Der Punkt ist, dass ein nach dem Vinaya ordinierter Meister wie Ju-ching, der zudem den Satz der 48 bodhisattva-Gelübde pflegte, wohl kaum einem Mann wie Dogen das Dharma-Erbe übertragen hätte, wenn dieser nicht in China seine Ordination im Vinaya nachgeholt hätte. Tatsächlich hat auch schon Eisai, den Dogen ja ausdrücklich lobt und unter dessen Schüler Myozen er studierte, den Vinaya vollumfänglich eingefordert. Dogen hat sich also nicht nur offensichtlich von Ju-ching, sondern auch vom Tendai und Eisai gleich mehrfach distanziert:
1) Dogen lehrte Ejo, die wesentliche Lehre (shû, chin. tsung) des Zen sei die Sitzmeditation. Er sagte sogar, es sei falsch, das Wesentliche des Zen einzig im Befolgen der Regeln zu suchen. Dogen gab an, frühere Schüler Eisais in ihrem wörtlichen Verständnis der Gebote korrigiert zu haben.
2) Dogen betonte wiederholt, dass alle drei Aspekte der buddhistischen Lehre (Gebote/Regeln, Meditation, Weisheit) gleichzeitig im Akt der Zenmeditation verwirklicht würden: "Wenn man in zazen sitzt, welche Gebote würden da nicht befolgt, an welchen Tugenden würde es da mangeln?"
3) Dogen wies die Autorität des Shibunritsu (Vinaya) ausdrücklich zurück. Der Weg der Erleuchtung (bendô) könne nicht den Praktiken des Hinayana ähneln, der aus den Vorschriften des Vinaya bestünde.
4) Dogen sagte auch, das Befolgen der Hinayana-Regeln bedeute ein Verletzen der Bodhisattva-Gelübde. Dies sei die wahre Lehre Buddhas. Die Regeln, die sowohl im Hinayana wie im Mahayana vorhanden seien (etwa die gegen das Töten) würden sich unterscheiden wie Himmel und Erde.
5) Dogen hielt Klosterregeln für wichtiger als den Vinaya. Die Bedeutung der Regeln läge in ihrer Macht, neue Mönche zu ordinieren, dorch ihr wahrer Ausdruck geschehe im Alltag des Klosterlebens. Das Beachten der Gebote wurde so zu einer Übereinstimmung im täglichen Verhalten (anri), wie es von den Zen-Patriarchen etabliert worden sei. Selbst einer, der nie ordiniert würde oder die Regeln verletze, könne nicht von der Zen-Praxis ausgeschlossen werden.
Alle Quellen in William Bodiford: Soto Zen in Medieval Japan. Honolulu 1993. (Hier wiedergegeben S. 168f.)
Alles, was in den fünf Punkten wiedergegeben wurde, stammt von BODIFORD, nicht von mir (darum auch der wiederholte Konjunktiv, um aufzuzeigen, dass ich Bodiford zitiere). Es handelt sich dabei nicht um meine Interpretation.