Selbst:Ich finde, wenn man sich bei Unklarheiten von Dôgen oder anderen auf Sprachbilder, Stilistik u.ä. zurückzieht, ist der Diskussion nicht geholfen. Es wurde hier im Forum schon einmal ein Essay zitiert, in dem darauf abgehoben wird, dass "Körper und Geist abfallen" (shinjin datsuraku) eine Erfindung Dôgens sein dürfte, und für mich stellt sich die Frage, ob hier ein eher verunglücktes Bild falsche Vorstellungen im Übenden erzeugt.
Was heisst schon "falsche Vorstellungen"? Gibt es auch richtige? Bei aufmerksamer Betrachtung des eigenen Umgangs mit Sprache ist doch nicht zu übersehen, dass sich persönliche Erfahrung und deren sprachlicher Ausdruck nicht völlig zur Deckung bringen lassen. Und das ist noch der einfache Part - um ein vielfaches schwieriger ist es, aus der Rezeption sprachlichen Ausdrucks die ausgedrückte Erfahrung zu rekonstruieren. Gilt dies schon für ganz alltägliche Erfahrungen, so in potenziertem Ausmaß für den sprachlichen Ausdruck von Erfahrungen, die jenseits des allgemein zugänglichen Erfahrungshorizontes liegen. Nagārjuna bringt das Dilemma dessen, der eine Wahrheit erkennt und diese zum Nutzen Anderer kommunizieren will auf den Punkt, wenn er sagt, dass Wahrheit im höchsten Sinn sich sprachlichem Ausdruck verweigert, dass jedoch ohne sprachlichen Ausdruck, ohne Wahrheit in einem lediglich konventionellen Sinn, auf die eigentliche Wahrheit nicht verwiesen werden kann. Das Problem ist, dass eine 'Konvention' über einen adäquaten sprachlichen Ausdruck nur existieren kann, wenn die Erfahrung, die ausgedrückt wird, Sprecher und Hörer gemeinsam ist. Ist dies nicht der Fall, erscheint die Sprache lediglich konventionell. Das ist die von Bambushain angesprochene schwere Verständlichkeit - die natürlich auch potentielle Missverständlichkeit ist - Dōgens.
In diesem Sinne hasst Du natürlich recht, dass es völlig an der Sache vorbeigeht, etwa die Darlegungen Dōgens als Dogmen zu behandeln. Dōgen bewegt sich am Rande des Sagbaren, der gleichzeitig auch der Rand des Verstehbaren ist. Dieser 'Rand' ist jedoch nicht fixiert, er verändert sich mit der Entwicklung des Verständnisses des Rezipienten und eben dieses Verständnis entwickelt sich durch die von Dōgen vorgezeichnete Praxis, das Studium des Selbst - das entsprechende Money Quote hattest Du ja schon angeführt. Dōgens Texte sind immer nur die Folie, auf die sich der eigene Standort auf diesem Weg projizieren lässt. Sie formulieren keine Wahrheiten (was der Anspruch von Dogmen ist), sie erhellen den Stand eigenen Verstehens. Ich lese Dōgen seit etlichen Jahren und doch habe ich keinen Text von ihm zweimal gelesen - mit jedem Lesen ist der Text ein Anderer, weil der Leser ein anderer ist. Und ich bin weit entfernt von dem Empfinden, Dōgen irgendwann ausgeschöpft zu haben.
Der große Wert dieser Texte, Dōgens Genie, liegt nicht in ihrer Aussage sondern in ihrer Eignung, das Verständnis des Studierenden widerzuspiegeln, damit ihm sichtbar zu machen und zu vertiefen. Das funktioniert vielleicht nicht bei jedem, aber es funktioniert bei Vielen. Es sind nur die, deren Verständnis ihrer selbst stagniert und schließlich steckenbleibt, die in die Versuchung geraten können, aus Dōgen einen Dogmatiker, einen Anwalt ihrer eigenen begrenzten Sichtweise zu machen. Dann ist er ihnen (und denen, die sich von ihnen beeindrucken lassen) tatsächlich im Weg. Aber das ist kein spezifisches Problem bei Dōgen. Es ist generell das Problem von Menschen, die Wahrheit am falschen Ort suchen. In Schriften, in den Sprüchen angeblich (oder meinetwegen auch tatsächlich) erleuchteter Meister oder sonstwo - nur nicht in sich selbst.
Selbst:Insofern sind Sôtô-Dogmen eben m.E. dem Schüler genauso im Weg wie anderen ihre je eigenen Erwartungshaltungen.
Genau so ist es. Dogmatismus wie auch Erwartungshaltungen sind Kinderkrankheiten - so ziemlich jeder muss da durch und nicht jeder übersteht sie unbeschadet.
Selbst:Wenn Körper und Geist abfallen, dann immer von jemandem, der dann als Meister oder Abt Soundso mit dem immer noch klar erkennbaren "Subjekt" weiterwirkt, als der, der er oder sie auf der Grundlage dessen, was er/sie zuvor war, nun geworden ist.
Das hatte Monday ja schon (zu recht) angesprochen. Nicht jedem genügt das Verlieren, der Eine oder Andere will auch etwas haben oder zurückbehalten. Dein "immer" suggeriert freilich eine Zwangsläufigkeit, die ich nicht sehe. Die "Spurlosigkeit", die das zehnte Ochsenbild ausdrückt, halte ich nicht für einen bloßen Mythos. Wobei die Spurlosigkeit ein Verifizieren (oder Falsifizieren) ausschließt - insofern ist es müßig, darüber zu streiten.
Selbst:Auf die Frage, warum ich mir von jemandem sagen ließ, was ich (nicht) tun solle (nämlich den Weg suchen), könnte ich nun ebenfalls mit Dôgen antworten: "Wenn du beginnst, nach der Wahrheit zu suchen, entfernst du dich weit von ihr." (Genjokoan).
In diese Richtung zielte ja auch mein Zitat Sekito Kisens - der Weg liegt vor DeinenFüßen, suche nicht woanders danach.
Selbst:Meine Antwort ist jedoch eine andere: Es war der entscheidende Schritt des Vertrauens in einen Meister (oder eine Lehre), der mich weiterbrachte. Es war das Vertrauen in die Weisheit eines anderen, die zu Beginn meines Weges stand, es war die Akzeptanz der tieferen Einsicht eines anderen (Subjektes).
Daher meine Frage: war es das, was Du hören wolltest? Oder was Du ohnehin schon wusstest und wo Dir der Andere nur als Projektionsfläche eigener Einsicht diente, so wie ich es oben bezüglich Dōgen versucht habe, zu umreißen? Woher rührt das Vertrauen, die "Akzeptanz tieferer Einsicht eines anderen"? Ich bezweifle ja nicht, dass Andere tiefere Einsichten haben mögen als ich, auch ich nehme Hinweise und Ratschläge gern entgegen und folge ihnen gelegentlich sogar. Aber deren Einsicht ist nicht meine Einsicht und umgekehrt.
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