Beiträge von Sôhei im Thema „Shingon“

    Thomas23:


    Ich habe gelesen das im esoterischen Buddhismus in China die ursprüngliche Elementelehre durch die daoistische Elementelehre ersetzt wurde.
    Ist das auch im Shingon der Fall? Shingon kam ja aus China nach Japan.


    Nein, das trifft so nicht zu. Im Shingon dominiert ganz klar die Lehre die indische Elementenlehre, bezeichnet als godai, d.i. die "fünf Großen" (Erde, Wasser, Feuer, Luft, Raum) oder rokudai, die "sechs Großen" (+ Bewusstsein/Geist).
    Aber natürlich hat sich Shingon auch in Japan entwickelt und verändert. Die Religionsdichte und -komplexität in Japan ist enorm hoch; neben den diversen buddhistischen Schulrichtungen sind da v.a. eben daoistische und konfuzianische Lehren zu nennen, das Gebilde "Shinto", oder auch Strömungen wie Shugendo und Tachikawa.
    Der esoterische Buddhismus hat in Japan lange Zeit eine wichtige politische Rolle gespielt und ist auch in eine intensive Auseinandersetzung mit vielen dieser Strömungen getreten; v.a. dem Shinto.


    Die chinesischen fünf Wandlungsphasen sind in Japan aber v.a. als Referenzrahmen der chinesischen Medizin weitverbreitet, welche ja bis ins 18/19. Jh. die dominierende Medizin in Japan war. So kommt es durchaus vor, dass in Texten auf beide Systeme Bezug genommen wird.


    "Die sechs Elemente durchdringen sich gegenseitig ungehindert und sind ewig eins.
    Sie sind nicht getrennt von den Vier Mandalas.
    Durch die Praxis der Kraftübertragung der Drei Geheimnisse verkörpern sie sich unmittelbar.
    Das universale Netz ist das, was wir unseren Körper nennen.
    Allen Dingen wohnt von Natur aus Bodhisattva-Weisheit inne; diese transzendiert den Geist an sich, die untergeordneten Aspekte des Geistes und die Sinnesobjekte.
    Jeder der Fünf Weisheitsaspekte ist mit grenzenloser Weisheit ausgestattet.
    Das ist die Kraft des vollkommenen Spiegels, ist wahre erleuchtete Weisheit."
    (Kûkai – Sokushin jôbutsu gi)

    Thomas23:
    kilaya:

    Vermutlich muss man doch Tibet und Japan als Äste sehen, die sich beide weiter verzweigen.


    Nach aktuellem Informationsstand in diesem Thread zu urteilen scheint das wohl wirklich am Sinnvollsten zu sein.


    Das ist das, was ich schon zu Beginn im Gespräch mit Kilaya meinte.
    Das hat aber eben nichts mit unserem Dafürhalten oder Kenntnisstand zu tun, sondern ist ganz einfach ein Fakt. Ich betone das so, weil es eben (wie sich hier ja auch zeigt) wohl manchmal nicht so leicht zu akzeptieren ist, da halt für gewöhnlich aber fälschlicherweise Vajrayana nur mit den tibetischen Ausprägungen identifiziert bzw. mit diesen gleichgesetzt wird.
    (Und ich erinnere gerne auch noch mal an die eindrucksvollen Anhänger-Zahlen in Japan, eben sogar deutlich mehr als Zen.)

    Thomas23:

    Nochmal zurück zu Shingon: Könnte man Shingon nicht am besten mit der tibetischen Nyingma-Linie vergleichen? Ich kenne mich nicht vertieft mit Nyingma aus, wird in dieser ältesten tib. Schulrichtung Anuttarayoga Tantra praktiziert?
    Interessant wäre auch zu wissen inwieweit die Reformen der neueren tib. Übersetzungslinien in Shingon eingeflossen sind. Ich könnte mir vorstellen das es hier eine spezifisch eigene japanische Weiterentwicklung gegeben hat, wie man ja auch an der Aufteilung der o.a. Schulen in ältere/orthodoxe und neuere/reformierte zu sehen scheint.


    Nur kurz, da ich unterwegs bin:
    Die tibetischen Übersetzungslinien sind überhaupt nicht in Shingon eingeflossen.
    Shingon hat auch keinen anderen bezug zu tibetischen Vajrayanalinien; die Gemeinsamkeiten gehen auf die indischen Vorformen zurück.
    Ich werde ab nächster Woche schauen ein bisschen was einzubringen.

