Beiträge von Sudhana im Thema „Zweifel?“

    Unter dem gemeinsamen Begriff 'Zweifel' begegnen wir hier zwei Haltungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

    Dem möchte ich zustimmen, wobei mir scheint, dass die Übersetzung von vicikitsa / vicikicchā mit "Zweifel" (oder gar "Zweifelsucht") zu Missverständnissen führen kann. "Zweifel" hat im Deutschen (wie auch "doubt" im Englischen) eine stark aktive Konnotation, es wird idR in Richtung "etwas bezweifeln", es "in Frage stellen" verstanden. Im Sanskrit und Pali geht die Bedeutung eher in Richtung "unentschlossen / unentschieden / unsicher sein". Man könnte es als eine Unwissenheit, die ins Bewusstsein tritt, interpretieren. Also eher "Ratlosigkeit" als das moraliserende "Zweifelsucht" oder "Nichtverstehenwollen" in Nyanatilokas Wörterbuch. Das Pali-English Dictionary der Pali Text Society gibt hingegen ganz nüchtern "doubt, perplexity, uncertainty" an, was es nach meinem Verständnis deutlich besser trifft.


    Der 'grosse Zweifel' daigi 大疑 steht ebenfalls nicht für ein "Bezweifeln", sondern für die äußerste, ins Extrem getriebene Anstrengung, zu erwachen. Die 'große Frage von Leben-und-Tod' zu klären. Um auf mein voriges Posting zurückzugreifen - es ist der Schritt vom bloßen Vertrauen zum Wissen.


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    Seit eurer Zufluchtnahme, gab es da eine längere Phase, die von Zweifel geprägt war?

    Nein. Zuflucht nehmen heisst, seine Zweifel geklärt zu haben. Der formelle und rituelle Akt der Zufluchtnahme ist lediglich das öffentliche Bekenntnis zur Zufluchtnahme. Wer ihn zweifelnd vollzieht, nimmt nicht wirklich Zuflucht; er oder sie belügt nur sich und Andere.


    Ich weiss, dass es Traditionen gibt, die dies nicht als 'Zufluchtnahme' sondern als 'Stromeintritt' bezeichnen. Das sehe ich anders. Im Strom sind wir alle - aber es ist ein Unterschied, ob wir in ihm herumgetrieben werden, bis wir ertrinken oder zum Ufer schwimmen.

    Worauf bezog sich der Zweifel?

    "Zweifel" in unserem Kontext hier (Skrt. vicikitsa / Pali vicikicchā) ist Zweifel an den Wahrheiten von der Universalität des Leidens (duhkha), seinen Ursachen, der Möglichkeit seiner Überwindung und der dazu führenden Mittel.


    Das ist etwas völlig anderes, als z.B. Zweifel an einem Lehrer, den man sich als Wegbegleiter, als 'edlen Freund' (kalyāṇamitra) gewählt hat. Ich weiss, dass es Traditionen gibt, wo Lehrer das gerne gleichsetzen. In seltenen Fällen mag das berechtigt sein - häufiger jedoch führt das dann zu 'Karrieren' wie jenen, die auch hier immer wieder diskutiert werden. Werden müssen.


    Es ist richtig, dass dieser Zweifel im Buddhadharma als Hindernis (nīvarana) bei der Überwindung des Leidens und als unheilsamer Geistesfaktor gilt, sogar als primärer (mūlakleśa). Davon abgesehen, dass es dabei um Zweifel an den oben genannten vier edlen Wahrheiten geht und nicht um Zweifel an Personen, die als buddhistische Lehrer auftreten, heisst das nicht, dass man Zweifel unterdrücken sollte. Man sollte sie vielmehr durch kritische Untersuchung klären.


    Zitat

    "Tesaɱ no bhante amhākaɱ hot'eva kaŋkhā, hoti vicikicchā — ko si nāma imesaɱ bhavantānaɱ samaṇanaɱ saccaɱ āha ko musā" ti?

    "Alaɱ hi vo Kālāmā kaŋkhituɱ alaɱ vici-kicchituɱ. Kaŋkhanīye va pana vo ṭhāne vicikicchā uppannā.


    Da sind wir denn, o Herr, im Unklaren, sind im Zweifel, wer wohl von diesen Asketen und Brahmanen Wahres, und wer Falsches lehrt.« -

    »Recht habt ihr, Kālāmer, daß ihr da im Unklaren seid und Zweifel hegt. In einer Sache, bei der man wirklich im Unklaren sein kann, ist euch Zweifel aufgestiegen.

    Anguttara Nikaya 3 (62-66)

    Wodurch verschwand er?

    Durch Studium der vierten edlen Wahrheit - der vom Weg zur Überwindung von duhkha - mit Geist und Körper. Dadurch wird aus Zweifel (vicikitsa) Vertrauen (śraddhā).

    Gehört eine Phase des Zweifelns eurer Meinung nach dazu?

    Wenn man nicht gerade ein Mensch ist, der zu unkritischem Glauben neigt - natürlich. Der Zweifel ist Ausgangspunkt des Weges, der zur Auflösung des Zweifels führt.


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