kilaya:
Warum Lamaismus nicht als Oberbegriff geeignet ist (historischer Kontext) wurde schon mehrfach erklärt.
"Erklärt" wurde überhaupt nichts. Jedenfalls nicht mir - nach meiner Wahrnehmung wurden lediglich irgendwelche diffusen Befindlichkeiten artikuliert. So hatte ich Dich vor mittlerweile einer Woche z.B. um eine Erklärung für diese Behauptung gebeten:
Sudhana:
kilaya:
Der Begriff wurde und wird überwiegend abwertend oder aus Unverständnis verwendet
Das hätte ich jetzt doch einmal gerne konkret belegt - alleine durch Insistieren und häufiges Wiederholen wird eine solche Behauptung ja nicht notwendig plausibel oder gar richtig.
- jedoch ohne Erfolg. Was mich, nebenbei bemerkt, nicht überrascht hat.
kilaya:
Es gibt den Begriff auch in der Mongolistik, das erhebt ihn aber nicht zu einem geeigneten Oberbegriff. So wie das katholische Christentum auch kein "Priesterismus" ist.
Wenn wir hier schon mit schiefen Vergleichen arbeiten, dann schon mit einem nicht ganz so schiefen: Katholizismus ist kein 'italienisches Christentum' und deutsche, polnische oder französische Katholiken sind keine 'italienischen Christen'. Nur mal so als Hinweis ...
Kommen wir jetzt doch noch mal zum "historischen Kontext". Dass 'Lamaismus' lediglich die Übertragung des chinesischen lamajiao 喇嘛教 (wörtl. 'Lehre der Lamas') ist, hatte ich ja schon angemerkt. Der Begriff bezeichnete in China die Form des Buddhismus, der die neue Herrschaftselite nach dem Untergang der Ming-Dynastie anhing und die sich von der sonst in China üblichen unterschied. Dass das dieselbe Form ist, die auch in Tibet vorherrschend ist, wusste man natürlich. Aber man wusste auch, dass Mandschu (und Mongolen) nun einmal keine Tibeter sind. Genau diesem Umstand - den Gemeinsamkeiten von tibetischem, mandschurischem und mongolischem Buddhismus und deren Unterschied zum Buddhismus der Han-Chinesen - trug man mit dem Begriff lamajiao Rechnung.
Das - dass diese Form des Buddhismus nicht auf Tibet beschränkt ist, sondern im gesamten Zentralasien und vom kaspischen Meer bis zur Pazifikküste des nordöstlichen China verbreitet ist - war auch Sándor Kőrösi Csoma bewusst, der den englischen Begriff 'lamaism' als Übersetzung von lamajiao in die westlichen Geisteswissenschaften einführte. Wem der Name nichts sagen sollte - Csoma ist der Begründer der Tibetologie, er verfasste als erster eine tibetische Grammatik und ein tibetisch-englisches Wörterbuch (1834). Und er war kein Schreibtischtäter - zwar gelangte er nicht nach Tibet selbst (die Einreise wurde ihm verweigert), aber nach Ladakh und nach Zanskar, wo er in ein buddhistisches Kloster eintrat. Er war auch der erste, der eine umfassende Darstellung des Kangyur, den er dort studierte, veröffentlichte und damit die spezifischen Lehren des Lamaismus im Westen bekannt machte. Das war 1835, nach einem über zehnjährigen Studium vor Ort. Das ist, wie gesagt, der Mann, dem wir den Begriff 'Lamaismus' verdanken.
Csomas 'Analysis of the Kandjur' war das Standardwerk über den Lamaismus bis zum Erscheinen von Laurence Austin Waddells 'The Buddhism of Tibet or Lamaism' 1895. Waddell war eigentlich Arzt im englischen Indian Medical Service, er bereiste insbesondere im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts Sikkim und die nepalesisch-tibetische Grenzregion, 1903-1904 war er Teilnehmer der sog. Younghusband-Expedition nach Tibet, 1906-1908 Professor für Tibetisch am University College of London, danach widmete er sich der sumerischen Kultur. Nicht unerwähnt bleiben darf natürlich Giuseppe Tucci, einer der bedeutendsten Orientalisten überhaupt, ohne dessen Editionen und Übersetzungen (aus dem Sanskrit, dem Tibetischen und dem Chinesischen) der heutige Wissensstand über den Mahayana-Buddhismus ein deutlich niedrigerer wäre. Insbesondere zwischen 1932 und 1950 arbeitete er über Tibet; mit Feldarbeit 1933 und 1935 in Westtibet, 1937 und 1939 sowie 1948 in Zentraltibet einschließlich Lhasa. Hauptwerke dieser Schaffensperiode seine sieben Bände Indo-Tibetica (1932 - 1941 erschienen) und sein 'Tibetan Painted Scrolls' in zwei Bänden (1949). 1970 veröffentlichte er zusammen mit dem Mongolisten Walther Heissig auf Deutsch 'Die Religionen Tibets und der Mongolei' - seither und bis heute Standardwerk über den Lamaismus.
Das ist der historische Kontext des Begriffs 'Lamaismus' - die drei genannten außergewöhnlichen Wissenschafter stehen nur für die wichtigsten Stationen seiner Begriffsgeschichte. Dazu mal grundsätzlich: entwickelte Begriffe sind das Werkzeug des Geisteswissenschaftlers und wie andere Werkzeuge auch entsorgt man Begriffe erst dann, wenn einem ein geeigneteres Werkzeug zur Verfügung steht. Und vor allem nicht nur aus dem Grund, weil irgendwelche Schwachmaten es sich herausnehmen, ebenfalls damit herumzuhantieren. Und nein - 'tibetischer Buddhismus' ist kein geeigneterer Begriff. Es ist ein ethnozentrischer Begriff, der seine Berechtigung für den tibetischen Kulturkreis hat - aber nicht für den mongolischen oder den Nordosten Chinas. Es mag ja hier im Westen Menschen geben, die sich als "tibetische Buddhisten" fühlen - quasi als Tibeter ehrenhalber. Es sei ihnen gegönnt, so lange sie nicht auch Angehörige anderer nichttibetischer Kulturen ungefragt dazu erklären. Aber es sei ihnen auch geraten, sich bewusst zu machen, dass der Überblick, den sie zu haben glauben, daher rührt, dass sie auf den Schultern von Riesen sitzen. Diesen wiederum pauschal "Abwertung" oder gar "Unverständnis" zu bescheinigen, zeugt mE eher davon, dass es mit dem Überblick nicht ganz so weit her ist.
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