Beiträge von Sudhana im Thema „Wie viel Buddhismus ist im Zen!?“

    Zunächst einmal musst Du Dir klar machen, dass Du bei Deiner Frage implizit von einer bestimmten Voraussetzung ausgehst. Nämlich der, dass "Buddhas Worte" im Palikanon überliefert sind und dieser somit die Referenz dafür ist, was "buddhistisch" ist und was nicht. Das kann man glauben - und wenn man das tut und sich dann der Praxis des Buddhismus zuwendet, sollte man das im Rahmen einer Theravada-Sangha tun, da teilt man diesen Glauben mit Anderen.


    Rein wissenschaftlich ist dieser Glaube allerdings unhaltbar. Zwar ist der Palikanon der am frühesten schriftlich fixierte buddhistische Kanon - allerdings hatte die buddhistische Lehre da schon einige Jahrhunderte der Entwicklung hinter sich. Textkritische Untersuchungen zeigen, dass der Palikanon nicht "in einem Guß" entstand, sondern selbst Ergebnis eines historischen Entwicklungsprozesses ist. Da ist zunächst die Abfassung in Pali (das nicht die Sprache ist, die der historische Buddha gesprochen hat), also wurden da ältere (mündlich überlieferte) Texte in die Sprache Pali übersetzt. Darüber hinaus wurden die überlieferten Texte redigiert - d.h. es gab Umstellungen, Zusammenfassungen, Umformulierungen (z.B. um Texte besser memorieren zu können) - und es gab auch Weglassungen (z.B. von Texten, die in das Lehrgebäude nicht so recht passen wollten oder als missverständlich angesehen wurden) und Hinzufügungen (z.B. um bestimmte Punkte zu verdeutlichen). Das alles lässt sich wissenschaftlich durch den Vergleich von Texten des Palikanon mit den erhaltenen Texten anderer, historischer Schulen vom sog. Hinayana-Typ nachweisen. Was sich nicht wissenschaftlich nachweisen lässt, das ist, was davon nun tatsächlich "Buddhas Worte" (im Sinne wörtlichen Zitierens) sind.


    Nochmals: wenn Du darauf bestehst, dass der Palikanon die einzig orthodoxe buddhistische Lehrüberlieferung darstellt, kannst Du das ganze Thema ad acta legen. Dann ist Zen unorthodox und die Frage, wie viel davon nun "buddhistisch" (nach dem ausschließlichen Maßstab des Palikanon) ist und was davon (nach demselben Maßstab) "unbuddhistisch" ohne jede praktische Bedeutung.


    Zen ist als eigenständige buddhistische Tradition in China entstanden und bezieht sich somit natürlich nicht auf den Palikanon, sondern (soweit es sich auf Schriften bezieht) auf den chinesischen Tripitaka. Dieser enthält neben Mahayana-Sutren auch die Übersetzung des (im Original nur in Bruchstücken erhaltenen) sog. nördlichen Kanon - die vier Agamas, die den Nikayas des Palikanon entsprechen, allerdings von unterschiedlichen (Hinayana-)Schulen, insbes. Mahasanghika und Sarvastivada. Dazu die Vinayas und Abhidharmas mehrerer(!) Hinayana-Schulen - wobei der Dharmaguptaka-Vinaya und der Sarvastivada-Abhidharma von besonderer Bedeutung für den ostasiatischen Buddhismus sind. Der Buddhismus kam ja von Nordindien (seinem Entstehungsgebiet) über Zentralasien nach China - nicht von Ceylon aus, wo sich die Theravada-Schule etabliert hatte. Damit natürlich auch in Form der in Nordindien gebräuchlichen Schrifttradition, nicht der südindisch / ceylonesischen.


    Entscheidend bei der Frage, ob eine Schulrichtung "buddhistisch" ist, ist - wenn man nun nicht gerade ein dogmatischer Theravadin ist - also nicht die Orientierung am Palikanon, sondern an den von den verschiedenen Schrifttraditionen gemeinsam überlieferten Inhalten; das "Kernholz des Bodhi-Baumes". Ein mE brauchbarer Ansatz dazu ist z.B. das "Buddhistische Bekenntnis" der Deutschen Buddhistischen Union, das in Kurzform darstellt, was buddhistische Traditionen gemeinsam haben - und was nach dem Selbstverständnis der Deutschen Buddhistischen Union somit definiert, was buddhistisch ist: Triratna (die drei Zufluchtsobjekte), Aryasatya (die vier Edlen Wahrheiten), Trilaksana (die drei Seinsmerkmale und deren Aufhebung im Nirvana), Pancasila (die für Laien und Ordinierte gültigen fünf ethischen Verhaltensregeln) und die Brahmavihara (die vier zu entfaltenden Geisteshaltungen). Eine Praxisgemeinschaft, die sich selbst der Zen-Tradition zurechnet, dürfte mit keinem dieser Punkte ein Problem haben. Falls doch, ist es äußerst fraglich, ob das, was da getrieben wird, tatsächlich Zen ist.


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