Beiträge von Sudhana im Thema „Zweite edle Wahrheit“

    Tychiades:

    auf S. 65 schreibt er von einer ungeheueren Kraft, die alles Lebendige, .... bewegt. Diese Kraft sei der Wille, das Verlangen und erzeuge sich selbst weiter und schafft Wiedergeburt. Und diese Kraft nennt er dann auch "an sich", die erzeuge dann auch aus einem Kind, in dem alle Möglichkeiten vorhanden seien, einen vollgültigen Menschen, an sich oder aus sich selbst. S.66


    An dieser Stelle bin ich dann auch ins Stutzen geraten, denn natürlich hat ein Keim alle Möglichkeiten eines Baumes in sich - aber es braucht Bedingungen, die dann was "erzeugen" bzw. hervorbringen. Und da ist also nichts in sich.


    Kommt da bei ihm nicht durch die Hintertür wieder so ein "atman" herein? Er nennt das Kraft an sich. Oder "Wille". Chinesen haben da ein Qi? :)

    Mit Bedingungen und Ursachen alleine ist es nicht getan - es muss eine Kraft / Energie hinzutreten, so dass diese wirken, d.h. dass sich dieser Ausgangszustand von Bedingungen und Ursachen in einen anderen Zustand wandelt, der selbst wiederum Ausgangszustand weiteren Wandelns ist, so lange die Wirkungsenergie nicht erschöpft ist.


    Wovon hier die Rede ist, ist cetana, das sich unserer Selbstwahrnehmung als 'Wille' oder 'Intention' darstellt. Das ist insofern problematisch, als in unserer Vorstellung Wille in aller Regel mit etwas / jemandem verbunden ist, das / der diesen Willen 'hat' - und da gerät man leicht in die Falle einer atman-Sicht. cetana ist einer der universellen Faktoren jedes mentalen Akts, die Theravadin listen in ihrem Abhidhamma 7 solcher Faktoren, im (Sarvastivada-)Abhidharmakośa-bhāṣya werden zehn genannt, im Cheng weishi lun (dem Hauptwerk des chinesischen Yogacara) fünf - in allen diesen Systemen ist cetana einer der Faktoren. 'Unpersönlicher' könnte man das als Impuls bezeichnen. Es ist der Faktor, der bewirkt, dass 'sich etwas tut' - d.h. dass das Sein nicht statisch, sondern dynamisch ist, anitya. Noch abstrakter könnte man es als den 'Vektor des Ergreifens' bezeichnen. Insofern ist cetana die karmische Energie, die das Rad von Samsara dreht. Daher setzt Buddha in der bekannten Stelle im Nibbedhika Sutta (AN 6.63) cetana mit karma gleich: Cetanāhaṃ bhikkhave kammaṃ vadāmi. Cetayitvā kammaṃ karoti: kāyena, vācāya, manasā. ("Den Willen, ihr Bhikkus, nenne ich Karma. Wollend wird Karma erzeugt: durch Körper, Sprache und Geist.")


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    RainerZufall:

    ich habe schwierigkeiten eine stelle im pali-kanon zu verstehen

    Nun - was Du zitierst, steht ja nicht im Palikanon, sondern in Nyanatilokas 'Das Wort des Buddha'. Nyanatilokas Hinweise sind recht knapp; das Buch ist eher als eine Art Wegweiser durch den Suttapitaka des Palikanon gedacht, wo man dann einzelne Punkte der Lehre (die Nyanatiloka systematisch geordnet hat) vertieft und im Kontext der Sutten studieren kann. Möglicherweise ist Nyanatiloka für einen 'Einstieg' nicht so ganz geeignet.


    Statt jetzt selbst über die zweite edle Wahrheit zu räsonnieren (das Thema sprengt ohnehin den Rahmen eines Postings) möchte ich alternativ Walpola Rahulas 'Was der Buddha lehrt' empfehlen. Die zweite edle Wahrheit wird dort im 3. Kapitel (S. 60 ff) behandelt. Das könnte Dir mehr 'Hintergrund' geben als Nyanatiloka - bzw. einen Hintergrund, um Nyanatiloka und die Sutten, auf die er verweist, besser zu verstehen. Sinnvoll ist es dann auch, sich in diesem Zusammenhang mit der anatta-Lehre zu befassen (6. Kapitel, ab S. 91). Paticcasammuppada ('Bedingtes Entstehen') wird dort ab S. 94 etwas ausführlicher (wenn auch bei weitem nicht erschöpfend) behandelt.


    Grundsätzlich hat accinca recht

    Zitat

    Richtiges Sehen erfolgt erst später auf dem rechten achtfachen Pfad durch Übung.

    - gerade paticcasammuppada ist einer der schwieriger zu verstehenden Aspekte der Lehre. Da reicht intellektuelles Studium alleine nicht aus - das wäre nur ein Teil des pañña-Aspekts des achtfachen Pfades. Pañña ('Weisheit') ist nicht nur intellektuelles Verstehen, sondern auch mit Einsicht gepaart. Dazu bedarf es der Ergänzung durch die anderen Aspekte des achtfachen Pfades, sīla und samādhi. Diese drei Aspekte befruchten und vertiefen sich wechselseitig - und davon profitiert auch das intellektuelle Verständnis.


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