Sida0211:
Eine Frage hätte ich doch noch bezüglich dem Atem: welches Objekt am Atem findest du sinnvoll für mich zu praktizieren?
An der Nasenspitze geht es fast nicht da ich Ihn nicht richtig spüre. an den Nasenlöchrn empfinde ich nur das einatmen ausatmen ist kaum spürbar ,in den Bauch atme ich nicht eher in die Brust. Die Lunge könnte ich beobachten zumindest das Zwerchfell.Wie lange sollte ich Meditieren? Soll ich den Bodyscan mal ein Zeit lassen? Vielen Dank im Voraus.
Wenn ich Dir da raten soll, muss ich zunächst darauf hinweisen, dass "meine" Methode natürlich durch die Lehrtradition geprägt ist, in der ich praktiziere (Zen), sowie durch das chinesische Qigong, in dem ja sehr intensiv mit dem Atem "gearbeitet" wird. Da ist die Herangehensweise möglicherweise etwas anders, als Du das kennengelernt hast. Das soll nicht heißen, dass die Methode, nach der ich übe, besser, effektiver, traditioneller oder sonst etwas ist - nur, dass sie mir persönlich mehr liegt als andere, d.h. den Voraussetzungen, die ich mitbringe, am besten entgegen kommt.
Zunächst zum Atem. Ich halte es nicht für sinnvoll, eine bestimmte, isolierte Empfindung herauszugreifen (z.B. die Empfindung des Luftstromes in der Nasenöffnung) und zu beobachten, auch wenn das gelegentlich empfohlen wird. Ich habe es so gelernt, dass man mit seiner Aufmerksamkeit dem Atemfluss folgt; damit 'wandert' der Fokus der Aufmerksamkeit. Dazu gibt es vorbereitende Übungen, die jedoch nicht allzu schwierig zu erlernen sind.
Am wichtigsten ist es, die sog. Bauchatmung (die eigentlich nur eine tiefere Atmung ist) einzuüben. Wenn Du vorwiegend Brustatmung machst, ist Dein Atem vergleichsweise flach - möglicherweise ist das auch der Hauptgrund, warum es Dir nicht so richtig gelingen will, in den Atem 'einzudringen'. In flaches Wasser sollte man keine Kopfsprünge machen ... "Bauchatmung" bedeutet, dass das Zwerchfell deutlich 'arbeitet'. Die Lunge ist ja kein Muskel, d.h. die Ein- und Ausatmung funktioniert vor allem durch Heben und Senken des Zwerchfells, was das Volumenverhältnis von Bauchraum und Brustraum verändert. Senkt sich das Zwerchfell, vergrößert sich das Volumen des Brustraums und Luft strömt ein. Hebt sich das Zwerchfell, verkleinert sich der Brustraum und Luft entweicht aus der Lunge - man atmet also aus. Unterstützen kann man die Arbeit des Zwerchfells durch Anspannen / Entspannen der Bauchmuskulatur. Ganz wichtig: die 'Arbeit' mit Zwerchfell und Bauchmuskulatur sollte - wenn man nicht gerade spezielle Atemübungen macht - ohne Anstrengung erfolgen. Nichts übertreiben, nichts erzwingen - lediglich bewusst Heben und Senken bzw. Anspannen und Entspannen und dabei die Auswirkungen beobachten. Je größer der 'Hub' ist, den das Zwerchfell ausübt, um so tiefer, ruhiger und länger ist der Atem. Dieser Hub vergrößert sich natürlich mit der Zeit durch das Training.
Das erlernt man recht schnell. Tiefe Atmung ist gut für den Körper (sie versorgt ihn effektiver mit Sauerstoff) und der Körper 'lernt' gerne, was ihm gut tut. Daher atmest Du nach relativ kurzer Zeit automatisch "in den Bauch" und musst (und sollst) das dann nicht mehr bewusst steuern. Nun kannst Du beginnen, Deine Aufmerksamkeit von Zwerchfell und Bauchdecke (also einem isolierten "Objekt am Atem", wie Du es nennst) auf den Fluss des Atems zu lenken.
Ich habe es als hilfreich kennengelernt, diesem Atemfluss mit Hilfe der Vorstellung eines Energiekreislaufs zu folgen. Diese Energie heisst im Yoga 'Prana' und im Qigong 'Qi'. Beide Begriffe stehen in direktem Bezug zum Atem. Im Qigong (das ich intensiver kennengelernt habe als Yoga) nennt man den angesprochenen Energiekreislauf auch tatsächlich "kleiner Kreislauf". Vorsorglich der Hinweis, dass Prana und Qi esoterische Konzepte sind, die naturwissenschaftlich nicht nachgewiesen werden können. Es ist allerdings unerheblich, ob man nun an 'Qi' tatsächlich glaubt oder nicht; man arbeitet so oder so mit bloßen Vorstellungen.
Nun zur Vorstellung des 'kleinen Kreislaufs'. Der (nur vorgestellte oder tatsächlich mental gesteuerte) Energiefluss läuft dabei über die Mittellinie des Körpers, auf der Vorderseite nach unten, auf der Rückseite nach oben, über den Scheitel und wieder nach unten. Nur angerissen, weil es in diesem Kontext nicht wichtig ist: es handelt sich um die sog. Hauptmeridiane Ren Mai (Vorderseite, Yang) und Du Mai (Rückseite, Yin), die am Scheitel und Perinäum ineinander übergehen. Im Yoga gibt es ein sehr ähnliches Konzept der 'Energiekanäle' (Nadi). Das 'Sinken' des Qi vom Scheitelpunkt über Nase, Brustbein, Nabel bis in den untersten Bauchraum (genauer: bis zum Perinäum) entspricht der Einatmung, das Steigen des Qi entlang der Wirbelsäule bis zum Scheitel der Ausatmung.