    Thomas23:

    Sôhei: Super! Danke schonmal im voraus!


    Nachtrag: Noch ein Link: http://www.shingon.org/home.html


    Danke, aber bitte keine Vorschuss-Lorbeeren; ich bin da gerade nämlich am Grübeln...
    Ja, Shingon.org ist eine gute und informative Seite (hatte ich in meinem zweiten Post kurz erwähnt).


    Warum ich am Grübeln bin: ich versuche gerade, "die Unterschiede zu finden, die einen Unterschied machen"... D.h. natürlich hat Shingon halt andere Textgrundlagen, andere Mandala (Tanghka), andere Meditationspraktiken und andere Begrifflichkeiten und Strukturierungen. Andererseits scheint mir die Grundtendenz, Zielsetzung und Basis (logischerweise, da ja beides Vajrayana) dann doch sehr ähnlich, wenn nicht gleich.
    Vielleicht ist es am besten, nach und nach mal Kernstücke anzuführen, und dann ggfs. einfach zu schauen, wie es dazu im tibetischen Vajrayana aussieht.


    Na, mal sehen was draus wird.

    Thomas23:


    Kennst Du Dich gut mit Shingon aus?
    Hast Du Lust mal etwas zu den Unterschieden zum tibetischen Vajrayana zu erzählen?
    Würde mich sehr interessieren, da ich mir ohnehin die Frage stelle was für Unterschiede es zwischen den verschiedenen Vajrayana-Traditionen gibt!


    Hm, ja, ich denke so einigermaßen.
    Ein solider Essay zu dem Thema würde aber etwas dauern, und andere Projekte haben derzeit Vorrang. Aber ich denke ich kann versuchen es so prozessweise hier zu schreiben; dann bin ich auch genötigt mich ein bisschen damit auseinanderzusetzen...

    kilaya:


    Ich habe den Link in Deinem Beitrag oben korrigiert, damit er klickbar wird. Umlaute im Link funktionieren im phpBB leider nicht...
    kilaya


    Merci.

    Warum gerade Zen bei uns als der japanische Buddhismus wahrgenommen wird, hängt denke ich mit mehreren Faktoren zusammen. Wie du es treffend gesagt hast, lassen sich Zen-Elemente leicht isolieren und auch mit anderem verbinden. Christen und Hippies konnten bzw. können da gleichermaßen was mit anfangen. Auch war es halt so, dass über D.T. Suzuki vor allem Zen publik gemacht wurde. Und schließlich gab (oder gibt) es noch die ganze "invented-tradition" der Samurai-Zen-Allianz, welche über das Interesse am Bushido am Ende des 19ten und Anfang des 20ten Jh. Zen populär gemacht hat. In diesem Umfeld wäre Shingon wohl einfach nicht gut angekommen mit seiner Pracht und seinem Pomp. (So ist ja auch der Blick auf den tibetischen Buddhismus seitens der frühen Forscher zum Teil sehr kritisch bzw. voreingenommen, d.h. sie haben darin nicht selten einen reinen Aberglauben gesehen. Wenn schon Religion, dann katholische.)


    Aber: Nachfrage nach Gottheiten-Praxis, Mandalas, Mantras, Mudras etc. besteht ja ganz offensichtlich, angesichts der vielen Freunde des tibetischen Buddhismus. Deshalb ist es ja eigentlich umso rätselhafter, warum hier keine Bestrebungen von japanischer Seite aus stattfinden. Schließlich ist man ja mit allen anderen Dingen auch nicht zurückhaltend. (Okay, außer Shinto vielleicht :) )

    In dem Buddhismus Handbuch von Oliver Freiberger und Christoph Kleine (s. 160/161) sind interessante Zahlen, wohl aus dem Jahr 2008, zum Buddhismus in Japan:


    Jodo: 19,3 Mio Anhänger
    Nichiren: 15,4 Mio Anhänger
    Shingon: 10,1 Mio Anhänger
    Tendai: 3,7 Mio Anhänger
    Zen: 3,3 Mio Anhänger


    https://books.google.de/books?…DgVom5NMer-QG34pLoCg&cd=1


    So deutlich hatte ich es gar nicht in Erinnerung, aufgrund älterer Zahlen aus dem Japan-Handbuch von Hammitzsch.

    Ich hatte den Eindruck, du bist dir da nicht sicher, ob es sich um echtes Vajrayana handelt ("Das klingt mir in der Tat sehr nach Vajrayana im oben genannten Sinne.")


