Beiträge von Doris im Thema „Enge Schüler von Sogyal Rinpoche erheben schwere Vorwürfe gegen ihn“

    Es wird immer wieder von Muslimen gefordert, sich unseren Gepflogenheiten anzupassen, das Schlagen einer Frau, auch wenn die Rechtfertigung dem Koran entnommen wird, betrachten wir als rückständig, frauenverachtend und inakzeptabel, aber wenn es Tibeter machen, dann soll das in Ordnung gehen, weil es ihrer Kultur entspricht? Ich verstehe diesen Widerspruch nicht und kann ihn nicht akzeptieren. Für einen Tibeter gilt dasselbe wie für einen Muslim, der in unser Land kommt: Er hat die Landesgesetze zu beachten.
    Wenn Choenyi das nicht persönlich genommen hat, dann ist das für mich in Ordnung. Es war wahrscheinlich auch nicht persönlich gemeint. Dennoch halte ich eine solche Erziehungsmaßnahme für inakzeptabel. Man kann auch erklären, dass man nicht über die Schriften drüberläuft. Ich verstehe den Respekt für "totes Papier", der ja auch aus der Tatsache resultiert, dass Bücher früher unendlich mühsam in der Herstellung waren und eine Seltenheit. Man hat diese Kostbarkeiten mit großer Umsicht behandelt, umso mehr, als ihr Inhalt den Leuten besonders wertvoll und erhaltenswert erscheinen. Der Respekt für den Dharma wird auf die Gegenstände erweitert, die ihn repräsentieren. Das machen alle Kulturen so. Wir tapsen für gewöhnlich auch nicht mit unseren fettigen Wurstlfingern auf einem Van Gogh herum, und tun wir es doch, dann wird sich kaum einer der Umstehenden empören, wenn der Museumswächter diesen vor die Tür setzt und notfalls am Krawattl packt. Aber diese Renitenz war bei Choenyi sicher nicht gegeben. Von daher war eine Ohrfeige unangemessen. Die Tat war wohl dem Temperament und dem Selbstverständnis des Mediziners geschuldet, und dieses Verhalten womöglich durch die Ideologie seiner Kultur gestützt. Aus meiner Sangha kenne ich so was allerdings nicht. Es muss also auch eine alternative Haltung geben. Wahrscheinlich wie bei uns, wo manche meinen, dass eine Ohrfeige nicht schade und andere meinen, dass das gar nicht ginge.

    Da ich praktisch veranlagt bin, habe ich das Problem der Lesbarkeit damit gelöst, dass ich mir den Text kopiert, in mein Layoutprogramm geladen und es in einer Schriftgröße formatiert habe, die gut lesbar ist. Dann habe ich das ausgedruckt. Also old school. So lässt es sich prima mit dem Text arbeiten, Anmerkungen und Unterstreichungen machen und immer wieder Stellen vergleichen und man verliert das Große Ganze nicht aus den Augen. :idea:

    Mir fällt da gerade was ein.
    Vor ein paar Tagen – ich weiß bloß nicht von wem oder wo – habe ich gelesen, dass ein sehr angesehener Lehrer schrieb, dass es ab einem bestimmten Zeitpunkt der Erkenntnis, also der "Erleuchtung" es völlig normal sei, dass wir Hochmut entwickeln. Das geschehe quasi standardmäßig und jedem, ohne Ausnahme, auch ihm.


    Betrachtet man das, dann wird auch das Guru-Prinzip verständlicher. Wir können das anhand der Aufgaben ersehen, die Tilopa an Naropa stellte, bevor er ihn als würdig erachtete Mahamudra zu lehren. Erst musste Naropa, der hochgelehrte Universitätsdekan, dazu bereit sein, den letzten Rest Stolz aufzugeben, Tilopa völlig zu vertrauen, um mit ihm den hartnäckigen Rest des Egos aufzulösen.


    Deshalb ist es der absolute Wahnsinn in meinen Augen, wenn die Jungadepten, und dazu zähle ich auch mich, gleich so ein Verhältnis anstreben und der Lehrer das auch noch ausnutzt, statt zurückzuweisen.

