Beiträge von Tai im Thema „Zen-Priester unter Missbrauchsverdacht“

    Morpho:

    Mit "Selbstergründung" ist das auch so ein Sache. Erzählst du einem Denker davon, dann kommt der entweder gar nicht zu Potte oder er gleitet ins analytisch-konzeptionelle ab. Deswegen heißt es dann so was wie: den eigenen Geist schauen.


    Genau. Ein solches Sich-Einlassen auf die unmittelbar gegebene Soheit kann ja schon per Definition nicht an bedingte Inhalte geknüpft sein, auch nicht an ethische. Und doch lebt zumindest in vielen koan-orientierten Zenschulen eine Art Mythos, als würde einen das Erfahren solch gegenstandsloser 'Geistesschau' zu einem im herkömmlichen Sinn des Wortes selbstloseren Menschen machen; zu einem, der tut, was zu tun ist und authentisch das Bodhisattwa-Ideal verwirklicht. Und in gewissem Sinne stimmt das wahrscheinlich sogar, nämlich insofern das 'Glück' des Satori einen Menschen meist erst mal weicher, mitfühlender und anspruchsloser macht. Überdies sollte Koanpraxis mit zunehmendem Erkennen der momentanen Gedanken und ihrer Auswirkungen einhergehen (Elviral hat ja bereits auf die Verbindung zwischen Vorstellung und Tat in diesem Zusammenhang hingewiesen).


    Wie nachhaltig sich solche Einsichten und Erlebnisse dann aber tatsächlich auf die Integrität eines Menschen auswirken, bleibt fraglich. Die komplizierte Entwicklung zu einem moralisch gefestigten Menschen muss der Praktizierende auch unabhängig von seiner Zenpraxis vollziehen. Fälle wie der hier besprochene sind sicher die Spitze des Eisberges. Neben den von Christopher erwähnten, zusätzlichen Beispielen sind in den letzten Jahrzehnten ja auch noch so viele andere Fälle schweren Fehlverhaltens buddhistischer Lehrer ans Tageslicht getreten, dass ich die Frage schon berechtigt finde, was zu einer solch ungünstigen Entwicklung beitragen kann.


    Ich zähl mal ein paar Punkte auf (just out of my head):


    - Viele Lehrer im Westen werden in ihrer Position als Leiter einer Sangha von außen kaum kontrolliert (Sudhana hat diesen Aspekt weiter unten bereits erwähnt).


    - Aus Mangel an geeigneteren Kandidaten werden (zumindest meiner Einschätzung nach) mitunter Menschen zu Lehrern ernannt, für deren persönliche Entwicklung es weitaus besser gewesen wäre, noch eine Zeitlang unbeschwert von Lehrerverantwortung als Schüler zu praktizieren.


    - Durch Übertragungslinien suggeriert, werden die heutigen Lehrer im Zen von ihren Schülern (und sie selber waren ja auch mal Schüler mit möglicherweise ähnlichen Ansprüchen) an völlig überdimensionierten Vorbildern gemessen. Im ungünstigen Falle kann das Schlüpfen in eine nach außen vorgetragene Rolle, die von der inneren Realität erheblich abweicht, der Beginn einer fatalen Selbstentfremdung sein.


    - Ein Lehrer, dessen Praxis nicht mehr so gut läuft (und es ist angesichts vielfältiger Verantwortlichkeiten, Aufgaben und der Auseinandersetzung mit Menschen gar nicht so unwahrscheinlich, dass früher oder später genau das passiert) kann sich oft nur sehr schwer und unter erheblichem Gesichtsverlust für ihn als Lehrer und für die Sangha aus der Lehrtätigkeit zurückziehen. In vielen Schulen steht auch keine geeignete monastische Alternative des Rückzugs zur Verfügung.


    - Nonnen und Mönche haben sich per Definition ganz dem Buddhismus verschrieben. In einer westlichen Laiensangha kann es mitunter schon schwerer sein, einen Lehrer oder Nachfolger aufzutreiben, der die gebotene Hingabe mitbringt. Nicht selten sind die ergeizigsten Schüler aber von einem gewissen Narzissmus getrieben, wie auch bei nicht wenigen der heutigen Lehrer ein gewisser Narzissmus kaum zu übersehen ist. Für einen Lehrer ist Narzissmus eine sehr nachteilige Disposition, die alle zuvor von mir gebrainstormten Aspekte ungünstig verstärken kann.


    @ Waldler: All dies hier kann in keiner Weise eine Entschuldigung für die schrecklichen, systematisch ausgeübten Verbrechen sein, die Anlass dieser Diskussion sind. Und doch müssen wir uns gerade angesichts solcher Abgründe die Frage stellen, wie kann so etwas in heimischen buddhistischen Schulen möglich sein und was können wir institutionell verändern, um dem entgegenzuwirken.


    _()_
    Tai

    sati-zen:

    Macht ist so verführerisch dass dieser Zen-Priester nicht widerstehen konnte und zunächst Amt und Würden erlangte und dann diese Macht missbrauchte.


    Du weißt es also bereits besser als die zuständigen Behörden und die Journalisten vor Ort, die über den Fall berichten?