Beiträge von Karnataka im Thema „Das Bewusstsein aus der Sicht des Tantra“

    Losang Lamo:


    Das allersubtilste Bewusstsein jedenfalls nimmt nur noch Abwesenheit/Leerheit/"Freiheit von" wahr. Es ist jenseits von dem, was man eigentlich unter Bewusstsein versteht. Die Bereiche, die unser Verstand und die Sprache zu erfassen vermögen, sind gröber.


    Mein Vorschlag scheint mir etwas anders. Das „Klare-Licht-Bewusstsein“ stützt sich nach meiner Auffassung auf die Erfahrung des Klaren Lichts. Dies ist eine seltene und kaum verfügbare Erfahrung, da diese Wahrnehmung am ehesten in Zusammenhang mit dem Sterben – aus meiner Sicht etwa mit Todesangst – entsteht.


    Die Wahrnehmung meint ein unsterbliches Licht als unsere innerste Natur. Das Bewusstsein, dass die „Halluzination“ eines Klaren Lichts vernimmt, ist jedoch ein ganz normales Bewusstsein.


    Dazu möchte ich noch eine Anmerkung machen:


    Ich halte es für denkbar, dass im Bemühen, die kaum verfügbare Erfahrung des Klaren Lichts zu gewinnen, Fantasien entstehen. Zwar kann ich mir gut vorstellen, dass das Klare Licht weder Bewusstsein noch Körper sondern etwas Drittes ist und in keiner dualen Unterscheidung liegt. Für mich entsteht solcherart jedoch die Gefahr, dass auch die Grundlage des Kontinuums in Misskredit gerät und das Ganze zur rein esoterischen Angelegenheit wird.


    Nach meiner Meinung gefragt würde ich daher feinstoffliche Körper als Träger des Klaren Lichts zwar nicht ausschließen, für eine Interpretation des Klaren Lichts aber besonders das Bewusstsein fokussieren. Da der Gedanke, dies sei unsere innerste Natur, nach meiner Ansicht als sehr überzeugend erlebt wird, stützt dies die Bezeichnung „äußerst subtiles Bewusstsein“.


    Weiter stützt sich die Benennung auf eine philosophische Argumentation, um die Attribute der Erfahrung (lichthaft, unvergänglich, eigenes Sein) zu begründen. Besonders auch für diese philosophische Argumentation liegt eine dualistische Betrachtung nahe, die jene Eigenschaften in Geist und Bewusstsein findet, nicht aber in Körper und Materie. Daher ist auch beim DL von einem Geist- oder Bewusstseinskontinuum die Rede, sofern er nicht sehr spezielle Sichtweisen wie etwa das Kalachakra-Tantra referiert.


    Soweit meine Gedanken :)

    Losang Lamo:

    mukti
    Ich nehme an, die Crux an dieser Diskussion ist das Wort "Bewusstsein". Es ist nur eine Übersetzung ins Deutsche, die so nicht feststehen muss. Es ist nicht das Skandha "Bewusstsein" gemeint. Man kann genauso gut sagen "allersubtilster Geist" oder poetischer "allersubtilster Wind" oder (vergib mir ;)) "Buddhanatur".


    Wahrscheinlich ist für Theravada-Verständnis die Übersetzung "Geist" am sinnvollsten? Es ist damit jedenfalls ein Zustand jenseits der Skandhas gemeint. So subtil, dass es jedenfalls kein "Ich" oder "Selbst" mehr ist.


    Hab ich jetzt weitergeholfen, oder alles weiter durcheinander gebracht?


    Der DL kommuniziert die Lehre seit Jahrzehnten und arbeitet mit seinen Übersetzern ins Englische überaus eng zusammen. Ich bin überzeugt, wir können den Begriffen vertrauen. Körper und Materie, Geist und Bewusstsein meinen etwa das, was diese Begriffe auch in westlichen Sprachen bedeuten.
    Wir können demnach sicher sein, dass nicht von unsichtbaren Körpern oder sichtbaren Geistern die Rede ist. Anderfalls werden solche gravierenden Bedeutungsunterschiede thematisiert.


    Mukti hat folgenden Text bereits thematisiert:
    Das subtilste Bewusstsein wird zweifellos auch von anderen Faktoren beeinflusst, z.B. von karmischen Anlagen, die in diesem Bewusstsein „transportiert“ werden können. Und es beeinflusst selbst wiederum die gröberen oder subtileren Bewusstseinsebenen, die aus ihm hervorgehen.


    Hierzu eine Kleinigkeit. Aus meiner Sicht kann es nur meine Hoffnung sein, dass die Qualität eines mitfühlenden und verbundenen Denkens, um die ich mich bemühen, auf die Qualität des unsterblichen Kontinuums Einfluss nimmt. Mit dem Begriff „zweifellos“ komm ich nicht ganz klar, muss ich zugeben.