    Zitat

    Nalanda University in India was one of the oldest universities in the world. It was at Nalanda that one thousand four hundred years ago, scholars confirmed that there is no such thing as an atom, or a ‘smallest particle’, or a god that inherently exists; and these scholars would have laughed heartily at today’s theories about the Big Bang and democracy. My point here is that at Nalanda University there was absolutely no room for sentiment or blind devotion or blind belief.


    Ich übersetze mal:


    "Die Universität von Nalanda in Indien war einer der ältesten Universitäten der Welt. Es war Nalanda, wo vor 1400 Jahren, Gelehrte verkündeten, dass es kein Ding wie ein Atom gäbe oder einen "kleinsten Bestandteil", oder dass ein Gott existieren würde; und diese Gelehrten hätten herzlich über die heutige Big-Bang-Theorie gelacht und über Demokratie. Aus meiner Sicht gab es an der Universität absolut keinen Raum für Sentimentalität oder blinder Unterwürfigkeit oder blinden Glauben."


    Ich lese das als kurze Skizze wie die Leute dort drauf waren: Auf der einen Seite total modern, auf der anderen Seite für unsere Sichtweise völlig rückständig (woraus sich das historische Missverständnis des Guru-Prinzips heute erklären lässt).
    Im Kontext zu sehen ist auch, dass Naropa der Dekan dieser Universität war, also ein erfahrener und höchst angesehener Philosoph, kein Anfänger und kein suchender Wirrling; mit den Gepflogenheiten seiner Zeit bestens vertraut, eingebettet in das kulturelle und historische Umfeld.


    Man beachte weiter den Kontext, also die Schilderung, dass Naropa unzufrieden mit den philosophischen Disputationen in Nalanda war, sich auf die Suche nach dem Lehrer Tilopa begab, und die beiden für unsere Wahrnehmung, ein echt schräges Verhältnis zueinander pflegten. Der nüchterne Naropa wird zum hingebungsvollen Schüler, der Tilopa vollkommen vertraut und von diesem zu schrägen Handlungen aufgefordert wird. Und wer kennt sie nicht, die Geschichte von der Erleuchtung des Naropa, als Tilopa ihm eine Sandale über die Birne zieht?


    Ich vermute, dass der Autor darauf hinaus wollte. Also zeigen, wo der Ursprung des Guru-Prinzips liegt, und wieso das heute derart missverstanden werden kann und solche Blüten treibt. Da geht es meiner Lesart nach, überhaupt nicht um ein Lächerlichmachen der Demokratie.

    kilaya:

    Damit hier die Diskussion nicht entgleitet werde ich Dir temporär (!) die Schreibrechte im tibetischen Bereich entziehen, damit dieses schwierige Thema nicht überlagert wird.


    Ich mein, wenn es offensichtlich ist, dass die wenigsten Vajrayanis das Konzept verstehen, umso mehr wird es verständlich, dass es jemand in den falschen Hals bekommen muss, der damit nichts am Hut hat.
    Und vorschnelles Urteilen, davon sind die wenigsten von uns frei.
    Ich halte übrigens auch die Widerborstigkeit, die in solchen Aussagen steckt, für sehr hilfreich. Bringt sie einen doch dazu, genau nachzudenken und sich ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen.
    Ich habe ohnehin das Gefühl, dass die Vajrayanis die Guru-Geschichte nicht wirklich durchdenken, sondern sich gerne darauf stürzen. Und wenn dann Bedenken auftauchen, wird das mit "Das könnt ihr nicht verstehen" abgetan und setzt sich nicht mit seinen Unzulänglichkeiten auseinander. Damit tut man sich selbst keinen Gefallen.


    Darum könnte das was mit Sogyal geschehen ist, auf Dauer eine heilsame Entwicklung fördern.

