Beiträge von Rudolf im Thema „Dürfen Heilige verrückt sein?“

    Aber dessen ungachtet man kann das historische Beispiel des Mhasiddha mißbrauchen, um sich selber einen solchen "Freifahrschein zur Umnoral" auszustellen.


    Ich kann nicht sehen - bei allen Beispielen, die hier genannt wurden und anderswo beschrieben werden, was "verrückte Yogis" mit Unmoral zu tun haben.

    Die sogenannte Verrücktheit im spirituellen Bereich wird so genannt, weil sie von der normalen, konventionellen Lebens- und Handelsweise ganz deutlich entfernt ist. Und sehr wahrscheinlich gibt es eine Menge Normalos, die überhaupt nichts mit Spiritualität zu tun haben, die würden ja schon einen Menschen für verrückt halten, der sich als junger Mann dafür entscheidet, den Rest seines Lebens einsam meditierend in einer Höhle zu verbringen. Und sonst nichts weiter anstellt.

    Unmoral ist was anderes. Und ich bin überzeugt, das weiß jeder. Unmoral ist immer auf das Schädigen anderer bezogen. Körperlich oder seelisch oder geistig.

    Daher ist die Überschrift dieses Threads hier einfach falsch, wenn damit sexueller und anderer Machtmissbrauch gemeint sein soll.

    Je mehr ich darüber lese, desto mehr kommen mir die meisten Argumente als mehr oder weniger plumpe Rechtfertigung vor.


    ja, mir auch.

    Tatsächliche qualifizierte Vajrayana-Lehrer erkennen die falschen Erwartungshaltungen der Schüler.

    Diese qualifizierten Vajrayana-Lehrer haben ja Bodhicitta und haben viele Jahre die ausführliche Psychologie des Mahayana Buddhismus studiert und meditiert.

    Die Erklärung der "bekannten" Skandale ergibt sich einfach daraus, dass manche Lehrer keine qualifizierten Lehrer sind und zusätzlich noch zuviel Egoismus und Leidenschaften haben.

    So was kommt nun mal vor. Das ist auch "bekannt". Und daher haben auch die Schüler, bzw. Vajrayana-Aspiranten ihre Verantwortung der Prüfung des Lehrers sehr ernst zu nehmen, auch noch nach der Zufluchtnahme.

    Es geht darum, Missbrauch und Fehlentwicklungen aufzuklären und die Ursachen dafür herauszuarbeiten, um es zukünftig besser zum machen, heilsamer. Das ist die Motivation all derer, die ich kenne, die sich mit dem Themakreis beschäftigen.

    Besser machen können es die Schülerinnen und Schüler eines Lamas, indem sie sie sich vorher aus verschiedenen Quellen informieren was Vajrayana Praxis bedeutet und nicht nur der Erzählung eines Lehrers glauben und indem sie ihren persönlichen Lehrer erst viele Jahre prüfen bevor sie sich auf Sex mit ihm einlassen oder sich schlagen lassen.


    "Ursachen dafür herauszuarbeiten" : dann suche die Ursachen mal bei den Schülern.

    Alle größeren tibetischen Gruppierungen im Westen, sind von Skandalen erschüttert und/oder geben sich sektiererisch: Rigpa, Shambala, Triratna, Diamantweg, NKT, FPMT. Das ist doch kein Zufall und hat seine Wurzeln auch in der Geschichte und im Selbstverständnis der Traditionen.


    Seit wann ist Triratna eine tibetische Gruppierung?

    Dem Namen nach kenne ich diese Organisationen, ich praktiziere aber nicht dort, und die Skandale/Probleme sind mir daher nicht bekannt.

    Wenn ich als Außenstehender ab und zu Behauptungen und Gegenbehauptungen höre oder etwas lese darüber, will ich nicht sagen, dass ich weiß was da vorgefallen ist.

    Im übrigen hatte ich ein Zahl von 99% genannt, bzw. 1% für Skandale/Probleme.