Lassen wir diese ganzen esoterischen Konzepte mal beiseite. Der Witz dabei ist, dass der Fokus der auf den Atem gerichteten Aufmerksamkeit nicht auf irgendeinen körperlichen Punkt fixiert ist, sondern permanent durch diesen Kreislauf wandert. Die psychischen und organischen Auswirkungen, die im Qigong und in der traditionellen chinesischen Medizin der Übung dieses 'kleinen Kreislaufs' zugeschrieben werden, brauchen uns hier nicht zu interessieren. Wichtig ist hier die Auswirkung auf die Atmung und nicht zuletzt die Körperhaltung. Die Atmung wird durch das Kreisen des Aufmerksamkeitsfokus 'tiefer', Oberkörper und Kopf werden auf- und ausgerichtet. Konkret werden, wenn der Aufmerksamkeitsfokus bei der Einatmung über das Brustbein läuft, das Brustbein automatisch nach vorne genommen und damit gehen die Schulterblätter nach hinten. Bei der Ausatmung wird - dem Aufmerksamkeitsfokus folgend - die Wirbelsäule einschließlich Nacken auf natürliche Weise aufgerichtet und gestreckt, die Schulterblätter sinken nach unten. Mit ein wenig Übung wird aus dem Sinken des Qi / Einatmen und Steigen des Qi / Ausatmen ein ganz natürlicher, 'runder' Kreislauf. Der funktioniert dann bald auch ganz automatisch, also ohne dass man die Vorstellung 'Kreislauf' zur Hilfe nehmen muss.
Man kann (und sollte) dann diese Vorstellung des kreisenden Aufmerksamkeitsfokus loslassen. Der Körper ist dann so konditioniert / trainiert, dass er automatisch und ohne die Stütze von Vorstellungen 'richtig' atmet. Körper und Atem sind dann auch nicht mehr getrennte Dinge, sondern in Harmonie miteinander; der Atem gibt dem Körper seine Form (Haltung) und die Form des Körpers ist Ausdruck achtsamen Atmens, dessen körperlicher Reflex. Damit kann man schließlich auch den Atem als Objekt der Achtsamkeit loslassen und hat eine gute Basis (sowohl mental wie körperlich) für weiter- oder tiefergehende Übungen - sei es nun Vipashyana, Zazen, Visualisierung, Mantraübung oder was auch immer.
Es dürfte einleuchten, dass bei dieser Übungsmethode die Notwendigkeit für eine eigene Bodyscan - Übung nicht gegeben ist. Der kreisende Aufmerksamkeitsfokus auf den Atemfluss ist ja im Grunde genommen eine Art permanenter 'Bodyscan', verbunden mit natürlicher (unwillkürlicher) Korrektur der Körperhaltung. Trotzdem praktiziere ich gelegentlich auch etwas in dieser Art, allerdings im Stehen und völlig unabhängig von der 'eigentlichen' Meditationspraxis. Es ist eine sehr detaillierte und achtsame Überprüfung der Ausrichtung sämtlicher Gelenke sowie der Muskulatur auf Verspannungen (natürlich ggf. mit entsprechender Korrektur). Beginnend bei den Zehenspitzen, endend beim Scheitel. Die Übung nennt sich Zhan Zhuan (Stehen wie ein Pfahl) und es ist eine Grundübung sowohl für Quigong wie auch für Taijiquan. Recht ähnlich ist übrigens im Yoga das Tadasana (die Berghaltung).
Noch zur Frage "wie lange". Am besten 24 Stunden täglich. Spass beiseite - auch hier gilt, was ich weiter oben schon gesagt habe: nichts erzwingen. Nicht einmal dem eigenen Körper und Geist sollte man Gewalt antun. Wichtig ist vor allem regelmäßiges (d.h. tägliches) Üben. Ansonsten so lange, wie man sich mit der Übung wohlfühlt, wobei man sich aber (aus selbsterzieherischen Gründen) in Minimum setzen und einhalten sollte. 10 Minuten sind besser als gar nicht und 30 Minuten sind deutlich besser als 10. Ansonsten ist man natürlich begrenzt durch die Zeit, die man für andere Dinge aufbringen muss (oder will). Familie, Freunde, Arbeit, Haushalt, Buddhaland usw. usf. Wobei es einem aber mit der Zeit zunehmend gelingt, die Trennung zwischen Meditation und Nicht-Meditation zum Verschwinden zu bringen. Das gelegentliche Sitzen auf einem Meditationskissen (oder sonst einer Sitzhilfe) im Tagesablauf wird dann zu einem Nicht-Tun, das das ganz natürliche Zentrum jedes Tuns ist. Es wird zu der 'Mitte', aus der heraus man handelt. Wenn man in dieser Mitte gut verankert ist, wird das 'wie oft' und 'wie lange' unwichtig. Man tut es, wann und so lange man es braucht, um sich (wieder) zu zentrieren - oder schlicht, um sich auszuruhen und das Sitzen zu genießen.
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