mogun:
Es war in meinen Augen ein etwas unglücklicher Ansatz, das Problem an einem Halbsatz in einer doch ziemlich entlegenen Arbeit, die niemand hier (Dich eingeschlossen) näher zu kennen scheint, aufzuhängen. Ob Ludger Tenbreul selbst dem, was da ein aus dem Kontext und wohl auch nur indirekt wiedergegebenes 'Zitat' (mit der Autorität eines Zenmeisters ) zur Sache auszusagen scheint, so zustimmen würde, sei mal dahingestellt. Falls er da wirklich als Kronzeuge herhalten soll, wäre es wohl doch eher angebracht, ihn anzuschreiben und um Erläuterung seiner Aussage (falls er sie tatsächlich so getätigt hat) zu bitten, statt das hier zur Grundlage einer Diskussion zu machen. Das wurde ja auch schon vorgeschlagen. Nichts gegen die Diskussion selbst - die halte ich für durchaus sinnvoll. Ob es dazu allerdings eines Ludger Tenbreul als 'Gewährsmannes' (ob nun Deiner oder Herrn Adams) bedurft hätte, erlaube ich mir zu bezweifeln. Die These selbst ("dass Zen, auf das Politische übertragen, geradewegs zum Faschismus führe") halte ich persönlich (pardon) bestenfall für höheren Blödsinn. Ehrlich gesagt, eher für bullshit. Es ist ja auch im bisherigen Verlauf der Diskussion äußerst nebulös geblieben, was man sich denn so unter einer Übertragung von Zen auf das Politische vorstellen könnte.
Du meinst, "historisch spricht ja einiges dafür" und führst als Beleg dafür Victorias Buch an - ich vermute mal, Du meinst sein 'Zen, Nationalismus und Krieg' (es ist nicht sein einziges). Dazu ist zunächst einmal anzumerken, dass Victoria sich zwar zentral mit dem Verhältnis Zen und japanischer Militarismus / Chauvinismus befasst, dass dies aber (was, wenn man das Buch aufmerksam liest, auch durchaus deutlich wird) kein spezifisches Problem diverser Zen-Gruppierungen ist, sondern dass die japanischen 'Schulen' Shin, Jodoshin, Tendai, Shingon (alle deutlich größer und gesellschaftspolitisch relevanter als die Zenschulen) sowie etliche andere ebenfalls kollaboriert haben. Dass Victoria als Zenpriester vorwiegend vor der eigenen Haustür kehrt und sich vor allem mit der Ideologie des 'kaiserlichen Staats-Zen' (Kōkoku Zen, 皇国禅) beschäftigt, ist durchaus legitim - nur ist dieses Kōkoku Zen eben nur die zenspezifische Ausprägung einer umfassenderen Ideologie, nämlich des 'Buddhismus des kaiserlichen Weges' (Kōdō Bukkyō, 皇通仏教). Die historisch deutlich ältere Beziehung zwischen Bushidō und insbesondere Rinzai-Zen spielt demgegenüber eine mE deutlich nachrangige Rolle bzw. ist eher eine vor allem im Rahmen dieser Ideologie nachträglich gestrickte Legende.
In Victorias Buch geht das, was bei einer populärwissenschaftlichen und - dem breiten nichtakademischen Publikum geschuldet - polemisch etwas überhöhten Darstellung nicht überrascht, leider etwas unter, während in Victorias Dissertation (Zen and japanese militarism: a critical inquiry into the roots of "imperial way-zen") die 1996, ein Jahr vor 'Zen at War' erschien, diese Beziehung ausführlich behandelt wird. So schreibt Victoria dort: "it should be clear that the involvement of Japan's two major Zen sects (i.e. Rinzai and Sōtō) in their country's war effort was not an isolated phenomenon, but rather, was one part, or subset, of the overall relationship between institutional Buddhism and the state in Japan". Das soll nun kein Verweis darauf sein, dass andere Buddhisten es genau so oder schlimmer getrieben haben als die Zennies - aber wenn dieser bedenkenlose Opportunismus Dich an Zen als Lebensweg zweifeln lässt, dann solltest Du Deinen Zweifel konsequenterweise auf den Buddhismus insgesamt - zumindest den institutionellen - ausdehnen.
Kōkoku Zen ist - oder war - eine Ideologie, die sowohl politische wie religiöse Versatzstücke enthält. Das dem Zen entlehnte Element ist vor allem die eigentümliche Zen-Diktion, die hier der propagandistischen Rechtfertigung politischer Ziele und der zu ihrer Umsetzung für notwendig gehaltenen Mittel dient. Dies eine "Übertragung von Zen auf das Politische" zu nennen, halte ich für völlig überzogen. Es handelt sich um einen Missbrauch von Zen-Rhetorik, begangen im Rahmen eines umfangreicheren Missbrauchs allgemein buddhistischer Rhetorik im Rahmen der Kōdō Bukkyō - Ideologie. Es ist eine ziemlich vergröberte Wahrnehmung von Victorias Buch wenn man meint, er würde da 'Zen' faschistische oder faschistoide Tendenzen nachweisen. Victoria kritisiert speziell Kōkoku Zen - und das ist eine Ideologiekritik, keine Kritik des Zen. Dass einige heute noch renommierte Zenlehrer da ihr Kesa ziemlich bekleckert haben (und gerade Blutflecken gehen nur schwer raus) tut dem keinen Abbruch. Dient durchaus der Desillusionierung.