    Ich möchte dazu noch eine Geschichte erzählen, die uns vor einigen Jahren Garchen Rinpoche aus seiner Jugend erzählt hatte (das ist sinngemäß wiedergegeben und wie ich es verstanden habe):
    Es gab einen Lehrer, der muss wohl ein recht garstiger Unsympath gewesen sein, keiner ging gerne zu ihm. Nun hatten der junge Garchen und seine Mitbrüder einen sehr netten und beliebten Lehrer, den alle schätzten. Dieser kündete an, dass es nun Zeit sei, zu jenem anderen Lehrer zu gehen und dort weitere Studien zu betreiben. Das passte den jungen Mönchen gar nicht und sie maulten herum. Der beliebte Lehrer aber sagte, sie sollten dieselbe hohe Sicht auf den Unsympath haben wie auf ihn.
    Und in der Tat konnten sie viel von diesem Lehrer lernen.


    Wird nicht oft gesagt, dass wir über jeden Feind glücklich sein sollten, weil er so selten sei und wir eine Menge lernen könnten? Das bedeutet natürlich nicht, dass wir uns über Fehlverhalten freuen sollten, sondern es besagt nur, wie wir diese Dinge, die nicht in unserer Hand liegen, und die uns dennoch begegnen werden, betrachten und sie für unsere Entwicklung nutzbar machen können.

    Ich möchte dem beipflichten.
    Aus der ersten Sangha, Diamantweg, bin ich weg. Ich konnte mit dem ganzen nicht übereinstimmen. Dennoch bin ich dankbar für die Dinge, die ich dort lernen durfte und bin auch Lama Ole dankbar. Jahre vorher habe ich ganz unbedarft das Buch von Sogyal gelesen, und es hat mir damals recht gut geholfen. Auch dafür bin ich dankbar. Das wird sich nie ändern.
    Und das ändert überhaupt nichts an meiner Kritik und Sicht auf das Verhalten.

    Tychiades:


    Der Fall Sogyal und andere machen mir deutlich, dass nicht das Verhalten die Verwirrung stiftet, sondern Verwirrung ist die Voraussetzung, dass so ein System und Verhalten Bestand hat. Die Leute kommen verwirrt dorthin und hoffen auf Klarheit und ihre Verwirrung wird ausgenutzt, weil mal nur in dieser Verwirrung derartiges mit ihnen machen kann. Und es braucht lange, bis sie das dann selbst merken.


    Genau das meine ich auch.
    Dabei geht es nicht nur um Verwirrung im buddhistischen Sinne, also Verblendung.
    Das ist ganz "weltlich". Es geht um die Verwirrung, was man möchte und was man nicht möchte. Es geht darum, was aus Zuneigung geschieht und was aus Eigennutz. Es geht um die Verwirrung bezüglich der eigenen Grenzen.


    Wer diesbezüglich Klarheit hat, das was man allgemein als "gesundes Selbstvertrauen" hat, der wird nicht allzu leicht zu manipulieren sein. Aber jeder der mit einer gewissen Bedürftigkeit, mit Verunsicherung und mangelndem Selbstwertgefühl zu so jemandem stösst, der ist missbrauchbar (Das Wort "Verführung" passt nicht in diesen Kontext, denn Verführung impliziert, dass man zu etwas geführt wird, das man eigentlich auch möchte. Hier will man aber eigentlich etwas ganz anderes, nämlich z.B. Zuneigung, Anerkennung, Liebe, Freundschaft, spirituellen Fortschritt.).


    Es gibt nur allzuviele Leute, die aus so einem System nicht mehr herausfinden. Sie werden Teil des Systems und tragen es weiter. Andere gehen buchstäblich daran kaputt.

    Zitat

    Da werden sicher noch jede Menge Leute drauf abfahren, da die Dummheit ja schwer auszurotten ist.


    Das einfach als "Dummheit" abzutun, finde ich recht oberflächlich.


