Beiträge von Doris im Thema „Liebende Güte im Alltag“

    Zitat

    Ich glaube es gibt tatsächlich einen Zustand, indem keinerlei Gefühlsenergien mehr aufsteigen. Wenn der Geist komplett zur Ruhe gekommen ist und man in der Abgeschiedenheit praktiziert, gibt es z.B. keinen Grund dafür, dass sie aufsteigen.


    Das ist aber, bevor man wieder zurück auf den Marktplatz geht.


    Ich gehe mal so weit und behaupte, diese Abgeschiedenheit kann überall stattfinden. Jedesmal, wenn eine bestimmte Tiefe der Meditation erreicht wird. Die Abgeschiedenheit, z.B. Höhle oder Klosterzelle, ist nur ein bestimmter Raum, ein konkreter Ort der Übung. Man kann jedoch überall diese Abgeschiedenheit erfahren, also die Klosterzelle ist in einem selbst. Ein Geübter kann das sicher.
    Diese Parallel ziehe ich analog zu der Antwort meines Lehrer Könchog Gyaltsen Rinpoche, der auf die Frage, wie er denn die Regel, keinen körperlichen Kontakt zu Frauen zu haben, in einem Flugzeug befolgen könne, wenn eine Frau neben ihm säße. Er sagte sinngemäß, dass er im Geiste keinen Kontakt habe.

    Genau, das mit dem Perspektivenwechsel kann ich voll unterschreiben.
    Auf diese Weise habe ich meine Phobien, die als Ergebnis einer posttraumatischen Belastungsstörung auftraten, beseitigt. Bezüglich der Spinnen, habe ich mir einfach mal die Relationen vor Augen geführt: Wer ist der Größere von uns beiden, wer hat mehr Grund vor dem anderen Angst zu haben? Und natürlich war dieser Realitätscheck heilsam. Ich erkannte, wie absurd diese Angst war, und dass ich den Spinnen als das große Monster erscheinen muss, und dass ich die Mächtige war. Damit war das erledigt. Das ging schlagartig. Das restliche Unbehagen, hat sich dann durch Konfrontation aufgelöst, ich habe bewusst Spinnen "gerettet". Heute dürfen sie in unserer Wohnung an der Decke hängen, auch die Größeren.


    Diese Vorgehensweise wende ich auch in anderen emotionsgeladenen Situationen an. Es hilft nicht immer sofort und dauerhaft, aber es bringt mich aus der Gefangenschaft heraus, ändert meine Sichtweise und das ist dann nachhaltig.


    Ich finde es auch wichtig, Gefühle nur wegen ihrer Heftigkeit abzulehnen, sondern sie als Indikatoren zu erkennen und damit anzunehmen. Das bedeutet eine ganze Portion wenige künstlich hinzugefügten Leides. Wenn mich z.B. etwas sehr wütend macht, dann kann ich mir das anschauen und mir überlegen, ob in dieser Wut nicht ein übersehener Misstand steckt. Dies Wut einfach nur abzulehnen und als abschaffenswert einzustufen, bedeutet mehr Leid, und ist sinnlos. Die Wut wird weniger virulent, wenn ich sie anschaue, und sie verschwindet dann eher. Auch weil ich durch die Betrachtung womöglich die Ursache erkannt habe und etwas verändert habe. Sei es eine Einstellung, eine Sichtweise, sei es ein Verhalten.
    Deshalb arbeiten die Vajrayanis mit den Emotionen. Sie betrachten sie als freundliche Helfer und nutzen sie.
    Das bedeutet auch, dass anhand jeder auftauchenden Emotion, der ganze Mechanismus erkannt werden kann, wir unsere Tiefen ausloten können und eine Gelegenheit zum Üben erhalten. Und üben kann man nicht genug.

    Das sehe ich auch so.
    Und wie sollten wir uns in andere einfühlen können, z.B. ihre Angst erkennen, wenn wir selber diese Emotionen nicht mehr haben?


