Hallo Rudolf,
Wenn du der Ansicht bist, eine ewige beständige Seele existiert nicht, da bin ich mit dir einer Meinung.
Wenn du der Ansicht bist, dass es noch nicht mal diese Ansicht gibt (im Hinduismus und Christentum z.B.), teile ich das nicht.
Theoretisch gibt es diese Ansichten. Zumindest äußerlich. In den letzten Jahren habe ich aber gemerkt, dass der Grundirrtum der Menschen sich nicht um die Frage dreht, ob sie ewig sind oder nicht, sondern es oft eher um das Problem einer Vorstellung geht, was und wie sie sind.
In den Veden bzw den späteren Upanishaden wurde ausgeführt, dass das, womit sich die meisten Leute identifizieren, nicht das Selbst ist (anatma). Deshalb sollten sich die Menschen eher mit dem identifizieren, was jenseits der konkreten Persönlichkeit liegt: Brahman. Leid kommt durch die Anhaftung an scheinbar Manifestiertes: ich bin Mann, ich bin Frau. Aber wenn ich dahinter steige, dass ich dieses nicht bin, dann kann ich mich auch nicht binden. Und dort, wo ich mich an das binde, was nicht manifestiert ist, erkenne ich Vergänglichkeit meiner körperlichen und geistigen "Identitäten". An das Ewige wie an das Nicht Ewige kann ich mich nicht binden, weil beides nicht vorstellbar ist.
Für den Buddha ist es keine philosophische Spekulation, er hat gesagt, dass er mit seinem geistigen Auge seine eigenen und die Wiedergeburten anderen Lebewesen sehen kann. Das ist keine Spekulation, sondern direkte geistige (yogische) Wahrnehmung.
Und wir können dem Buddha da glauben oder nicht. Deshalb ist der Buddhismus auf jeden Fall auch eine Religion, eine Offenbarung eines vollkommen Erleuchteten, wie der Buddha von sich selbst sagt.
Die meisten Menschen halten ihre philosophischen Spekulationen für erkannte Wahrheit oder Einsichten. Und dann behalten sie diese ihr Leben lang bei und binden sich an sie. Aber auch der Buddha hatte nur einen Eindruck, der aus den Eindrücken, die vor diesem Eindruck waren, resultierte. Was wäre wohl gewesen, wenn er nicht bei den Lehrern der Upanisaden gelernt und von der Idee der Reinkarnation "beeindruckt" gewesen wäre?
Traditionen und Religionen verbleiben oft in den Überzeugungsmustern ihrer Kulturen, weil diese die Eindrücke bilden, die zu individuellen Eindrücken führen. Die kann man "glauben", religiös fix machen und dann beibehalten, aber im Grunde ist dieses Beibehalten nur der Versuch, dem ständigen Wechsel der Eindrücke etwas Permanentes entgegenzusetzen.
Jetzt wo wir diskutieren, glaube ich an Reinkarnation, aber wenn es jetzt an der Tür klingelt, dann sind es ganz andere Eindrücke, die vor mein Bewusstsein treten und meine Welt sind. Und bevor ich diesen Rechner hier angemacht habe, um auf Deine Gedanken zu reagieren, habe ich noch schnell meinen Wohnzimmertisch aufgeräumt. Da hatte mein Bewusstsein keine Gedanken einer Reinkarnation. Deine Nachricht hat mich aber so beeindruckt, dass ich nun wieder hier sitze und mir über ein Konzept Gedanken mache, dass sowieso keine praktische Relevanz für den Rest meines Tages hat. Deshalb würde ich auch nicht sagen, dass man diesem Konzept "glauben oder nicht" muss, denn man kann sich so entscheiden, es zu glauben, aber dann würde man wohl nur dran glauben, wenn man sich daran erinnert, dass man daran glauben wollte. Die restliche Zeit bestimmen ganz andere Dinge unser Dasein und da habe ich Einsichten, die aus anderen Eindrücken resultieren als das Konzept eines ewigen Lebens oder einer Wiedergeburt.
Und wenn man berücksichtigt, dass unserer Persönlichkeit, die wir in einem Leben entwickeln unser Karma ist (warum bist du als Mann und nicht als Frau geboren worden? Und von deinen Eltern und nicht von anderen Eltern? Und warum hast du nicht das musikalische Genie Mozarts oder kannst nicht so gut Mathematik wie Karl Friedrich Gauß? Und Fußball spielen? Vielleicht willst du gar nicht Fußball spielen?): woher kommen unsere Potentiale, die wir entwickeln können? Woher kommt es, dass wir dieses wollen, jenes nicht?
Dann ist zweifellos diese "innere" Persönlichkeit eine in Ursache-Wirkung fortschreitende Kontinuität und im Sinne unseres Karmas sind wir auch noch dieselben im nächsten Leben.
Nach der gleichen Argumentationslinie wurde Gott definiert: der Lückenbüßer. Konnte der Mensch sich etwas nicht erklären, war Gott die Ursache. Vor einer Woche war ich bei einer Hochzeit. Dort habe ich mit jemanden diskutiert, der auch auf diesem Weg Gott logisch beweisen wollte. Aber wenn wir Gott oder Karma oder whatever nutzen, weil wir unsere eigene Unwissenheit nicht ertragen können, dann können wir mit diesem Konzept kein Leid lösen. Im Gegenteil, es besteht sogar die Gefahr, dass wir uns der Leidfrage nicht mehr widmen, weil sowieso alles vorherbestimmt sei. Für die meisten Menschen dürfte das ursprüngliche Konzept von karma das zutreffende sein: Aktion. Die sie selbst vollzogen haben. Die meisten Leute können beispielsweise nicht so gut Mathematik wie der von Dir genannte Gauß, weil in ihrer Kindheit tausend Dinge zur Sinnesbefriedigung spannender als lernen von Mathematik war.
Alles anzeigenWas mich wundert ist, dass du sagst "die Prägungen oder Muster, die diese Persönlichkeit gesetzt hat," hat mit der nachfolgenden Persönlichkeit nichts zu tun.
Meinst du auch ganz allgemein, dass eine Wirkung mit ihren Ursachen nichts zu tun hat?
Dann müsste auch in diesem Leben der 60jährige Mensch mit dem 20jährigen nichts zu tun haben. Da ja auch keine ewige Seele diesen Menschen zusammenhält.
Tatsache ist aber, dass der 60jährige überhaupt nicht existieren würde als der und der mit den und den Eigenschaften, wenn er nicht auch mal der 20jährige gewesen wäre.
So ist das auch mit uns in diesem Leben: wir wären nicht hier und so und so beschaffen, wenn wir nicht in vorherigen Leben so und so gehandelt hätten.
Es mag sein, dass es nicht so ist, aber dies ist die Lehre des Buddha. Oder was habe ich falsch verstanden?
Die beiden genannten Persönlichkeiten haben nur insofern was miteinander zu tun, dass sie in einem weitläufigen Sinn durch Bedingungen verbunden sind. Aber die Persönlichkeit, die da geboren wird, ist nicht die gleiche Persönlichkeit, die zuvor irgendwo lebte. Ich habe mich da unklar ausgedrückt, entschuldige bitte.