Etliche dieser Annekdoten stammen aus einer Zeit als noch gar nicht in der heute überlieferten Weise formale Koanschulung betrieben wurde. Diese und auch viele der späteren Koan dürften einfach spontan in der Interaktion erwachter und um Erwachen ringender Menschen entstanden sein; ein Ausdruck lebendigen Zens.
Ok, dann hat sich das im Laufe der Zeit auch ein wenig gewandelt. Die Grundpfeiler sind aber erhalten geblieben. Eine kleine Geschichte / eine Anekdote / eine Begebenheit, oder auch nur eine Frage, die auf einen interessanten / bemerkenswerten Aspekt auf dem Weg des Erwachter-Werdens hindeutet. So ungefähr würde ich das dann ausdrücken.
Was die "eine korrekte Lösung" angeht, würde ich dann sagen: Es gibt eine Lösung, die der "Angelegenheit" maximal nahe kommt. W i e nahe ich der Lösung komme, hängt von meinem Grad des Erwachtseins ab. Je weiter entfernt der ist von den Beteiligten und den Umständen, in die das Koan eingebettet ist, umso "sinnloser" das Koan für mich. Es wird dann von mir nicht erfasst werden können. Also, so stelle ich mir das jetzt vor...
Wie entstehen „Koan“ und was ist der Sinn eines Koan?
Wie schon gesagt wurde, entstehen Koan aus Begegnungen von und mit Menschen, die den Unterschied von den zwei Wahrheiten erkennen, wenn sie sich begegnen: die „Wahrheit im höchsten Sinne“ und die „verhüllte Wahrheit“.
Sie erkennen sich natürlich auch selbst und andere. Sie stützen sich zwar auf Worte oder Taten, da ohne diese Anwendung der Worte die Wahrheit im höchsten Sinn garnicht gezeigt werden kann, sie müssen aber auch zur Wahrheit im höchsten Sinn vorgestoßen sein, also „Nirvana“ erlangt haben, sonst würden sie nicht erkennen, dass alle Gegebenheiten leer sind. Nagarjuna im MMK 24 macht das deutlich.
Was also wirklich ist, ist leer. Um andererseits erkennen zu können, dass nur Leerheit bezeugt wird, muss man sich der Form bedienen und das sind Worte und Handlungen.
Auf den Fall 20 hier angewendet ist das keine leichte Sache.
Ein Koan entsteht also durch einen Dialog in einer Begegnung, die dann zu Geschichten werden, bzw. Lehrbeispiele, die weiter erzählt werden. Eine berühmte Quelle dieser Dialoge sind das Jingde Chuandenglu – Aufzeichnungen über die Weitergabe der Leuchte – Keitoku Dento-roku im Japanischen – das etwa um 1000 n.Chr. zusammen gestellt wurde. Da sind alle Zen-Größen versammelt.
Das letzte Ochsenbild im Zyklus von Shubun zeigt auch so eine Begegnung.
die-ochsenbilder-des-zen_jeff-shore_deutsche-fassung.pdf
Da alle Wesen Buddhawesen sind, begegnen sich IMMER sowohl Buddha als auch gewöhnliche Wesen. Da man seine Einsicht nicht so einfach zurückhalten kann, man kann sich nicht nicht-verhalten, wird es also auch immer offenbar. Linji hat das an vier Weisen der Begegnung zwischen Gast und Gastgeber beschrieben.
1. wissender Gast und wissender Gastgeber
2. wissender Gast und unwissender Gastgeber
3. unwissender Gast und wissender Gastgeber
4. unwissender Gast und unwissender Gastgeber.
Anstatt Gast-Gastgeber kann auch Schüler-Meister gesagt werden.
Bei dem Wissen geht es um das Wissen über die Illusionen - erwachen meint, sich seiner Täuschungen bewusst zu werden.
Ein sehr schönes Beispiel, wie ein Koan entsteht, ist der Dialog zwischen Dogen und einem alten Mönch im Hafen von Ching Yuan Fu. Dogen konnte nicht sofort von Bord gehen, als er in China ankam und so sprach er einen Tenzo an, der Pilze kaufen wollte. Dogen war noch ziemlich überheblich und fragte den Mönch, was denn der Wert seiner Arbeit sei, wenn er nur als Koch wirkte und sich nicht in die Buddhalehre und die Patriarchentexte vertiefen konnte und wenn er sich nicht in Zazen üben konnte? Da lachte der Mönch den jungen Ausländer aus und sagte: "Mein lieber Ausländer, du hast keine Ahnung davon was Buddhapraxis ist und auch nicht, was ein Buddha-Schriftzeichen ist.“
Dogen fühlte sich durch diese Worte beschämt und erstaunt und fragte: „Was ist ein Buddha-Schriftzeichen und was ist Buddha-Praxis?“ Der Mönch antwortete: „Wenn du nach dem Kern der Buddhalehre fragst, dann liegt schon in der Frage selbst das Schriftzeichen und die Praxis.“
Hier ist also wieder die Wahrheit im höchsten Sinn, die Buddhapraxis und die verhüllte Wahrheit als Schriftzeichen, Wort oder jedes Ding.
Dogen traf später den Mönch wieder und konnte sich mit ihm über diese Frage beraten. Fragen greifen direkt die Selbstgewissheit an und wecken den Zweifel. Der Zweifel führt in die Tiefe und ist eine Schranke, die dem Denken gesetzt ist - und erst wenn der Diamant entdeckt wird, der die Illusionen durchtrennt, löst der Zweifel sich auf.