    Die Mechanismen sind wesentlich vielfältiger und greifen in der Regel besonders gerne, bei Menschen, die bereits in ihrem Leben gelernt haben, dass sie "Sexualität geben" können, oder besser geben müssen, um Anerkennung zu erhalten. Das trifft insbesondere Frauen, die schon als kleine Mädchen gelernt haben, dass ihr Körper Begehrlichkeiten weckt. Dazu muss kein sexueller Missbrauch stattgefunden haben, das ist ein strukturelles Problem patriarchaler Strukturen. Den "Körper zu geben" wird als "nettes, einem Mädchen zugehörendes" Verhalten zugeordnet. "Sei froh, dass dich jemand anschaut" ist so ein Satz, der bei vielen Frauen im Hinterkopf schlummert. "Papis Engelchen, Papis liebes Mädchen", "Gib dem Onkel/der Tante ein Küsschen", "Du musst hübsch sein" … es gibt unendlich viele Botschaften, die Mädchen im Laufe ihres Lebens hören, und die dazu beitragen, dass die Grenzen aufgeweicht werden oder gar nicht mehr spürbar sind.


    Das fatale an der Sache mit Sogyal ist, dass die Subtilität enorme Verwirrung stiftet. Das kann weitaus schlimmer sein als die Vergewaltigung im dunkeln Wald durch eine fremde Person. Denn im ersten Fall wird die Eindeutigkeit von Recht und Unrecht, von Gewalt, ausgehebelt. Diese Vergehen werden ganz oft nicht angezeigt, weil das Opfer gar nicht recht weiß, was ihm geschehen ist, weil es sich schuldig fühlt und meint es sei selbst schuld, weil es meint, das sei ein Missverständnis gewesen und und und. Und letztlich, weil es vermutet, und das sehen wir immer wieder, dass ihm niemand Glauben schenkt, dass es als "dumm und naiv" abgestempelt wird, dass man über es lacht, dass man ihm Rache unterstellt, eine "nervöse Störung" oder ähnliches. Es wird gefragt, warum es nicht Nein gesagt hat. Ihm wird gesagt, dass es froh sein sollte, es könne gar nicht so schlimm gewesen sein, schließlich war es kein Fremder … Und ganz übel: der Körper reagiert einfach, das ist wohl eine Überlebensstrategie. Das heißt, es kann sogar bei einer offensichtlichen Vergewaltigung vorkommen, dass das Opfer Lustgefühle verspürt. Das ist wahrscheinlicher, wenn es in einem Missbrauch mit einer vertrauten Person vorkommt. Das macht unheimliche Schuldgefühle und Selbstekel, es verwirrt komplett.


    Und dann gehe mal damit an die Öffentlichkeit. Gehe damit zur Polizei. Damit geht man nicht einmal zur besten Freundin. Vor Gericht schon gleich gar nicht.

    Zitat

    “Your physical abuse – which constitutes a crime under the laws of the lands where you have done these acts – have left monks, nuns, and lay students of yours with bloody injuries and permanent scars.”


    Zitat

    “You use your role as a teacher to gain access to young women, and to coerce, intimidate and manipulate them into giving you sexual favors. The ongoing controversies of your sexual abuse that we can read and watch on the Internet are only a small window into your decades of this behavior.”


    Englischkenntnisse sind von Vorteil. Ein Wörterbuch kann Unklarheiten beseitigen – sofern man das überhaupt möchte.

    Ich verstehe nicht, warum das mit dem Guru relativiert werden sollte.
    Schon von Anfang an wird gelehrt: "Der eigentlich Guru bist Du selbst."
    Mir wurde gesagt, wenn ich mich vor dem Lehrer verbeuge, wenn ich diesen als Guru und Buddha sehe, dann verbeuge ich mich vor mir, dem Guru und dem Buddha in mir.
    Das ist eindeutig und das muss man sich immer wieder vor Augen führen. Dann kann diese Vergöttlichung nicht geschehen, und dennoch können Hingabe und Demut entstehen. Wenn ich dem folge, dann verbeuge ich mich vor dem Guru in Gestalt des Lehrers, vor dem Guru in mir. Wir sind auf einer Ebene. Dann ist jede Frage, die ich dem Guru stelle, eine Frage an mich. Mit allen Konsequenzen.
    Das muss man nicht einmal von Anfang an verstehen, man muss es sich nur immer vergegenwärtigen. Das bremst blinden Gehorsam ebenso aus wie Hochmut.


