Beiträge von Sudhana im Thema „Fragen zu den Bodhisattvas“

    Das müsste ja dann bedeuten, dass ein Großteil der spirituellen Praxis der Bewohner des Sino-Japanischen Raums reine Folklore ohne Zweck und Sinn wären

    Das mit der "Folklore" trifft nicht nur auf "Bewohner des Sino-Japanischen Raums" zu, sondern auf alle Kulturen. Ob es sich da nun um katholische Marienprozessionen handelt oder um theravadaspezifische Spezialitäten wie die Verehrung von Nats in Myanmar oder das Tätowieren von Yantras und das Tragen von "buddhistischen" Amuletten in Thailand usw. usf. Ob diese folkloristischen Gebräuche "ohne Zweck und Sinn" sind, darüber kann man geteilter Meinung sein. Zumindest ist es jedoch mE in der Regel wenig sinnvoll, sich als jemand, der in einer anderen Kultur aufgewachsen ist, solche exotischen Folklorismen zu eigen zu machen. Übrigens ist der Übergang von folkloristischen religiösen Bräuchen hin zur Liturgie (und damit sind nicht nur beispielsweise die christliche Messe mit Transsubstantiation oder die Taufe gemeint, sondern auch Riten wie die Patimokkha-Feier an Uposatha oder die Kathina-Zeremonie) ein fließender.


    Grundsätzlich sind insbesondere die sog. Weltreligionen sehr komplexe Modelle, menschliche Erfahrung zu deuten und in einer ethischen und spirituellen Praxis soterologisch zu transformieren. Bedingt durch ihre Komplexität ist ein tieferes Verständnis dieser Modelle häufig nur Spezialisten möglich - z.B. Priestern oder Mönchen, die dem Studium und der Praxis dieser Modelle ihre Zeit widmen und deswegen darauf angewiesen sind, von Menschen, die sich mit profaneren Dingen beschäftigen (z.B. der Erzeugung von Nahrungsmitteln, Kleidern und Behausungen) alimentiert zu werden. Das wiederum kann nur funktionieren, wenn es da einen Austausch gibt - d.h. wenn man diesen Menschen das religiöse Modell auf eine ihnen verständliche und nachvollziehbare Weise nahebringen kann und sie dies als Erleichterung ihres Lebens empfinden - zumindest im Sinne einer Vertröstung auf ein angenehmeres Leben nach dem Tod im Jenseits oder als in einer vorteilhafteren sozialen Position Wiedergeborener. Teil dieses verständlich und nachvollziehbar Machens ist der Rückgriff auf einfache, archaische religiöse Vorstellungen etwa aus dem magischen oder animistischen Bereich, die im Sinne des Modells interpretiert werden - häufig in einem sehr weiten Sinn. Das ergibt dann eine unvermeidliche Zweiteilung in eine "folkloristische" Volksreligion und eine Hochreligion, wobei die Volksreligion - da auf ältere Substrate zurückgreifend - regional begrenzt ist, während die Hochreligion durchaus an unterschiedliche Substrate anpassbar ist.

    Damit ergibt sich nun das Problem, wenn man beispielsweise das Bodhisattva-Konzept diskutieren oder kritisieren möchte, dass man zunächst einmal klar stellen muss, in welchem Kontext dies geschehen soll - im Kontext der Volksreligion (wobei eine genauere lokale Spezifizierung, etwa Tibet oder China oder Japan ... notwendig ist) oder im Rahmen der Hochreligion.


    Das hier:

    Zitat

    Nehmen wir zum Beispiel meinen Favorit Avalokiteshvara. Wo hält er sich gerade auf und auf welche Art genau kann er den leidenden helfen? Ist er dazu verdammt niemals ins Parinirwana einzugehen?

    ist beispielsweise eine Fragestellung, die sich auf volkstümliche, folkloristische Vorstellungen (auch, wenn sie konkret in Deinem Kopf herumspuken) richtet. Relevant sind solche Fragestellungen, wie schon angedeutet, allenfalls für Ethnologen oder vergleichende Religionswissenschaftler.


    Das hier wiederum:

    Zitat

    Warum können die Bodhisattvas oder auch Amithaba beim reinen Land Buddhismus nur denen helfen die ihren Namen oder ihr Mantra rezitieren?

    - beruht offensichtlich auf einem Missverständnis. Auch im Volksglauben wirken Bodhisattvas nicht nur "auf Zuruf", ganz im Gegenteil (eine Vielzahl von Legenden zeigt das genaue Gegenteil). Und das Nianfo oder Nembutsu im Reinen-Land-Buddhismus ist keine Anrufung (das wäre eine "eigene Anstrengung" und genau das soll die Rezitation nicht sein), sondern ein Werkzeug der Transformation des Geistes, wobei der volkstümliche Aspekt darin besteht, diese Transformation als nachtodliche Wiedergeburt in einem reinen Land Sukhavati zu verstehen.