    Zen ist übrigens keineswegs die mit Abstand größte buddhistische Schule in Japan; ganz vorne stehen die Amida/Reine-Land-Schulen. Und auch wenn das mit den genauen Zahlen recht problematisch ist, dürfte Shingon in etwa gleichauf sein mit Zen.


    Zen ist in seiner zentralen Übung neutral? :?


    Dass Shingon hier nicht verbreitet ist, weil die anderen Richtungen schon alle Bedürfnisse abdecken, finde ich etwas zu simpel gedacht. Religionen, Lehren zur Sinnfindung etc. decken sich ja nicht eins-zu-eins mit bestehenden Bedürfnissen. Sie wecken auch Bedürfnisse, und konkurrieren um Anhänger. Dass Shingon hierzulande in diesem Reigen noch nicht zu finden ist, müsste dann auf ein sehr weit entwickeltes Bewusstsein hinweisen im Sinne von "Die brauchen uns ja gar nicht, die haben ja schon alles Notwendige; oder es bringt eh nix da mit einzusteigen. Wir bleiben mal schön unter uns in Japan..." Möglich wäre das natürlich - macht es mir gleich nochmal sympathischer :)

    kilaya:

    Das klingt mir in der Tat sehr nach Vajrayana im oben genannten strengeren Sinne:


    kilaya


    Das klingt nicht nur so. Shingon ist nicht mehr und nicht weniger authentisches Vajrayana als die tibetischen Ausprägungen. Leider ist Shingon eben praktisch unbekannt hierzulande, so dass fälschlicherweise der Eindruck entsteht, nur Tibet hätte hier was zu sagen.


    Auf Deutsch ist das Standardwerk zum Thema wohl Taiko Yamasaki, Shingon; sowie Goepper, Shingon - Der esoterische Buddhismus Japans.


    Shingon klassifiziert z.B. die tantrischen Schriften anders, und setzt andere Aspekte bei den Gottheiten.


    Viele Infos auch hier: http://www.onmarkproductions.com/html/mandala1.shtml

    void:

    Aus einer dem Shingon nahstehenden Laiengemeinschaft ist aber die Shinnyo-En entstanden, die es auch in Europa gibt. Allerdings muss man dazu sagen, das diese sich inzwischen sehr vom Shingon wegentwickelt hat und dabei auch einige bizarre Züge gewonnen hat.


    Die französische Niederlassung kannte ich nicht, merci. Ich hatte irgendwann noch mal eine irgendwo in Osteuropa im Hinterkopf, habe sie aber auf die Schnelle nicht mehr gefunden.
    Ja, die Shinnyo-En scheint mir auch eher abgedriftet.

    void:


    Der Shingon selber ist ja sehr monastisch.


    Prinzipiell ja, aber doch auch nicht unbedingt mehr als Zen. Vom Ursprung her zumindest. Und in Japan wiederum gibt es m.W.n. recht viele Laienanhänger; deshalb kann ich mir nicht unbedingt vorstellen, dass das ein Hinderungsgrund war.
    (Und über Shingon.org kann man sich auch ganz gut über Laienpraxis informieren)


    Scherzhaft: manchmal vermute ich ja eine geheime Absprache mit Tibet. Die dürfen Vajrayana propagieren, und Japan Zen; und keiner pfuscht dem anderen dabei ins Handwerk :)

    Wie sieht es hier eigentlich mit Freunden des Shingon-Buddhismus aus?


    (Vermutlich eher mau, gibt ja nicht mal ein passendes Forum/Unterforum...)


    Shingon hat über viele Jahre eine große Faszination auf mich ausgeübt, wenngleich ich das nur an wenig konkreten bzw. praktischen Aspekten festmachen kann.
    Aber insbesondere das Taizôkai- und Kongôkai-Mandala hatten mich seit ich sie das erste Mal gesehen hatte gleich in ihren Bann gezogen. Spontan fällt mir jetzt dazu ein, dass sie mir wie das visuelle Pendant zum Abhidhamma vorkommen; natürlich nicht was die speziellen Lehren darin/dahinter angeht, sondern was das gewaltige Ausmaß des darin Erfassten und Vermittelten betrifft...


    Irgendwie auch spannend, dass es soweit ich weiß bis heute keine Niederlassung in Deutschland gibt; oder überhaupt in Europa?