Beiträge von Kagemusha im Thema „Nicht-Ich und Wiedergeburt“

    Als Diskussionsbeitrag würde ich gerne den „Milindapanha“ („Die Fragen des Milinda“) zitieren. Laut der Einführung von H.Bechert handelt es sich um ein Werk, das „nicht zu den kanonischen Schriften des Theravada-Buddhismus im durch Buddhaghosa definierten Sinn zählt, aber dennoch ein hohes Ansehen im Theravada genießt“. Dort liest man folgenden Dialog zwischen dem Mönch Nagasena (Schule unbekannt) mit dem Griechenkönig Menandros (Pali: Milinda):


    „Der König sprach: Wer ist es, der wiedergeboren wird?“

    „Eine geistig-körperliche Verbindung (nama-rupa).

    „Wie, die gegenwärtige“?

    „Nein, aber durch diese gegenwärtige geistig-körperliche Verbindung wird ein gutes oder böses Wirken (kamma) getätigt, und zufolge dieses Wirkens eine neue geistig-körperliche Verbindung“

    „Wenn aber nicht die gegenwärtige Geist-Körperlichkeit wiedergeboren wird, wird man dann nicht von den Folgen böser Taten frei sein?“

    „Ja, wenn man nicht wiedergeboren wird, dann wohl; wird man aber wiedergeboren, so entgeht man nicht der Folge böser Taten“

    „Gib mir eine Erläuterung!“

    „Nimm den Fall an, ein Mann habe von einem anderen Mangofrüchte gestohlen, und der Eigentümer ergreife ihn und bringe ihn zur Anklage, seine Mangofrüchte gestohlen zu haben. Jener aber sage: „Ich habe nicht dessen Mangofrüchte gestohlen. Denn jene Früchte, die von ihm gepflanzt wurden, sind nicht dieselben, die ich genommen habe. Ich habe keine Strafe verdient.“- Würde da nicht, oh König, jener Mann doch der Strafe schuldig sein?“

    „Gewiss“

    „Und aus welchem Grund?“

    „Was jener auch vorbringen mag, so verdient er eben Strafe wegen der letzten Mangofrüchte, denn diese konnten ohne die früheren Früchte nicht da sein“.


    ......


    (es folgen weitere Gleichnisse dieser Art)


    „Was du als „geistig- körperliche Verknüpfung benanntest, was ist das geistige, was das Körperliche?“

    „Was da, oh König, grob (stofflich) ist, ist das Körperliche (rupa), und was da an feinen (unstofflichen) Erscheinungen, wie Bewusstsein und Geistesfaktoren gibt, ist das Geistige (Nama).“


    ———-


    Nun zu meiner eigenen Meinung: Es scheint mir, dass der Buddhismus lediglich betont, dass die Erscheinungen (wie geistig und körperlich) aus verschiedenen Einzelfaktoren bestehen, die sehr wohl wiedergeboren werden, aber eben nicht auf ewig in einer Seele miteinander verkoppelt sind.


    Isaac Asimov beschreibt in seinem „Foundation-Zyklus“ die Wissenschaft der „Psychohistorie“. Deren Grundlage sind Beobachtungen aus der statistischen Gaskinetik: Während die Bewegung einzelner Gasatome schwer vorhersehbar ist, ist die Bewegung einer Gaswolke leichter vorherzusagen. Genauso lässt sich das Verhalten einer Menschenmasse leichter vorhersehen als das Verhalten einzelner Menschen.


    Man würde aber falsch liegen, wenn man auf Basis dieser Vorhersehbarkeit postuliert, dass eine Gaswolke oder eine Menschenmasse ein einziges, unwandelbares Bewusstsein wären. Andererseits würde man falsch liegen, wenn man behauptet, dass sich das Verhalten dieser Masse nicht steuern ließe oder dass besagte Masse keine Wirkung auf ihre Umwelt ausübt.


    Tldr: Nicht-Ich und Wiedergeburt schließen sich nicht aus. Der Buddhismus erkennt das Phänomen einer Ich-Wahrnehmung an, “enttarnt” dieses jedoch als Interaktion von Einzelfaktoren, die sich neu verknüpfen.