    Dass sich in manchen Situationen bestimmte emotionale Reaktionen nicht mehr einstellen, das ist logisch und für jeden nachvollziehbar. Wir kennen das ja alle: Manchmal ändert sich unsere Haltung und Einstellung zu bestimmten Themen, und damit auch unser emotionalen Reaktionen. Was uns heute mächtig ärgert, lässt und morgen kalt.
    Ich hatte früher eine Spinnenphobie, und so was ist echt heftig, das ist Todesangst. Heute verspüre ich Spinnen gegenüber keine Angst mehr. Aber ja, immer noch verspüre ich was, nämlich die Liebe zu einem kleinen Wesen, das lebt und sich in dieser Welt behaupten möchte. Ich fühle mich mit dem Wesen verbunden und habe das Bedürfnis es zu schützen, weil ich die Angst um das Leben kenne. Und das ist eine Emotion, sogar eine starke. Das will ich auf keinen Fall missen.


    Wie schon geschrieben, Emotionen in Verbindung mit Ich-Illusion, das Gefangenensein in den Emotionen, das macht die Probleme. Ich erlebe es so, dass die Emotionen auf einer äußeren Schale stattfinden. Dort kann ich sie auch lassen, wenn ich das möchte. Und wenn sie aufsteigen und mich in einem Moment voll und ganz erfassen, so kann ich durch Achtsamkeit wieder gewahrwerden, dass sie auf eben dieser Schale stattfinden und habe die Möglichkeit mit zu entscheiden, inwieweit ich mich auf sie einlasse. Wenn das gelingt kann auftauchen was will, ich bin dann die Herrin in meinem Haus.

    Yofi:

    Man sagt, dass es bei starken Emotionen besser ist, aus der Situation heraus zu gehen. Sich zu verstellen tut niemandem gut, auch der andere leidet darunter, wenn Zähne knirschend Hilfe angeboten wird.


    Daraus lernen bedeutet aus der Situation heraus zu gehen sowie nach der Ursache zu suchen. Die Wut, die man auf andere hat, trifft einen selbst im gleichen Maße. Wenn man sich nicht die Mühe gibt, ihre Ursache zu finden, beackert man nur die Oberfläche während sich im Innern nicht viel ändert. Und unterdrückte Wut kann leicht noch mehr Wut im Gepäck haben.


    Es ist nicht immer möglich aus einer Situation rauszugehen.
    Z.B. Wenn es um Deine Kinder geht. Du kannst nicht abhauen, wenn sie was ausgefressen haben. Du musst Dich der Situation stellen und ihnen sogar oftmals helfen, weil sie das eben gerade nötiger haben als Du Deinen Seelenfrieden. Also beisst Du die Zähne zusammen und tust Deine Elternpflicht. Vielleicht musst Du Dich sogar äußerlich verstellen, wirst dem Kind Dein Unbehagen nicht auf die Nase binden. Wichtig ist die Ehrlichkeit Dir selbst gegenüber.
    Auch in der Krankenpflege kannst Du einen schwierigen Patienten nicht einfach im Stich lassen. Es gibt viele Situationen, wo das nicht möglich ist, ohne Schaden anzurichten.
    Ich würde niemals meinem Mann alle meine Emotionen zumuten, nur weil ich die gerade habe. Das ungefilterte Absondern von sämtlichen Befindlichkeiten ist enorm destruktiv. Es sind schließlich MEINE Emotionen, für die ich alleine verantwortlich bin. In den meisten Fällen ist es ohnehin meine Sicht auf die Dinge, die diese Emotionen hervorruft, nicht das Verhalten des Anderen.


    Was helfen kann, wenn die Zeit dafür vorhanden ist, ist ein kleiner Rückzug. Bei mir war das in Arbeitskonflikten der Gang auf die Toilette. Das kann schon genügen, um wieder runter zu kommen. Jeder entwickelt da seine eigenen Strategien.


    Aber all das ist keine unterdrückte Wut, nur eine, die nicht ausgelebt wird. Das ist etwas anderes. Wichtig ist auch, dass dies ein bewusster Vorgang ist, der Offenheit für eine Analyse und Selbsterforschung beinhaltet. Denn Wut – um bei diesem Beispiel zu bleiben – ist ein wichtiger Indikator für Missstände, den man nicht ignorieren sollte und für sich nutzen kann.

