheidungen" bei der die einen aufgewertet und die anderen entwertet wird. ( Geist vs. Körper, Natur vs. Kultur, Mensch vs. Tier)


    Ich verstehe es so, dass Dekonstruktuion bedeutet, diese Machtverhältnisse ( z.B die Idee ein Tier als ein "Ding" zu sehen) anzugreifen, indem man in der Sprache aufzeigt, wie sie konstruiert werden. Derrida sieht "kategorische Prinzipien" stets als ein „ein Instrument zur Beherrschung des Anderen“. Von daher ist es nur ein kleiner Schritt hin, dass man die Sprache und ihre Konzepte selber als was zutefst problematisches sieht. Und denkt, dass es gut ist möglichst viele Konzepte ad absurdum zu führen.


    Dabei schliesst man aus, das Konzepte an anderer Stelle hilfreich und nützlich sind.


    Und man gerät leicht in ein Denken wo man glaubt, dass die Probelme innerhalb der Sprache liegen. Und die Machtverhältnisse dort erzeugt und behoben werden können. Indem man z.B so eine ganz politisch korrekte Gender-Sprache spricht um ja niemand zu diskriminieren.


    Ich denke, dass es eine Schnittmenge zwischen "Dekonstruktion" und dem buddhitischen Abschütteln des Ansichtenjochs gibt. Insofern auch der Buddhismus gklaubt, dass es ungute Konezpte gibt, die man loswerden sollte. Ein wichtiger Unterscheid ist aber, dass im Buddhismus nicht alle Konzepte grundsätzlich in Frage gestellt werden. Und auch, dass das Haupproblem nicht auf der Ebene von Sprache liegt. Sondern bei gier, Hass und Verblendung die sich eben auch in gefährlichen Ansichten äußern können.

    nibbuti:


    "Bei wem Gedanken gänzlich ausgequalmt,
    das Inn're ohne Rest zur Ruh' gebracht,
    dies Band gelöst, formfrei die Wahrnehmung, [arūpasaññī]
    vier Joche los - nie wird er mehr geboren."



    Ist das Ausqualem (der Begriff gefällt mir sehr) der Gedanken eine Dekonstruktion?


    Einerseits doch schon. Weil Gedankenkonstrukte als leer erkannt und abgelegt werden.


    Andererseits aber auch nicht.


    Man schmeisst die Hirn-Legoburg nicht um, sondern geht aus dem Zimmer.


    Als leer erkannt muss nichts umgeworfen werden.

    Thursday:


    Der Artikel beschreibt, wie religiöse Konzepte aufgebaut und abgebaut werden. Zen ist auch ein religiöses Konzept. Um es aufzubauen, muss erst anderes abgebaut werden. Erst müssen die antiken Ruinen gesprengt werden oder mühselig abgetragen werden und dann kannste wieder was neues aufbauen. Wie schon mein Vorschreiber sagte - auch Zen ist Konzept.
    Das wirkliche Problem besteht darin, dass wir IMMER in und mit Konzepten leben - es geht garnicht anders. Und wenn man das sieht, dann macht man nicht mehr so einen Bohej um Zen.


    Mit fällt dazu ein, dass die Nazis beim Münchener "Haus der Kunst" das Dachfries deswegen leer liese, um damit auszudrücken, dass sie quasi über und jenseits der Geschichte stehen. Die anderen Kulturen - so war wohl die Denkweise - haben bei ihren Dachfriesen Elemente, die die jeweilige Zeit und Zivilsation ausdrücken, während sie ja quasi das Ende der Geschichte sind. Wir - so ihre Arroganz - sind die, die die nicht bedingt sind sondern das alles hinter sich lassen. Alles reine Zeitgemäße ist dekonstruiert und wie strahlen in totalitärer Überzeitlichkeit.


    Das Arrogante an dieser Denke, ist zu denken, dass man sich indem man alles "dekonstruiert" aus dem Spiel auf so eine Meta-Position katapuliert. So als wäre ein leerer Dacxhfries nicht auch einfach nur ein Dachfries neben anderen Gestaltungsmöglichkeiten.


    So habe ich dich verstanden: Jeder Dekonstruieren ist ein Konstruieren. Und so bringt einen ein Dekonstruieren nie grundsätzlich wo anders hin.

    blue_aprico:

    Dekonstruktivismus ist kein Zen.


    Kannst du mal genau erklären, was du mit Dekonstruktivismus meinst?


    Thursday:

    Das nennt sich auch nicht Dekonstruktion sondern Dereification
    http://www.thezensite.com/ZenE…tion_in_Zen_Buddhism.html


    Ich habe den Artikel so verstanden, dass es darin um "Verdinglichung" (Reification) im marxistischen Sinne geht. Verdinglichung ist ja nach Marx der Grund für Entfremdung. Sie besteht darin, bestimmte Sachen (Arbeit, Geld, Rang) als "reale Dinge" zu sehen, obwohl sie doch in Wirklichkeit gesellschaftlich nur konstruiert sind. Um diese Illusionen aufzuösen, ist es wichtig, die Ding wieder ihrer gesellschatlichen Bedingtheit zu sehen.( .. und dadurch die Freheit zu gewinnen, gesellschaftlich ganz anders zu konstruieren)


    Nachdem die Autoren solche profunden Kennern der Zen Tradition wie Alan Watts gelesen haben, dass es auch bei Nagarjuna um "Enstehen in Abhängigkeit" geht, denken sie den Zen Begriff auf den marxistischen Begriff zurückführen zu können. Und damit eine soziologische Herangehensweise zum Zen zu erschliessen.


    Das ist natürlich viel zu kurz gegriffen. Weil "Enstehen in Abhängigkeit" die Dinge nicht nur hin auf ihre gesellschaftliche Bedingtheit sieht sondern noch viel weiter dekonstruiert.

    Indem er in seinem Tetralemma keine postiven, "deutenden" Aussagen über Befreiung (Befreiung ist so und so) machte, sondern sich darauf beschränkte, falsche Ansichten zu zerschlagen, hatte Nagarjuna doch ein klar dekonstrukivistisches Vorgehen.


    Du liegst aber insfofern richtig, als Zen nicht bei der Dekonstruktion stehen bleiben darf.


    Aber doch nicht in Richtung einer "Deutung", sondern in Richtung einer lebendigen Praxis.