    Zitat

    Wenn in irgendwelchen transzendenten Sphären Bodhisattvas sitzen und mit ihren übernatürlichen Kräften das Leid der Menschen lindern, ist eigene Anstrengung, gutes Handeln und Meditation dann nicht reine Bigotterie?

    Ja, wenn ... und wenn nicht? Mit mahayana-buddhistischer Hochreligion hat das in etwa so viel zu tun wie die Vorstellung, dass im Himmel die Heiligen sitzen und nur darauf warten, für eine Kerze und ein Gebet als Belohnung nach dem Sankt-Florians-Prinzip die Äcker vor Hagelschlag und die Häuser vor Brand zu schützen mit christlicher Theologie. Übrigens gibt es gerade für letztere Funktion tatsächlich in Japan einen 'Spezialisten', der in buddhistischen Klöstern in der Küche oder deren Vorraum einen Schrein hat - Idaten. Der ist aber kein Bodhisattva, sondern ein aus der Shinto-Religion stammender Kami.

    Zitat

    Dass man die Bodhisattvas und ihre Legenden nur als beispielhaft und vorbildlich betrachten kann, zum Beispiel viel Mitgefühl wie Avalokiteshvara zu praktizieren passt irgendwie nicht in das gängige Bild.

    Das angeblich "gängige Bild" ist ja zunächst einmal vor allem Dein persönliches Bild. Ansonsten ist das gar nicht so "gängig" wie Du zu glauben scheinst. Zunächst einmal und vor allem ist ein Bodhisattva ein buddhistischer Praktizierender, dessen Praxis an der Überwindung von Duhkha aller Wesen orientiert ist (d.h. von Duhkha überhaupt) und nicht nur an der eigenen, persönlichen Leidüberwindung. U.a. weil bei zweiterem der Fehler schon im Ansatz steckt - es gibt kein "eigenes" Leid, weil es keinen Eigner von Leid gibt. Teil dieser Praxis ist damit auch ganz konkrete Leidminderung durch eine entsprechende soziale Haltung und daraus entspringendes Handeln. Etwas anders sieht es mit den von Dir angesprochenen Mahasattvas ('großen' Bodhisattvas) wie etwa Avalokitesvara aus - ein Konzept, das historisch etwas jünger ist und unmittelbar aus dem 'praxisorientierten' Konzept hervorgegangen ist. Es handelt sich dabei um Qualitäten des Geistes, die gewöhnlich durch die 'Geistesgifte' oder klesa verdeckt sind und durch deren Auflösung manifest werden. Es sind somit Apekte (oder 'Emanationen') des erwachten Geistes. Da es sich dabei nicht um den einen, ungeschiedenen erwachten Geist handelt (die Buddhanatur oder den Dharmakaya) sondern nur um Einzelaspekte, haben sie auch noch einen Rest personaler Qualität - vergleichbar mit dem Buddha vor seinem Parinirvana (sa-upadhisesa-nibbāna). Dieser "Rest" personaler Qualität ermöglicht aktives Handeln; die Bodhisattva-Praxis.

    Bei dieser Praxis geht es nicht um ein Handeln nach Vorbild, etwa darum "viel Mitgefühl wie Avalokiteshvara zu praktizieren". Es geht darum, Avalokitesvara zu werden und dieses Werden erweist sich in der Praxis großen Mitgefühls, mahakaruna. Damit beantwortet sich auch die Frage nach dem 'Ort' Avalokitesvaras und der anderen Mahasattvas: dieser Ort ist genau hier. Du, ich, wir alle - sind Avalokitesvara, lediglich in unterschiedlichem Maße durch klesa verdeckt. In unserer Praxis des Mitgefühls manifestiert sich Avalokitesvara und eben deswegen widmen wir unsere Praxis u.a. Avalokitesvara. Diese Widmung, die sowohl informell als auch in einem formell-liturgischen Kontext stattfinden kann, ist keine 'Anrufung' (allenfalls eine unsres eigenen Potentials) und schon gar kein Gebet - das sind volkstümliche Simplifizierungen, ist "Folklore". Die wiederum, wenn sie denn über die Erkenntnis der befreienden Qualität von Mitgefühl und einer entsprechenden Wertschätzung zu einer mitfühlenderen Lebenspraxis führt, durchaus auch "Zweck und Sinn" hat.

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