    Zitat

    So gesehen sind alle anderen Versuche die s. g. Liebende Güte zu entwickeln nur eine Verleumdung der eigenen Gefühle und Heuchelei.


    Eigentlich nein.
    Der Versuch dies zu entwickeln, bedeutet nicht, sich zu verleugnen.
    Es ist eine Stufe. Und ich halte sie für unverzichtbar.
    Liebende Güte ist auch immer für sich selbst zu entwickeln.
    Nicht umsonst wird das im Vajrayana zuerst betont. Die Öffnung der eigenen Sinne und des eigenen Herzens für andere Wesen, öffnet letztendlich auch das Herz für sich selbst. Die Verlagerung der Aufmerksamkeit auf das Wohl der anderen, ist sehr hilfreich im Erkennen der Ich-Illusion. Wenn ich lerne, nicht dauernd im Mittelpunkt zu stehen, dann fällt es mir leichter, von der Illusion des festen Ichs Abstand zu nehmen, weil dann damit weniger Verlustangst verbunden ist. Gleichzeitig verbessern sich so die Beziehungen und damit die eigenen Lebensumstände.


    Das ganze System ist mit lauter Feedbackschleifen durchwoben. Egal wo angesetzt wird, es wirkt sich auch die anderen Bereiche aus.


    Wenn jemand einen Sprung im Ballett lernen möchte, dann tut er erst so, als ob er der Sprung schon kann. Er übt und übt. Und natürlich ist jede Übung nur ein Fake. Dann plötzlich wird der Sprung beherrscht, und der Sprung ist echt. So ist das mit der Liebende Güte auch.
    Wenn ich zornig auf meinen Nachbarn bin und ihm am liebsten eine über die Birne hauen möchte und tue das nicht, sondern bleibe höflich und biete sogar meine Hilfe an, dann mag das erst mal scheinheilig aussehen. Aber in Wirklichkeit tue ich was Nettes, verhindere Übles und übe mich.
    Mir gegenüber muss ich ehrlich sein, und nur mir. Nicht um der Ehrlichkeit willen, sondern um der Erkenntnis willen, und wegen der Übung: Verdrängung und Selbstbetrug kann Übles nach sich ziehen. Nicht jedoch – noch – zähneknirschend dem destruktiven Impuls zu entsagen. DAS ist Askese.


    Genau.
    Es gibt dann auch keine "guten" oder "bösen" Emotionen mehr. Auch das, was konventionell als "böse" eingestuft wird, also Zorn, Ungeduld, Angst usw. sind dann einfach nur noch Erscheinungen im Geist, die man sich und anderen nutzbar machen oder einfach vorüberziehen lassen kann.
    Das erfordert aber ständiges Beobachten und Einordnen, ständige Achtsamkeit. Und natürlich Intelligenz, diese Energien sinnvoll zu nutzen, also mit den Dämonen Tee zu trinken.


    Im Grunde ist das ganz einfach, sobald erkannt wird, wie Emotionen entstehen und wenn man sich darin übt, sich ihnen nicht auszuliefern. Erkennen, meint nicht, einfach nur rational zu erkennen, wie das abläuft, sondern als Selbsterfahrung, ergo wirklich zu wissen, worum es sich dabei handelt.


    Btw
    Was mich immer wieder staunen macht: So rätselhaft und kompliziert die Begriffe und das System der Tibeter sich erst mal anhören, sie sind im Grunde supereinfach und völlig klar, nachvollziehbar und zu verstehen.

    Zitat

    Hi Karnataka,
    der Buddha lehrt die Analyse der Gefühle und ihr Ende.



    Ich wie nicht, was Du mit "ihr Ende" meinst.


    Es ist nicht möglich ohne Gefühle zu leben. Das gehört zur Conditio humana.


    So wie ich es verstanden habe, zeigte er auf, was er gemacht hat:
    • Analyse der Gefühle und Emotionen
    Bedingtes Entstehen und die Vergänglichkeit von Gefühlen und Emotionen erkennen
    • Unterscheidung zwischen hilfreich und nicht-hilfreichen Emotionen
    • Kultivierung hilfreicher Emotionen
    • Nicht-Anhaftung an Emotionen.