Moosgarten:
Zunächst: alle Schriften sind auf die eine oder andere Art Kommentar. Das gilt selbst für den Palikanon, dem man, aufmerksam gelesen, schnell anmerkt, dass daran mehr als nur wenige Leute rumgestrickt haben, ganz abgesehen davon, dass, wenn man darin das Wort Buddhas verortet, dieses selbst Kommentar zu den damaligen Auffassungen ist, bisweilen auch überaus polemisch, wie mir grad wieder aufgefallen ist.
Auch Dir lieben Dank für Deinen Beitrag. Das von mir hervorgehobene, ist ein sehr wichtiger Punkt, den Du da benannt hast: Buddhas Worte zum Teil selbst als Kommentar zu damaligen Denk- und Sichtweisen zu betrachten.
Die, die sich im Frühbuddhismus verorten, werden hier wohl Widerspruch einlegen und Buddhas Worten generell einen Absolutheitsanspruch verleihen, könnte ich mir vorstellen.
Bin ohnehin gespannt, welchen Wert die sogenannten „Frühbuddhisten“ der „Kommentarliteratur“ beimessen?
Moosgarten:
Gute Kommentarliteratur wird, sofern sie originell und authentisch ist, irgendwann selbst zum Klassiker - betrifft natürlich nur einen Bruchteil der verschwendeten Worte.
mkha‘ schrieb bereits von den „Werken der großen Meister“. Eine Ausdrucksweise, die man wohl auch im Zen als geläufig bezeichnen kann. Die Frage, die sich daraus ergibt: Wer oder was macht aus der „einfachen Kommentarliteratur“ das „große Werk eines Meisters“? Du nennst als Kriterien eine gewisse Authentizität, die sich aus der Praxis und Textstudium zusammensetzt? Was muss das „große Werk“ noch beinhalten, um als solches anerkannt und gewürdigt werden zu können? Neue Sichtweisen aufzeigen, anderen Aspekten der Lehre mehr Wert zuordnen (Werteverschiebung)? Könnten das weitere Zutaten sein, die ein „großes Werk“ bräuchte?
Moosgarten:
Mein erster Kontakt zum (Zen-)Buddhismus war ein sehr persönlicher und so intensiv, dass es überhaupt ca 2 Jahre gebraucht hat, ehe ich mich für die ¨religiösen¨ Hintergründe zu interessieren begann. Das was gesagt wurde - oder bessser das, wie es gelebt wurde, war mir Original und Kommentar (zum Leben) genug.
Das klingt jetzt nach einer praktischen Erfahrung, nicht nach Texten, die das „Feuer entfacht haben“? Habe ich Dich da richtig verstanden?
Moosgarten:
Eigentlich nix von dem was da gesagt wurde, schien mir zu meinem damaligen Bild von ¨Buddhismus¨ zu passen, das galt auch für die zitierte Originalquellen und für die Kommentare sowieso. Aber ich hab halt n Hang zum Nerdigen, also den PK vorgenommen, in verschiedenen Übersetzungen und dabei blieb es auch nicht aus, en passant mit Kommentaren, vllt auch nur in Form von Fußnoten in Berührung zu kommen. Das Erste was mir auffiel war, dass die vorherrschende Kommentar-¨Stimmung¨, keineswegs als zwingend gelten konnte, einfach nur Interpretation und Meinung war, klar, oft über Jahrhunderte verfestigt, Argumentation meistens aber außerordentlich schwach, man merkt geradezu, dass die Leute meist nur in der eigenen Blase ihr Süppchen gekocht haben, immer mit dankbarem Publikum und nie die wirkliche Notwendigkeit bestand, darüber hinaus jemanden Rede und Antwort stehen zu müssen.
Wichtiger Punkt, wieder von mir hervorgehoben. Die subjektive „Interpretation“ und „Meinung“ kann sich über „Jahrhunderte verfestigt haben“ - dennoch kann sie irgendwann an Kraft und „Richtigkeit“ verlieren. Große „Meister“ können sich dann dadurch auszeichnen, Fehlentwicklungen erkannt und korrigiert zu haben (beispielsweise „Meister“ Hakuin, der den Rinzai wieder „auf Vordermann gebracht hat“).
Moosgarten:
Einmal bei der Sache, wurden mir natürlich auch die Übersetzungen suspekt, also hab ich die Sprache gelernt, passiv ist das bei Pali jetzt kein so aufregendes Ding, tägliche Beschäftigung vorausgesetzt, schafft man in 2-3 Jahren locker halbwegs flüssig zu lesen, den Rest erledigt man mit nem guten Wörterbuch und immer n scharfes Auge auf grammatische Ausnahmeregeln.
Das überrascht mich. Als Zen-Praktizierender, hätte ich da eher an das Erlernen der japanischen Sprache gedacht? Aber so wie ich Dich verstehe, erfolgte Dein Einstieg über den Palikanon.
Moosgarten:
Aber ebenso absurd erscheint es mir, wenn sich die Leute auf Kommentare oder vorherrschende Auslegungen verlassen, ohne sich mit dem Original (zumindest in einer Übersetzung) beschäftigt zu haben - eben weil Kommentar gefärbte Meinung ist. Es geht dabei nicht darum, ob dieser oder jener Kommentar (also auch der meinige) ¨wahrer¨ als ein anderer ist, es geht einfach darum, ob er so zwingend ist und das ist wiederum ist eine Weg sich vom Kommentar und von der Schrift ganz allgemein zu lösen, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, selbst für Klarheit zu sorgen und nicht nach örnundörnzig Jahren immer noch an den Lippen des jeweiligen Lehrers und an den Glaubensgrundsätzen ¨der Gemeinde¨ zu kleben.
Okay, Du appellierst an die Eigenverantwortung. Da stimme ich Dir ausdrücklich zu.
Zu meiner Frage, ob man eine Reihenfolge empfehlen kann bezüglich was man zuerst (großes Werk/Klassiker oder die dazugehörige Kommentarliteratur) lesen sollte, würde ich aus Deinen Worten ableiten: Die Reihenfolge ist egal, wichtiger ist beides/alles zu lesen und zu „vergleichen“. Kannst Du dem so zustimmen?
Moosgarten:
Leider ist Kenntnis von Originalen aber nicht sehr verbreitet, das betrifft besonders die Mahayana-Sutras, klar, auch das Zen-Zeugs, und, wie mir scheint, in noch größerem Umfang das Tibetische;
Woran meinst Du liegt das?