    Vielleicht liegt es an meinem Verständnis. Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass bei so einzelnen Worten die Übersetzung tatsächlich Bedeutungsnuancen verändert. Es macht ja zum Beispiel einen Unterschied ob man sagt: In der buddhistischen Lehre ist es so… oder aber: Zweifellos ist es so.

    hedin02:

    Es können also nicht alle Wesen die verstorben sind zur Erleuchtung gelangen. Die Erleuchteten Wesen aber könnten nach dem Tod durchaus in ein schwarzes Loch gefallen sein :)


    Der DL schreibt: Wie steht es dann mit dem Ende des Bewusstseins? Manche buddhistische Gelehrte der Vergangenheit haben die Ansicht vertreten, wenn das Nirwana erreicht ist, erreiche das Kontinuum des körperlichen und geistigen Daseins sein Ende. Das zwingt jedoch zu der absurd erscheinenden Schlussfolgerung, dass dann niemand mehr da ist, der diesen Nirwana-Zustand erfährt. Die individuellen Bewusstseinsmomente unseres verkörperten Daseins – alle sinnlichen Wahrnehmungen und Gedanken – enden mit dem Tod. Aber die Grundqualitäten der Klarheit und des Wissens, der essenzielle Kern des Bewusstseins, werden nicht gelöscht, wenn wir sterben – dieses Kontinuum kennt kein Ende.

    hedin02:

    Das „Bewusstsein des klaren Lichtes“ wird im Tantrayoga als dauerhaftes Kontinuum bezeichnet. Dauerhaft bedeutet m.E., das klare Licht hat im Gengensatz zu dem groben und dem subtilen Bewusstseinszuständen, ewigen Bestand. Der DL hat diese ewige Beständigkeit mit einer kontinuierlichen Veränderung des unendlichen Kontinuums von Moment zu Moment zu entkräften versucht, ohne darauf hinzuweisen was sich, und in welchen Zusammenhang sich etwas von Moment zu Moment verändert.


    alamerrot:


    Weiterhin schreibt der D.L.:


    “Einzelne Momente dieses Bewusstseins reihen sich quasi aneinander und bilden eine Kontinuität. Weder ein einzelner Moment dieses Bewusstseins noch all die Momente zusammen sind dieser Bewusstseinsstrom des Klaren Lichts; vielmehr existiert das Kontinuum als Benennung in Abhängigkeit vieler Momente.”


    Hier begeht m.E. der D.L. eine gedankliche Unreinlichkeit. Ein Kontinuum kann niemals aus Bruchstücken (einzelne Momente) zusammengesetzt sein. Das ist ein Widerspruch in sich selbst.


    Ich würde meinen, dass alle Bewusstseinszustände nur eine Wirklichkeit besitzen, nämlich diejenige, die jeweils im Jetzt liegt. Dagegen sind Vergangenheit und Zukunft nie wirklich, sondern nur der gegenwärtige Augenblick, der auf den Augenblick zuvor folgt. Es ist unmöglich, die zeitliche Länge des gegenwärtigen Augenblicks zu bestimmen, doch ist er eben nicht mehr der Augenblick zuvor.


    Der DL schreibt: Hätte das Kontinuum unseres Geistes einen ersten Augenblick gehabt, müsste es zu diesem Augenblick entweder ohne eine Ursache gekommen sein oder aufgrund einer Ursache, die in ihrer Substanz von der Natur des Geistes verschieden ist. Da beide Möglichkeiten unbefriedigend sind, wird davon ausgegangen, dass das Kontinuum des Geistes keinen Anfang hat. (Aus: Essenz der Lehre Buddhas)
    So begründet der DL die Möglichkeit früherer Leben. Er spricht also im Zusammenhang mit dem Kontinuum des Klaren Lichts von einem Kontinuum des Geistes.


    „Geist“ aber gibt aus meiner Sicht einen besonderen Hinweis auf die Frage, was der zeitliche Bewusstseinsaugenblick eigentlich ist.
    Um sinnvoll davon zu sprechen, bedarf es etwas, das sich als Subjektivität bezeichnen lässt. Diese Innerlichkeit, die sich schließlich in der Qualität des Denkens ausdrückt, gibt in einem besonderen Maße Zeit, das gegenwärtige, einzig wirkliche Jetzt und seine konkrete Dauer. (Physikalisch ist nur im Vergleich möglich zu bestimmen, ob sich Uhrzeiger langsamer oder schneller bewegen. Es gibt keine Dauer und kein Jetzt)
    So lässt sich aus meiner Sicht sinnvoll spekulieren, dass es für diese Möglichkeit des Gebens eine lichthafte Form der Unsterblichkeit braucht, welche dem Bewusstsein innewohnt.

    kilaya:


    Das klingt mir aber eher nach Descartes Körper-Geist-Dualismus. Die 3-"Köper"-Lehre des TB betont aber ausdrücklich, dass es so einen Dualismus nicht gibt. Und ich finde, dass es auch der Erfahrung entspricht: Körper und Geist sind in ständiger gegenseitiger Beeinflussung. Man spritzt ein Hormon oder schluckt eine bewusstseinsverändernde Medizin oder Droge, und der geistige Zustand verändert sich u.Umst. massiv. usw. Jetzt ist die Frage, inwiefern tatsächlich das eine aus dem anderen hervorgeht oder wie diese Beeinflussung stattfindet. Wenn man aber von der essentiellen Gleichheit aller Ebenen von Dharmakaya bis Nirmanakaya ausgeht, die in manchen Schulen durch einen 4. "Svabhavikakaya" (Wesenszustand) ausgedrückt wird, dann sind sie substanziell eben NICHT anders, sie sind nicht mal "substanziell".


