Hallo Stero,
ich würde deine Frage so beantworten:
1. Ein Koan ist in erster Linie eine Frage. Diese wird entweder direkt gestellt oder durch einen im Sachverhalt enthaltenen Widerspruch impliziert. Die Herausgeber der großen Koansammlungen haben solche aus dem Sachverhalt hervorgehende Fragen häufig in ihren Kommentaren aufgeworfen. Arbeitest du unter der Anleitung eines Zen-Meisters mit einem Koan (was sehr zu empfehlen ist) wird er oder sie dir die entsprechende Frage(n) stellen.
2. Wird deinem Intellekt eine Frage/ein Widerspruch zum Fraße vorgeworfen, macht er sich automatisch daran, sie zu lösen. Die Koanfrage ist aber immer so beschaffen, dass sie intelektuell nicht gelöst werden kann (Meister Wumen Huikai vergleicht im Kommentar zum ersten Fall des Mumonkans das Koan mit einer heißen Eisenkugel, die du verschluckt hast und trotz Erbrechen nicht ausspucken kannst). Intellektuell gewonnene Antworten, die du deinem Zen-Meister vorlegst, würden dann entsprechend zurückgewiesen. Das Koan ist allerdings auch keineswegs ein Paradox, sondern eine klare, unmissverständliche Aussage, die nichts verbirgt und nichts zurückhält.
3. Der Fragende wird letztlich auf dasjenige zurückgeworfen, das fragt und dabei gleichzeitig eins mit allen Erscheinungen ist. Besonders die als 'Hauptkoan' verwendeten Fälle haben einen solchen ganzheitlichen Fokus, während die sogenannten Nebenkoan i.d.R. sehr präzise einen ganz bestimmten Aspekt der Verblendung eines Schülers oder Meisters zum Ausdruck bringen. Da es letztlich aber unsinnig ist, zwischen einem Koan, das du dir stellst und der Person, die sich die Frage stellt, zu unterscheiden, sind somit auch die sogenannten Hauptkoan und Nebenkoan Ausdruck derselben unmittelbar gegebenen Wirklichkeit.

Tai