    Ich glaube, dass viele Probleme entstehen, weil sowohl der Dharma als auch der Lehrer immer auf alles bezogen wird. Es geht aber in der Beziehung zum Lehrer nicht darum, welches Haus ich kaufen soll und wie die Farben meiner Unterhosen sein sollen. Wenn man aber meint, das ganze Leben auf den Lehrer in dieser Weise auszurichten, und alle Antworten auf alles von ihm zu erhalten, dann wird das gefährlich.

    kilaya:

    Vielleicht machen das Mönche wirklich nicht. Aber LON ist nie ordiniert gewesen...


    Als ich Garchen Rinpoche, den ich im Jahr vorher nur kurz und von der Ferne aus sehen konnte, das erste Mal richtig begegnet bin, nahm er meinen Kopf in seine Hände und legte seine Stirn auf meine. Zum Abschied winkte er mich zu sich, offensichtlich hat er gemerkt, dass ich mich nicht traute, obwohl es alle anderen so taten, wir umarmten uns und er sprach währenddessen einen Segen. So ist das in unserer Sangha. Man berührt sich sehr wohl, auch Mann und Frau.

    mukti:
    Doris Rasevic-Benz:

    Man denke nur an die Sonnentempler, an Jonestown u.a. Scientology ist auch so gestrickt. Jeder fragt sich, wie das geschehen konnte, und ob die Leute das nicht gemerkt haben. Aber im Grunde handelte es sich um dasselbe Phänomen mit denselben Mechanismen, und fast jeden kann es treffen.


    Fast jeden glaube ich nicht, es werden schon bestimmte Voraussetzungen und Veranlagungen dazu nötig sein. Andererseits, wenn man bedenkt dass sich große Teile einer Bevölkerung von einem Diktator zu unfassbaren Dingen hinreißen lassen, sind diese unheilsamen Anlagen wohl nicht gerade selten.


    Du kennst doch das berühmte Milgrim-Experiment. Es gibt viele ähnliche. Die Teilnehmer sind liebe, nette Leute, die sich nie was zuschulden kommen ließen und das wohl auch nie wieder tun würden. Mit Sicherheit waren sie entsetzt über sich selbst.


    Manche denken: "Ach, ich wäre in so einer Diktatur dann ohnehin in der Opposition. Mir kann da nix passieren." Aber solche Mechanismen findet man auch in der Opposition, sogar im Gefängnis, in den Lagern und auch unter den Gefangenen. Und vergessen wir nicht, das sich Scientology beispielsweise als oppositionell definiert, als Widerstand gegen das etablierte System.
    Es werden einfach bestimmte menschliche, angeborene Mechanismen ausgelöst. Deshalb muss jeder auf sich achten und seinen Verstand benutzen. Es gibt Situationen, in denen wir in Gefahr laufen unseren Verstand und unser Mitgefühl zu verlieren. Ich finde es hochmütig, sich da nicht selbst zu hinterfragen.

    Du nimmst mir die Worte aus dem Mund, sudhana.


    Das mit dem "Zulassen" ist nicht so einfach.
    Auch stabile und selbstbewusste Menschen können in solche Situationen kommen.
    Das geht ja nicht von einem Moment zum anderen, sondern da findet mehr oder weniger subtile Indoktrination über längere Zeiträume statt.
    Es gibt mittlerweile so viele Versuche, die zeigen, wie anfällig wir alle sind, weil es eben gewisse, vermutlich angeborene Mechanismen gibt, die ohne dass wir es durchschauen zum Einsatz kommen. In der Marktforschung und dann im Verkauf wird das derart ausgearbeitet angewendet, dass sich dem niemand wirklich entziehen kann, es sei denn, er kennt alle diese Tricks und nimmt die Mühe auf beim Gang durch den Supermarkt alle genau anzuschauen und sich dem entgegenzustemmen.


