Genau, das mit dem Perspektivenwechsel kann ich voll unterschreiben.
Auf diese Weise habe ich meine Phobien, die als Ergebnis einer posttraumatischen Belastungsstörung auftraten, beseitigt. Bezüglich der Spinnen, habe ich mir einfach mal die Relationen vor Augen geführt: Wer ist der Größere von uns beiden, wer hat mehr Grund vor dem anderen Angst zu haben? Und natürlich war dieser Realitätscheck heilsam. Ich erkannte, wie absurd diese Angst war, und dass ich den Spinnen als das große Monster erscheinen muss, und dass ich die Mächtige war. Damit war das erledigt. Das ging schlagartig. Das restliche Unbehagen, hat sich dann durch Konfrontation aufgelöst, ich habe bewusst Spinnen "gerettet". Heute dürfen sie in unserer Wohnung an der Decke hängen, auch die Größeren.
Diese Vorgehensweise wende ich auch in anderen emotionsgeladenen Situationen an. Es hilft nicht immer sofort und dauerhaft, aber es bringt mich aus der Gefangenschaft heraus, ändert meine Sichtweise und das ist dann nachhaltig.
Ich finde es auch wichtig, Gefühle nur wegen ihrer Heftigkeit abzulehnen, sondern sie als Indikatoren zu erkennen und damit anzunehmen. Das bedeutet eine ganze Portion wenige künstlich hinzugefügten Leides. Wenn mich z.B. etwas sehr wütend macht, dann kann ich mir das anschauen und mir überlegen, ob in dieser Wut nicht ein übersehener Misstand steckt. Dies Wut einfach nur abzulehnen und als abschaffenswert einzustufen, bedeutet mehr Leid, und ist sinnlos. Die Wut wird weniger virulent, wenn ich sie anschaue, und sie verschwindet dann eher. Auch weil ich durch die Betrachtung womöglich die Ursache erkannt habe und etwas verändert habe. Sei es eine Einstellung, eine Sichtweise, sei es ein Verhalten.
Deshalb arbeiten die Vajrayanis mit den Emotionen. Sie betrachten sie als freundliche Helfer und nutzen sie.
Das bedeutet auch, dass anhand jeder auftauchenden Emotion, der ganze Mechanismus erkannt werden kann, wir unsere Tiefen ausloten können und eine Gelegenheit zum Üben erhalten. Und üben kann man nicht genug.