Im August hatte Franz-Johannes Litsch mich (und andere) in einer Mail auf "die wachsende Anti-Achtsamkeits-Polemik in zahlreichen Medien wie auch in der Wissenschaft und Philosophie" aufmerksam gemacht - insbesondere auf den Essay von Max Tholl "Totalitarismus der Selbstoptimierung. Die gefährlichen Folgen der Achtsamkeitslehre", der in modifizierter Form unter der Überschrift "Arbeit am Ich, 'Mindfulness': Die neue Achtsamkeitslehre soll der Selbstoptimierung dienen, nützt aber vor allem ökonomischen Interessen“ auch in der Printausgabe des Berliner Tagesspiegel vom 19.08.2019 veröffentlicht wurde. Litsch merkt dazu an:
Dieser Titel ist allerdings Rufschädigung vom Heftigsten.
Den Vogel abgeschossen an rufschädigender und unfairer Polemik gegen die Achtsamkeit hat jedoch ein Buch, das derzeit sogar auf der deutschen Bestseller-Liste steht.
Und zwar ein Roman mit dem Titel: „Achtsam morden“ (siehe Anhang). Der Autor heißt: Karsten Dusse, beim Verlag steht über ihn: „Karsten Dusse ist Rechtsanwalt und seit Jahren als Autor für Fernsehformate tätig. Seine Arbeit wurde mit dem Deutschen Fernsehpreis und mehrfach mit dem Deutschen Comedypreis ausgezeichnet sowie für den Grimmepreis nominiert. Achtsam morden ist sein erster Roman.“
Inhalt des Romans:
„Björn Diemel wird von seiner Frau gezwungen, ein Achtsamkeits-Seminar zu besuchen, um seine Ehe ins Reine zu bringen, sich als guter Vater zu beweisen und die etwas aus den Fugen geratene Work-Life-Balance wieder herzustellen. Denn Björn ist ein erfolgreicher Anwalt und hat dementsprechend sehr wenig Zeit für seine Familie. Der Kurs trägt tatsächlich Früchte und Björn kann das Gelernte sogar in seinen Job integrieren, allerdings nicht ganz auf die erwartete Weise. Denn als sein Mandant, ein brutaler und mehr als schuldiger Großkrimineller, beginnt, ihm ernstliche Probleme zu bereiten, bringt er ihn einfach um — und zwar nach allen Regeln der Achtsamkeit. ´Achtsam morden´ ist die Geschichte eines bewussten und entschleunigten Mordes, der längst überfällige Schulterschluss zwischen Achtsamkeitsratgeber und Krimi, vor allem aber ein origineller Unterhaltungsroman.“
Jede(r), der die authentische Satipatthana-Praxis kennt und übt, weiß, dass es völlig unmöglich ist, „achtsam“ zu morden. Das widerspricht sich konträr, weil Achtsamkeit immer heilsam, gewaltfrei und ethisch ist. Ist eine Handlung nicht ethisch, existiert dabei auch keine Achtsamkeit. Achtsamkeit (satipatthana) ist für den Buddha nur dann auch wirklich Achtsamkeit (samma sati), wenn sie zutiefst ethisch und gewaltfrei ist. Alles andere ist höchstens Aufmerksamkeit (manasikara). Es ist äußerst fatal, wenn etwa in MBSR- oder anderen Kreisen dies unterschlagen wird.
Genau diesen Eindruck macht auch folgendes Buch: „Hornhaut für die Seele. Der Weg zu mehr psychischer Widerstandskraft - Das macht dich stark gegen Stress, Depressionen und Burnout“ von einem Chris Ley, der die „Life Callenge Strategy“ und das „feel good management“ propagiert.
Zwar bin ich der Meinung, dass man sich gegen solch grobe Verfälschung der Achtsamkeitspraxis - insbesondere der von Buddha gelehrten - wehren und in den Medien ihre wahre Bedeutung fundiert und sachlich klarstellen sollte. Doch möchte ich auch nochmal dazu auffordern, sich von Seiten der zahlreichen Achtsamkeitslehrer, die es heute gibt, an der eigenen Nase zu fassen und hinzuschauen, was da eigentlich in den letzten Jahren von ihnen verbreitet und gefördert wurde. Es hat den Anschein, dass die für den Buddha grundlegende Bedeutung des unbegrenzten Mitgefühls, der Gewaltfreiheit, der Ethik und der Verantwortung gegenüber anderen weitgehend oder völlig ignoriert und vernachlässigt wurde und nur noch die Befindlichkeit und das Fortkommen des eigenen Ego im Mittelpunkt stand oder steht. Wenn dem so ist, dann braucht man sich über allmählich ansteigende Kritik, Ablehnung und Polemik nicht zu wundern. Es ist eben das, was der Buddha wiederum als durch Blindheit selbst verursachte „Karma-Folgen“ (vipaka) lehrte.
Dazu von mir nur eine kurze Anmerkung. In einer kapitalistischen Warengesellschaft ist es unvermeidlich, dass auch Kulturprodukte - und der Buddhismus ist insbesondere in der Form, in der er in dieser Gesellschaft inkulturiert wurde, ein typisches Kulturprodukt - einen Warencharakter (und Warenfetischcharakter) annehmen. Und dass solche Waren unweigerlich auch hinsichtlich ihrer Vermarktungsfähigkeit 'optimiert' werden. Aufschlussreich und nach wie vor lesenswert wurde dieser Bedingungszusammenhang von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in ihrem Essay "Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug" (in: Dialektik der Aufklärung, Philosophische Fragmente) behandelt. Ich möchte dies hier nicht weiter ausführen, lediglich den Hinweis geben, dass der Buddhadharma da zur Ware wird, wo er konsumiert wird. Eine Kritik der Ware greift zu kurz, wenn sie nicht zur Kritik des Konsums und damit des Konsumenten führt. Und auch dies ist noch zu kurz gegriffen, wenn der kritisierte Konsument 'der Andere' ist. Das ist nicht hilfreich. Selbstkritik hingegen schon.