    Du hast sehr große Organisationen genannt, alleine FPMT ist mit über hundert von "Zweigstellen" in der ganzen Welt vertreten. Da gibt's doch nicht überall Skandale? Und wenn wir auch noch die mittelgroßen Organisationen dazu nehmen, die sich in sehr vielen europäischen Staaten in den größeren Städten und vielen US-Staaten befinden mit tibetischen und nationalen Lehrern, dann erhöhe ich die Zahl noch auf 99,9 %: 999 von 1000 Lehrern im tibetischen Buddhismus sind skandalfrei.

    Hier findet kein Beweis statt, aber das ist meine Wahrnehmung nach über 25 Jahren im tibetischen Buddhismus.


    So nun lass ich dir freie Bahn hier ......du kennst dich ja anscheinend aus in den vielen Skandalen ... und dann noch die Geschichte!

    Du kennst die 1000 jährige Geschichte und die Selbstverständnisse der verschiedenen tibetischen Traditionen. Meine Hochachtung! Und leitest die Skandale im Westen daraus ab.

    Uih, dieser Zeitaufwand und dieses Interesse! Das ist eine ganz erstaunliche Leistung für jemanden, der "alle größeren tibetischen Gruppierungen im Westen von Skandalen erschüttert" sieht.

    so kommt es im tibetischen Buddhismus beim Erleuchteten zu einer Entkopplung von Moralität und Heiligkeit. Der 'vollverwirklichte Meister' steht jenseits der Normen der Alltagswelt.


    Mich wundert wo du diese Sicht her hast?

    Wer ist denn erleuchtet im tibetischen Buddhismus?

    Am ehesten könnte man das vom Dalai Lama vermuten. Welche Entkopplung siehst du beim Dalai Lama?


    Wenn im Westen von inzwischen mehreren hundert tibetischen Lamas alle paar Jahre mal ein oder zwei sich daneben benehmen, nicht gängigen Vorstellung von Heiligkeit entsprechen, dann formulierst du allgemein " Der 'vollverwirklichte Meister' steht jenseits der Normen der Alltagswelt." ??


    Weder in den tibetischen klassischen Schriften noch in der Praxis heutzutage trifft dein Satz zu.


    Also nochmal: woher hast du deine Idee?

    So gibt es eine Passage im Palikanon in der der nachte Asket Puṇṇa vorkommt, der die Ochsenübung auf sich genommen hatte und der nackte Asket Seniya, der die Hundeübung auf sich genommen hatte (in der Anmekrung steht: "Puṇṇa trug Hörner auf dem Kopf, hatte sich einen Schwanz an das Hinterteil gebunden und aß Gras zusammen mit den Kühen. Seniya tat, was Hunde eben so tun.")


    ja, diese halte ich eher für Beispiele von "verrückt sein".

    Diese sind aber nicht buddhistisch.

    Ich sehe in dem Artikel keine Beispiele, die man als „verrückt“ bezeichnen muss. Dieses Adjektiv passt auf die geschilderten Beispiele gar nicht gut.


    z.B.

    Zitat

    Obwohl selbst kein anerkannter Chan-Meister, ist der Mönch Ji Gong (1148–1209) der bekannteste menschliche Repräsentant dieses Typus in China. Diesem „verrückten Mönch“ aus dem zwölften Jahrhundert galten auch buddhistische Traditionen nur als leere Formen. Er soll Fleisch gegessen und Alkohol getrunken haben. Von ihm ist der Ausspruch überliefert: „Ist das Fleisch in meinem Magen, wandert die Seele des Tieres aus meinem Herzen in den Himmel.“

    • Fleisch essen und Alkohol trinken ist nicht verrückt. Ob er dabei Gelübde bricht kommt auf seine Gelübde an.
    • „Ist das Fleisch in meinem Magen, wandert die Seele des Tieres aus meinem Herzen in den Himmel.“ Entweder stimmt das oder dieser Meister lügt: in beiden Fällen sehe ich nichts Verrücktes. Etwas lügenhaftes ist nicht dasselbe wie verrückt.

    z.B.