    Mit der Manipulation in Sanghas ist es nicht anders. Ich glaube nicht, dass sich diese Lehrer eine Strategie zurechtlegen und alles bis ins Kleinste planen, wie es der Supermarkt macht. Ich glaube, dass sich so ein Lehrer allmählich herantastet und ein Gefühl dafür entwickelt, was geht und was nicht geht. Natürlich gehört dazu neben mangelnder Selbstreflexion eine Portion Talent dazu. Charisma ist wohl nicht einfach zu erlernen. Jedenfalls scheint es mir so, dass es sich um eine selbstregulierendes System handelt, eine Art soziale KI. Nur eben dysfunktional, aber erschreckend gut funktionierend.


    Und so wächst die Sangha mit dem Wachstum der Manipulationsfähigkeit des Lehrers mit. Korrektive werden umgedeutet und/oder verworfen. Zweifler werden erst sanft und dann aggressiver herausgedrängt. Die Gruppe fängt an sich zu isolieren und in einer selbstreferenziellen Blase zu leben. Auch dafür wird eine ideologische Erklärung gefunden, Abgrenzung halt.
    Wenn jemand Zweifel äußert, dann wird er verunsichert, z.B. indem ihm suggeriert wird, dass seine Zweifel, Teil seiner Krankheit oder Verblendung seien.


    Ich könnte ewig weiter aufzählen, was ich da so beobachtet habe …


    Wenn jemand einen Leidensdruck entwickelt, der ihn dann dazu bringt die Gruppe zu verlassen, kann er bei der Aufarbeitung nachträglich seine eigene Verwicklung erkennen. Aber die ist nicht schuldbehaftet und dient in erster Linie dazu, wieder einen klaren Kopf zu bekommen und künftig sensibler für die Signale zu werden.


    Wir haben in Deutschland eine ganz massive Manipulation erlebt, die zu einer Katastrophe ungeahnten Ausmaßes führte. Da ist nicht viel anderes geschehen, nur dass der Maßstab und die Folgen verheerender und ungeheuerlich waren. Dennoch würde ich es nicht harmloser machen als es ist. Man denke nur an die Sonnentempler, an Jonestown u.a. Scientology ist auch so gestrickt. Jeder fragt sich, wie das geschehen konnte, und ob die Leute das nicht gemerkt haben. Aber im Grunde handelte es sich um dasselbe Phänomen mit denselben Mechanismen, und fast jeden kann es treffen.

    void:
    Doris Rasevic-Benz:


    Das hat man damals auch zu mir gesagt: Affentheater.


    Aber warum geibt es ein Affenteater? Weil man alle möglichen Skandale über jahrzente lang unter den Tisch gekehrt hat. Die ersten Vorwürfe gegen Sogyal Rinpoche gab es bereits, 1994, also vor 23 Jahren.


    Das die Situation zu so einem öffentlichen Spektakel eskaliert, liegt daran, dass man sie nicht rechzeitig beendet hat, wo das gegeangen wäre, ohne ein "Affentheater" daraus zu machen.


    Da steckt eben der Denkfehler.
    Solche Systeme haben die Eigenschaft lange unter den Tisch gekehrt zu werden. Und es wird nicht weniger schlimm, wenn es schon vor zehn Jahren beendet worden wäre. (Aufgedeckt war es schon immer, da offensichtlich, aber es wurde gedeckelt und verharmlost. Die Leute waren verwirrt und wurden verwirrt.) Es ist das Merkmal dysfunktionaler Systeme, dass sie längere Zeit funktionieren. In jeder Diktatur ist das so. Gestürzt wird das immer nur durch einen Mordsknall, ein "Affentheater". Für das Opfer ist es immer schlimm, ob es eines ist oder ob es sich um zehn handelt.


    Was jetzt geschieht ist kein Affentheater. Das ist ein verächtlicher Ausdruck, der dem Sachverhalt nicht angemessen ist. Das impliziert nämlich auch, dass jeder, der sich jetzt damit beschäftigt, ein Affentheater vollführt, also auch ein Affe ist.
    Vielleicht sollte man sich mal überlegen, welche Ausdauer es einem Menschen abverlangt, so lange gegen die Windmühlen zu kämpfen und auf diese Missstände hinzuweisen. Man stellt sich damit gegen die Mehrheit und muss mit allen möglichen Anfeindungen rechnen. Und wir erleben ja gerade, was einem da für ein Wind entgegen weht.