Sudhana:
Tai:
Wie ich die Zen-Lehre verstehe, ist es tatsächlich so gemeint, dass Gedanken ihrem Wesen nach illusorisch, weil etwas Vorgestelltes sind und im Zen keineswegs eine dualitäre Unterscheidung zwischen täuschenden Gedanken auf der einen und wahrhaftigen Gedanken auf der anderen Seite errichtet werden sollte.
Das mit dem infiniten Regress hast Du jetzt aber nicht wirklich verstanden, oder? Wenn das tatsächlich "so gemeint" ist, wie Du die "Zen-Lehre" verstehst - ist das "so gemeinte" nicht auch ein Gedanke? Und ist dieser dann nicht auch seinem "Wesen nach illusorisch, weil etwas Vorgestelltes"? Wenn er aber rein illusorisch und nur eine Vorstellung ist - was ist dann von seiner Aussage zu halten?
Hallo Sudhana,
das Problem beim Paradoxon des Epidemis ist doch: Sobald du dich auch nur verstehend auf die Fragestellung einlässt, geschieht dies zwangsläufig unter der Prämisse, dass Gedanken nicht-illusorisch seien (denn sonst wäre jedes gedankliche Erfassen des Sachverhaltes ja schon in sich sinnlos). Umso mehr gilt dies, wenn du dann noch zum einen oder anderen Ergebnis kommst, den aufgeworfenen Gegensatz auf einere höheren Ebene relativierst oder die Fragestellung als solche kommentierst (wie ich das hier gerade tue). Selbstverständlich ist die Aussage Gedanken seien ihrem Wesen nach illusionär, weil etwas Vorgestelltes, das mit dem was da vorgestellt wird, nicht identisch ist aus genau diesem Grunde ein gewisser Widerspruch in sich selbst. Nur lässt sich andersherum der These, Gedanken seien ihrem Wesen nach illusorisch, auf gedanklichem Wege nicht wirklich sinnvoll näherkommen. Innerhalb des in sich geschlossenen Systems des begrifflichen Denkens kann eine solche Aussage also nichts anderes sein als ein Fingerzeig auf eine Haltung, die über die Grundprämisse dieses Systems hinausweist.
Ohne mich hier auch nur entfernt mit den Patriarchen, mit Hanshan Dequin oder anderen großartigen Zen-Meistern gleichsetzen zu wollen, sei trotzdem kurz darauf hingewiesen, dass all deren Äußerungen unter demselben Dilemma leiden. Die noch erhaltenen Koans und Kommentare zu Koans legen ein beredtes Zeugnis davon ab, wie sich diese Meister gegenseitig dafür verspottet haben, sich im Sinne solcher Fingerzeige "ins Gras (der Illusionen)" haben fallen lassen.
Sudhana:
Ansonsten - ich habe nirgendwo "eine dualitäre Unterscheidung zwischen täuschenden Gedanken auf der einen und wahrhaftigen Gedanken auf der anderen Seite" getroffen.
Stimmt. Ich hatte doch auch nur die von dir aufgeworfene Fragestellung (ob (alle) Gedanken zwangsläufig täuschend seien) als Aufhänger für meinen Diskussionsbeitrag zum Thema aufgegriffen.
Sudhana:
Tai:
Das Herausstellen einer prinzipiellen Berechtigung (oder Verwerflichkeit) von Gedanken scheint mir einem eher philosophischen Ansatz zu entsprechen, auf den sich meines Wissens weder Buddha, noch die mir bekannten Patriarchen eingelassen haben.
Nun, ich weiss ja nicht, was Du unter einem philosophischen Ansatz verstehst - aber diesen von anderen zu unterscheiden, würde nun ich "eine dualitäre Unterscheidung" nennen.
Ich auch.
Streng genommen beruht natürlich schon das Herausgreifen auch nur eines einzigen Begriffs (wie auch des begrifflichen Denkens als Ganzem) auf dualitärer Unterscheidung. Indem ein Begriff etwas Bestimmtes bezeichnet, bildet er quasi einen Gegensatz zu dem, was durch ihn nicht bezeichnet wird. Das ist ja, wie gesagt auch gar nicht weiter schlimm. Inherhalb des begrifflichen Denkens können Gedanken als die abstrahierenden Annäherungen, die sie nun mal sind, angemessene Orientierungshilfen sein. Sobald aber - um noch mal auf bels Eingangsfrage zu sprechen zu kommen - irgendwo ein Zen-Meister zitiert wird, der dazu auffordert, das begriffliche Denken loszulassen, treten doch in aller Regel fast reflexhaft Leute auf den Plan, die dies mit der Begründung, Gedanken seien schließlich nützlich, ganz natürlich und überhaupt erst die Vorrausetzung für jedwede sprachliche Äußerung eines Zen-Meisters, von sich weisen. Und doch kann man solch einer Aufforderung eines Zen-Meisters mit gedanklicher Auseinandersetzung eben nicht wirklich gerecht werden, sondern nur, indem man sie unmittelbar umsetzt oder doch wenigstens umzusetzen versucht.
Tai