    Zitat

    Als die Frau ein Bad nahm, bat sie Wonhyo, zu ihr in die Wanne zu steigen. Er folgte der Aufforderung und sofort sei, laut Überlieferung, ein unbeschreiblicher Segen über ihn gekommen. Seine Haut habe augenblicklich eine goldene Farbe angenommen und aus dem Badegefäß sei eine riesige Lotusblüte geworden. Im selben Moment verwandelte sich die Frau in den Bodhisattva Avalokiteshvara, die Verkörperung universellen Mitgefühls im Mahayana-Buddhismus.

    Das ist einfach nur eine Wundergeschichte. Wunder sollte man auch nicht mit Verrücktheit verwechseln.


    z.B.

    Zitat

    Eine neue Wende nimmt das Paradigma des „verrückten Heiligen“ im tibetischen Buddhismus. War er in China, Japan und Korea eine belächelte Randfigur des Pantheons, als buddhistisches Ideal jedoch eine allenfalls tolerierbare Gestalt, so wird er im tibetischen Buddhismus zu einem Leitbild und durch Marpa (1012–1097) und dessen Hauptschüler Milarepa (1040–1123) sogar zum Begründer einer eigenen Richtung mit großer Anhängerschaft.


    Hier liefert Hans-Günter Wagner überhaupt keine Beispiele was Milarepa Verrücktes gemacht haben soll.


    z.B.

    Zitat

    Diese lehrten durch ganz unkonventionelles Verhalten ihre Schüler und Schülerinnen, vorgeblich mit dem Ziel, deren Begierden zu transformieren, wobei sexuelle Inhalte oft eine zentrale Rolle spielen.


    Hier kommt es darauf an, ob man Vertrauen in die Tantrapraxis hat oder nicht. Wenn ja, ist das nicht verrückt (Begierden zu transformieren) sondern ein geschicktes Mittel für Schüler, die tatsächlich Bodhicitta entwickelt und die Leerheit verstanden haben.


    Für andere ist es ein bloßer Vorwand Sex haben zu können. Also eigentlich Betrug. Was hat das mit Verrücktheit zu tun?


    z.B.

    Zitat

    Sogyal Rinpoche etablierte sich so ein neues Ideal: der unberechenbare Meister, gesegnet mit „übernatürlichen Kräften“ höchster Erleuchtung und befähigt, tief ins Herz eines jeden seiner devoten Schüler zu sehen. Unkonventionelle Methoden wie Beleidigungen, Anzüglichkeiten oder sogar Schläge gelten als „geschickte Mittel“. Der Meister setzt sie in diesem Verständnis vollkommen selbstlos ein, um die Adepten im „Kampf gegen ihr Ego“ zu unterstützen. Die Verrücktheit des Meisters enthebt ihn zudem jeder Kritik.


    Der letzte Satz stimmt nicht, er ist ja kritisiert worden. Warum die erste öffentliche Kritik erst nach so langer auftauchte, müssten seine Schülerinnen und Schüler beantworten.

    Falls Sogyal Rinpoche ein Scharlatan und ein gewalttätiger Egoist war, dann war er halt das, aber kein Verrückter.



    Synonyme zu Verrücktheit (Duden)


    Zum Schluss:

    Zitat

    Den Guru als einen gewöhnlichen Menschen zu betrachten oder gar zu behandeln, wird als schlimmes Fehlverhalten aufgefasst. „Was auch immer er tut, der Schüler hat es als eine Belehrung zu verstehen“, so Stephan Butterfield,


    Dies sollte man lieber unter dem Thema „Vajrayana“ diskutieren. Tibetische Buddhisten sehen als Grundlage für diese Praxis, den persönlichen Lehrer (nach intensiver Prüfung) als Buddha zu betrachten.

    Welche Wirkung diese Praxis hat, das ist ein weites Feld für eine Diskussion und man sollte das ganze Vajrayana sehr gut kennen.

    Die Einordnung dieser Praxis in „verrückt sein“ halte ich zunächst für eine eher unqualifizierte, zu einfache Kritik.