Beiträge von Sudhana im Thema „Reines Land Schulen / Amida/Amithaba / Phowa“

    nabnab:

    Ich glaube in diesem Zusammenhang über die Weltreligionen hinweg eine Entwicklung auszumachen, die in Richtung bedingungsloser Erlösung für alle geht. Diese Bedingungslosigkeit ist im Amidismus noch nicht vollständig entwickelt - persönlich hoffe ich aber, dass sie sich in Zukunft als begründbare Idee und sinnvolle Überzeugung erweist.

    Nimm mir meine Offenheit bitte nicht übel - aber das halte ich für Unsinn. Erlösung (von was auch immer, das wäre ggf. konkret zu definieren) impliziert grundsätzlich ein Erlösungsbedürfnis. Mithin Bedingungen, die ein solches Bedürfnis wecken. Somit ist Mindestbedingung einer 'Erlösung' die Aufhebung der Bedingung(en) des Erlösungsbedürfnisses. There ain't no such thing as a free lunch. Insofern ist diese Idee mE weder begründbar noch sinnvoll.


    Was Deiner Idee zumindest nahekommt, ist natürlich im Christentum die bereits vollzogene Erlösung der Menschheit. Die Bedingung ist hier bereits erfüllt, durch den Opfertod des Messias - insofern ist sie schon in dieser Hinsicht nicht bedingungsfrei. Hinzutreten muss natürlich als weitere (sekundäre) Bedingung das Annehmen dieser Erlösung durch vorbehaltlosen Glauben. Ein anderes Beispiel (um mich mal unter Vorbehalt auf Deine Terminologie einzulassen) ist die buddhistische Doktrin der Buddhanatur, deren Kernaussage die ist, dass alle fühlenden Wesen erwacht sind, wobei den Wesen selbst dieses Erwachen durch die 'Verhüllungen' der kleśa ([Geistes-]Trübungen) verborgen ist. Natürlich ist auch dies zumindest nicht voraussetzungslos; sie sind mit Buddhas (primordialen) Erwachen erwacht. Diese Buddhanatur ist (in ihrem Ursache-Aspekt) ein Potential, das zur Emergenz (dem Wirkungsaspekt) buddhistischer Praxis (ihres Bedingungsaspekts) bedarf. Die Funktion dieses upaya ist der des (anschaulicheren und weniger abstrakten) upaya vom Gelübde Amidas eng verwandt: die Zusicherung, dass Erwachen / Befreiung für alle Wesen nicht nur erlangbar ist, sondern tatsächlich bereits erlangt ist - wovon allerdings ohne Erfüllung weiterer Bedingungen niemand etwas hat. Diese drei genannten soterologischen Konzepte sind in sich logisch schlüssig (ob man deren Prämissen akzeptiert, ist eine andere Frage) - ein soterologisches Konzept, wie es Dir vorschwebt, wäre es hingegen nicht. Meine Prognose: ein neuer Religionsstifter wird aus Dir nicht.


    Noch eine Anmerkung zur Terminologie: dass Du den Begriff "Erlösung" verwendest, macht alleine schon deutlich, dass Deine Ideen zur "Evolution religiöser Vorstellungen überhaupt" zwar nicht im Zusammenhang "buddhistischer Ideengeschichte" zu sehen, dafür aber deutlich christlich geprägt sind. Zwischen dem christlichen Begriff der "Erlösung" (λύτρωσις / ἐξαγοράζω) und dem buddhistischen der Befreiung (mukti) bzw. des Erwachens (bodhi) gibt es zwar eine gewisse Verwandtschaft (insofern die das "Erlösungsbedürfnis" auslösenden Bedingungen 'das Böse' [κακός / πονηρός] und 'Leiden' [duhkha] verwandt sind), aber die Begriffe sind keineswegs inhaltlich identisch. Deine Überlegung ist also keineswegs religiös neutral, sie bedient sich einer spezifisch christlichen Begrifflichkeit und entsprechend einer christlich geprägten Perspektive. Abgesehen von dem grundsätzlich unlogischen Ansatz "bedingungsfreier Erlösung" ist das natürlich auch eine Perspektive, die buddhistischem Denken per se nicht gerecht wird.


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    jianwang:

    Doch bezweifle ich, das dies den Tausenden bewusst ist oder auch nur zur Kenntnis, die in Japan mantra-artig "namu amida butsu" murmelnd meditieren.

    Nun, an einer Stelle hatte ich ja auch explizit auf 'Volksglauben' verwiesen und es wurde, glaube ich, hier im Thread auch schon darauf verwiesen, dass es Vergleichbares auch im japanischen Zen gibt. Selbstredend auch im Christentum. Die wenigsten evangelischen Gläubigen können Dir Luthers Rechtfertigungslehre erklären (oder auch nur mit der Frage danach etwas anfangen) und die wenigsten Katholiken Thomas von Aquins Prinzip der Transsubstantiation in der Eucharistie. Entscheidend ist Orthopraxie, nicht Orthodoxie.