    Hallo,
    zuerst möchte ich betonen, dass wir nicht vom groben oder subtilen Bewusstsein sprechen, sondern von dem, was im Text des DL gleich zu Beginn „äußerst subtiles Bewusstsein“ genannt wird. Dass die zuerst genannten Bewusstseinsformen ein funktionierendes Gehirn brauchen, steht ja ohnehin außer Frage. Dies zum Stichwort Medizin, Droge usw.


    Was die Seinslehre des Buddhismus angeht, gibt es sehr unterschiedliche philosophische Ansichten, etwa gibt es die Nur-Geist-Schule oder die Madhyamika-Schule. Wir stellen die Frage, was das Kontinuum des Klaren Lichtes, das als äußerst subtiles Bewusstseinskontinuum verstanden wird, seinem Sein nach ist. Dazu heißt es im Text:


    Das menschliche Bewusstsein ist einerseits abhängig vom menschlichen Körper und anderseits vom Bewusstsein des Klaren Lichts, der Grundlage jeden Bewusstseins. Der DL meint demnach, dass das menschliche Bewusstsein zwei Grundlagen besitzt. Die Grundlage des Klaren Lichts wird dabei als nicht körperlich bedingt aufgefasst, wodurch ein Kontinuum über den Tod hinaus überhaupt erst vorstellbar ist.


    So wird aus dem Kontinuum des Klaren Lichts ein Kontinuum des Geistes in den Schriften des DL, beispielsweise in „Essenz der Lehre Buddhas“. Diese Interpretation kann ich gut belegen!


    Darüber hinaus ist in den Tantra-Lehren von feinstofflichen Körpern die Rede. :)

    Sherab Yönten:

    Hier ist ein sehr schöner Artikel, der die verschiedenen Bewusstseinsarten aus der Sicht des Tantra erklärt:


    https://www.tibet.de/fileadmin…002-24-dl-bewusstsein.pdf



    Einige Gedanken zum Artikel. Ich halte es für sinnvoll und undogmatisch, Theorie und Erfahrung zu trennen.


    Die praktische Ebene bildet die Erfahrung des Klaren Lichtes. Diese Erfahrung, die manchmal in Verbindung mit Todesangst oder größter Verzweiflung auftritt, scheint mir aus einer lichthaften Wahrnehmung und einer Intuition gebildet: man hält die Unvergänglichkeit der lichthaften Wahrnehmung für wahr, ohne einer Begründung zu bedürfen. Zweitens besagt die Intuition, dass dies unsere eigene Natur ist.


    Doch bereits mit der Zuordnung „Bewusstsein“ entsteht nach meiner Ansicht eine theoretische Ebene: Was meint der Begriff „Bewusstsein“ überhaupt?

    Ein Stuhl kann aus Holz entstehen. Unsere Gedanken und Gefühle und Empfindungen können jedoch niemals aus biologischen Vorgängen entstehen, da sie substantiell anders sind. Demnach sind biologische und materielle Gehirnvorgänge bloß der Motor, nicht aber die subjektiv erlebte Landschaft, durch die wir geistig fahren.


    Um Letztere zu ermöglichen, bedarf es einer Grundlage in der Wirklichkeit, eines tieferen Potentials, das subjektives geistiges Empfinden und Erleben ermöglicht. Die Beschaffenheit unseres Denkens scheint darauf hinzudeuten, dass diese Grundlage zwar keine räumliche (und daher beobachtbare), jedoch eine zeitliche Dimension besitzt.


    In der buddhistischen Terminologie wird dieses grundlegende Potential daher als ein zeitliches Kontinuum subtiler Bewusstseinsmomente benannt. Es bildet quasi den Acker, aus dem alle anderen Bewusstseinszustände hervorgehen.


    In einer vollkommen statischen Welt schiene mir auch das grundlegende Potential unveränderlich. Angesichts einer Welt jedoch, die sich permanent verändert, könnte die Grundlage von Bewusstsein und Zeit, Empfinden und Denken aber auch die Potentiale möglicher Veränderung in sich tragen.


    Aus buddhistischer Sicht werden solche spekulativen karmischen Anlagen als Verunreinigungen und Verblendungen und der Buddha als Wesen, dessen Bewusstsein sich endgültig in der reinen Sphäre des Klaren Lichts aufgelöst hat, interpretiert, schreibt der DL.


    Soweit mein Verständnis... :)