Nun ist dieses Kōkoku Zen (wie Kōdō Bukkyō generell) aus einer ganz spezifischen historischen Situation heraus entstanden - aus Ursachen und Bedingungen, die nicht wiederholbar sind. Was nicht heisst, dass andere Ursachen und Bedingungen nicht zu ähnlichen Ideologien führen können. Darum geht es Victoria letzlich (und eben das ist auch Auftrag des Historikers): Immunisierung gegen solche Pervertierungen des Buddhadharma. Dass eine solche Immunisierung durchaus not tut, wurde in jüngerer Zeit vor allem in Sri Lanka und Myanmar sichtbar - stark buddhistisch geprägte Länder, jedoch ohne dass da nun ausgerechnet Zen einen merklichen Anteil an der dortigen Kultur hätte. Um aus einem 2003 in der Zeitschrift für Religionswissenschaft (Band 11, Heft 2) erschienen Artikel der Religionswissenschafterinnen Karénina Kollmar Paulenz und Inken Prohl zu zitieren: "Ebenso wie in europäischen Gesellschaften stellt auch in asiatischen Gesellschaften die Religion lediglich eine von mehreren Optionen dar, Handlungen theoretisch zu begründen. Buddhistinnen und Buddhisten haben neben einer pazifistischen Rhetorik auch Argumentationsmuster entwickelt, derer sich einzelne Individuen wie auch Kollektive bedienen, um ihr, auf eine Fülle weiterer Faktoren zurückzuführendes, gewalttätiges Handeln im Bedarfsfall zu rechtfertigen."
Du fragst nach Konsequenzen. Liegt die Konsequenz nicht auf der Hand? Die Gelübde ernst nehmen. kai soku zen. Sich nicht durch Vergünstigungen, Privilegien oder auch nur durch in Aussicht gestelltes staatliche Wohlwollen korrumpieren lassen und mit einem unheilsamen Regime kollaborieren. Solche Leute gab es ja auch - Victoria widmet Uchiyama Gudō als positivem Gegenbeispiel einiges an Platz in seinem Buch. Und als Zeichen, dass man aus der Geschichte auch lernen kann, übersetzt und zitiert Victoria in 'Zen, Nationalismus und Krieg' auf den Seiten 217-220 das 'Reuebekenntnis' (sanshabun), das am 18.01.1993 in Sôtô Shûhô (曹洞宗報, offizielle Monatszeitschrift der Sotoshu Shumucho) Nr. 688, S. 28-31 veröffentlicht wurde:
Zitat
"Wir, die Soto-Schule, haben seit der Meiji-Zeit und bis zum Ende des Pazifik-Krieges den guten Namen und Ruf unserer Aktivitäten [...] benutzt, um die Menschenrechte der Völker Asiens und insbesondere derjenigen Ostasiens zu verletzen. Dies geschah, indem wir mit den politisch Mächtigen [...] gemeinsame Sache machten und ihre finsteren Pläne unterstützten. [...] Dies alles haben wir aus unserem Glauben an die Überlegenheit des japanischen Buddhismus und der nationalen Politik heraus getan. Und nicht nur das, diese Handlungen, die die Lehren des Buddhismus mißachteten, wurden ausgeführt im Namen Buddha Shakyamunis [...]. Über diese Aktivitäten lässt sich nichts anderes sagen, als daß sie wahrhaft beschämend sind.
[...]
Wir schämen uns, [...] daß unsere Gemeinschaft seit der Meiji-Zeit an Kriegsaktivitäten beteiligt war - manchmal, weil wir uns dazu verführen ließen, mit dem Staat gemeinsame Sache zu machen, in anderen Fällen, weil wir dem Staat aus freien Stücken unsere Unterstützung anboten.
[...]
Wir haben es versäumt, selbstkritisch unsere eigene Kriegsverantwortung zu untersuchen, was wir eigentlich unmittelbar nach der Kapitulation im Jahre 1945 hätten tun müssen.
Obwohl die Soto-Schule sich des Gefühls, zu spät zu sein, nicht erwehren kann, möchten wir uns trotzdem noch einmal für unsere Nachlässigkeit entschuldigen und gleichzeitig auch dafür, daß wir in jenem Krieg mit den Kriegstreibern kollaboriert haben. [...] Wie wir wissen, lehrt der Buddhismus, daß alle Menschen als Kinder des Buddha gleich sind und daß sie weiterhin lebende Wesen sind, deren Würde aus keinem wie auch immer gearteten Grund von anderen beeinträchtigt werden darf. Trotzdem hat unsere Gemeinschaft [...] einen Angriffskrieg gegen andere Völker Asiens unterstützt, sich eifrig bemüht, mit den Kriegführenden zu kooperieren, und dieses unglückselige Geschehen auch noch als heiligen Krieg bezeichnet."
Sicher - 1993 ist spät genug. Aber nebenbei bemerkt - etwas Ähnliches, die Verstrickungen der christlichen Kirchen in den Faschismus (nicht nur den deutschen, auch den italienischen, spanischen, kroatischen ...) betreffend, ist zumindest mir nicht bekannt ...
Noch nachgetreten (sorry, ich kann's mir nicht verkneifen) - wenn man sich beispielsweise die aktive Mitarbeit katholischer Geistlicher in der Ustaša anschaut oder die antisemitische Hetze der 'Deutschen Christen' mit ihrem Reichsbischof Müller, dann ist man glatt in Versuchung, mal selbst etwas bullshit zu produzieren - z.B. mal eben flott zu formulieren, dass Christentum, auf das Politische übertragen, geradewegs zum Faschismus führt.
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