    Ansonsten klingt Dein Einwurf ein wenig abschätzig für mich. Es ist mE nicht erheblich, ob und ggf. wie sehr man solche Konzepte intellektuell durchdringt und schon gar nicht, wie man sie religionshistorisch einordnet. Es sind nur upaya. Andererseits ist auch nichts daran auszusetzen, an einem wohlkonstruierten upaya und seiner Betrachtung mit 'Kennerblick' seine Freude zu haben. Solange man nicht dem Irrtum aufsitzt, das würde einem darüber hinaus etwas einbringen ...


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    void:

    Ich hattes es so verstanden, dass sich der japanische Amida Buddhismus auf Nagarjuna als den ersten Patriarchen beruft

    Die Autorschaft des Daśabhūmikavibhāșā ist Nāgārjuna mit ziemlicher Sicherheit (wie bei einer stattlichen Anzahl weiterer Texte) fälschlich zugeschrieben. Ebenso wie die Zuschreibung des Sukhāvatīvyūhopadesa zu Vasubandhu, dem 'zweiten Patriarchen'. Wobei diese 'Patriarchenlinie' erst von Shinran behauptet wird, also eine recht junge 'Erfindung' ist und mW auch nicht vom gesamten japanischen Amidismus übernommen wurde. Richtig ist, dass - im Zen ist es ähnlich - die Patriarchenlinie eine fiktive Konstruktion ist, die vor allem durch bestimmte Texte inspiriert ist. Anders gesagt: die 'Patriarchenlinie' ist eine exegetische Traditionslinie des Amidismus, in die sich speziell Shinran einordnete. Plausibel ist dabei die Zuordnung Autor / Text erst ab dem 3. Patriarchen, Tanluan (476–542). Ansonsten beruft sich die Jōdo-Shinshū natürlich in erster Linie auf die genannten drei Sutren.


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    nabnab:

    Was mich persönlich sehr interessiert, ist die Einordnung des Amida-Narrativs in der Geschichte religiöser Ideen insgesamt. Ich würde diese "Erzählung" gern als markanten Schritt auf dem Weg zu einer Vorstellung sehen, die eine bedingungslose Erlösung für alle propagiert. (Womit ich mich als jemand oute, der auch im Bereich religiöser Vorstellungen an Evolution glaubt und eine Trennung von Religion und Ethik/Moral als konsequent und sinnvoll erachtet.)

    Die "Einordnung" ist ziemlich eindeutig, wobei ich das Etikett hier mit 'Devotionalismus' beschriften würde. Die Ideen des Amidismus sind durchaus verwandt mit denen des bhaktiyoga im Hinduismus und denen der imitatio christi in der christlichen Mystik, wobei 'Verwandschaft' hier selbstredend nichts mit 'Abstammung' zu tun hat und ich auch sonst Deinem Glauben an eine "Evolution" religiöser Vorstellungen in dem von Dir angedeuteten Sinn wenig abgewinnen kann. Religiöse Ideen sind insofern evolutionär bedingt, als sie in Reaktion auf Bedingungen, denen ihr Substrat (d.h. Menschen, die religiöse Ideen entwickeln) unterworfen ist, entstehen und sich ggf. entfalten oder aber verkümmern und verschwinden. Jedenfalls geht es auch im Amidismus nicht um eine "bedingungslose Erlösung" - doch dazu später.


    Die 'Entfaltung' bestimmter religiöser Grundideen lässt sich beim Mahāyāna allgemein und dem Amidismus speziell recht gut nachvollziehen. Muktis Verständnislosigkeit in Ehren - aber der Amidismus entstand als theoretische Begründung der 'Entfaltung' eines bestimmten praktischen Ansatzes, der sich als besonders brauchbar für breite Bevölkerungsschichten gezeigt hat. Konkret: der Übung des buddhānussati, die sich im Palikanon u.a. in A.VI.10, A.VI.25 und D.33 findet. In der vorrangig für eine monastische Elite als Zielgruppe entworfenen Paliliteratur war und blieb dies lediglich ein kaum beachteter Nebenaspekt. Andere Bedingungen eben.


    Zur Frage des Alters des Amidismus wurde bereits auf die Zeitenwende (1. Jhdt. v.d.Z. - 1. Jhdt n.d.Z.) verwiesen - also in zeitlicher Nähe zur Verschriftlichung des Palikanon. Dies ist heute in der Forschung wenig bestritten, aber naturgemäß nicht im strengen Sinne beweisbar. Mit Sicherheit handelt es sich nicht, wie von Mukti vermutet, um eine chinesische Entwicklung, da zwei von den drei Haupttexten des Amidismus - das Amitābhavyūhasūtra (auch als längeres Sukhāvatīvyūhasūtra bezeichnet) und das (sog. kürzere) Sukhāvatīvyūhasūtra - auch im originalen Sanskrit überliefert sind (von F. Max Müller bereits 1880 ediert). Von dem dritten Text, dem Amitāyurdhyānasūtra, liegt lediglich eine chinesische Übersetzung vor (auch keine tibetische), doch gilt die Herkunft aus Indien oder allenfalls Zentralasien als gesichert. Darauf deutet übrigens schon die Einleitung des Sūtra hin, nämlich die auch im Palikanon überlieferte Geschichte von Ajātaśatru und Bimbisāra. Die diversen von 'verrückter Narr' angeführten Links beziehen sich übrigens nur auf diese drei Texte bzw. unterschiedliche Übersetzungen davon (falls das missverstanden wurde). Im Tripitaka sind fünf Übersetzungen (von ursprünglich zwölf) des Amitābhavyūhasūtra überliefert; die 'Standardübersetzung' ist die um 250 n.d.Z. entstandene von Saṃghavarman (T. 360), die älteste die zwischen 147 und 186 n.d.Z. entstandene von Lokakṣema (T. 361). Vom Sukhāvatīvyūhasūtra gibt es zwei Übersetzungen; von Kumārajīva (T. 366) aus dem Jahr 402 und von Xuanzang (T. 367) 650 n.d.Z.; eine weitere von Guņabhadra (um 450 n.d.Z.) ging verloren. Die Übersetzung des Amitāyurdhyānasūtra stammt von Kālayaśas (T. 365) und entstand 424 n.d.Z., eine weitere Übersetzung ging verloren.


    Nun zum Thema "bedingungslose Erlösung" bzw. "Glaubensbuddhismus" (Erlösung durch das lutherische 'sola fide'). Wenn man sich nun das Amitābhavyūhasūtra anschaut, erweist sich das schnell als Fehlinterpretation, denn dieser Text nennt explizit drei Bedingungen einer 'Weitergeburt' im 'Reinen Land': eine große Ansammlung von Verdienst ('positives karma'), erwachter bodhicitta und schließlich die Vergegenwärtigung (das bereits genannte anusmriti bzw. Pali anussati) Buddha Amitābhas während des Sterbeprozesses. Das kürzere (und entstehungsgeschichtlich jüngere) Sukhāvatīvyūhasūtra nennt ebenfalls letzteres als Voraussetzung. Das Amitāyurdhyānasūtra wiederum erläutert 16 meditative Praktiken, die zum Eingang in Sukhāvatī (das 'westliche Paradies') führen sollen. "Glauben" mag dabei zwar hilfreich sein, aber es ist noch nicht einmal die halbe Miete.


    Das Missverständnis "bedingungslose Erlösung" rührt vor allem von einer Simplifizierung der radikalen Interpretation des Amidismus durch Shinran her, also einer relativ späten und spezifisch japanischen Entwicklung. Kristallisationspunkt solch radikaler Auffassungen war (neben sozialen Ursachen und dem damit verbundenen Endzeit-Glauben in der Heian-Zeit) die Frage, wie Erwachen verwirklicht werden kann: durch 'eigene Kraft' (jiriki) oder 'fremde Kraft' (tariki). Die (durchaus folgerichtige) Argumentation der Amidisten lief darauf hinaus, dass - wenn Erwachen ganz wesentlich die Auflösung der Illusion eines Ich beinhaltet - eine 'eigene Kraft' eben auch nur illusionär ist und ein solches Erwachen nicht bewirken kann. Die Hingabe an die 'andere Kraft' wiederum hat als Grundlage ganz wesentlich eine andere Doktrin, die mit dem Amidismus zunächst amalgamiert werden musste: die der universellen Buddhanatur. Insofern ist die 'andere Kraft', der sich der Praktizierende überantwortet, auch nichts getrennt und außerhalb von ihm Existierendes, Amida ist nicht getrennt von ihm. Vielmehr löst die amidistische anusmriti-Praxis (konkret das funktionell der Mantrapraxis verwandte nianfo / nembutsu) die Illusion dieser Trennung auf. In gleicher Weise ist Sukhāvatī nicht als ein Ort, ein 'Paradies' zu verstehen (das ist es lediglich im Volksglauben) - es ist vielmehr ein durch die (korrekte) Praxis bedingter geistiger Zustand, und zwar der eines anāgāmin, eines 'Nicht-Wiederkehrenden'.


    Die (strittige) Frage ist nun allenfalls, wieviel 'Vorübung' erforderlich ist, um während des Sterbeprozesses in diesen Zustand einzutreten. Und darauf gibt es verschiedene, 'radikale' und 'gemäßigte' Antworten.


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