Da der Artikel in U&W doch recht polemisch ist, möchte ich hier zunächst aus dem Protokoll der Mitgliederversammlung der DBU vom 17.10.2020 zitieren. Das ist für ein etwas klareres Bild der Faktenlage sicherlich hilfreich. Da ich selbst an der MV nicht teilgenommen habe (Herr Dr. Wagner meines Wissens allerdings auch nicht), ist das Grundlage meiner Anmerkungen zu dem Thema.
Am 29.12.2019 stellte die Buddha Stiftung – Netzwerk säkularer Buddhismus schriftlich und formgerecht den Antrag auf Aufnahme als Mitglied in der DBU. Claus Herboth [Anmerkung: Mitglied des dreiköpfigen Vorstands der DBU i.S.v. § 26 BGB] hat den Vorstand der Stiftung besucht und festgestellt, dass sie die Aufnahmekriterien erfüllt.
Der Rat sieht nach der Antragsbegründung keinen Widerspruch zur buddhistischen Lehre. Insoweit mit der Aufnahme dieser Gruppe jedoch eine Grundsatzentscheidung der DBU über säkularen Buddhismus getroffen werden soll, kann und will der Rat diese nicht allein treffen.
Anmerkung: Die Aufnahmekriterien für buddhistische Gemeinschaften - sowie auf Antrag des Rates (über den die Mitgliederversammlung entscheidet) auch andere juristische Personen wie Stiftungen - sind in erster Linie die Zustimmung zum 'Buddhistischen Bekenntnis' (ich werde darauf noch zurückkommen), Darlegung und Praxis des Dharma, eine Mindestanzahl von 10 Mitgliedern und ein mindestens dreijähriges Bestehen zum Zeitpunkt der Antragstellung.
Für die buddhistische Gemeinschaft Buddha Stiftung – Netzwerk säkularer Buddhismus ist Dr. Jochen Weber als deren Vertreter auf der MV gegenwärtig. Dr. Jochen Weber, der Vertreter stellt die Gemeinschaft der Mitgliederversammlung vor.
Das Thema Säkulärer Buddhismus wird kontrovers diskutiert und man stellt fest, dass es hier noch erheblichen Informationsbedarf und Auseinandersetzung mit dem Thema bedarf. Deswegen wird beschlossen, um den Antrag der Gruppe nicht abzulehnen, darüber abzustimmen ob über den Antrag zu einem späteren Zeitpunkt abgestimmt werden soll.
[...]
Der Antrag über die Aufnahme der Buddhastiftung – Netzwerk säkularer Buddhismus auf dieser MV abzustimmen, wird abgelehnt.
Grundsätzlich: die Erfüllung der Aufnahmekriterien ist conditio sine qua non für eine Aufnahme; sie begründet jedoch keinen Anspruch darauf. Ansonsten nochmals zur Verdeutlichung: der Aufnahmeantrag wurde nicht abgelehnt, sondern die Abstimmung darüber vertagt; mit 23 Stimmen gegen 17 sowie 5 Enthaltungen. Ich persönlich halte das für eine wenig sinnvolle Entscheidung, da für die Befriedigung eines Informationsbedarfs über ein neues Mitglied immer eine dreijährige Probezeit vorgesehen ist, nach deren Ablauf eine erneute ('endgültige') Abstimmung der Mitgliederversammlung vorgesehen ist. Drei Jahre sollten da jedenfalls ausreichend sein. Andererseits war ich bei der Diskussion nicht anwesend und weiss daher nicht, warum man diese Option nicht nutzen wollte oder für unzureichend hielt.
Kommen wir zum 'buddhistischen Bekenntnis', das Herr Dr. Wagner als "doktrinäre Standardisierung" charakterisiert und dazu meint, dass "der gemeinsame Nenner aller unter dem Dach dieser Vereinigung zusammengeschlossenen Gruppen sehr klein" ist. Konkret sieht dieser "gemeinsame Nenner" so aus:
- Die drei Zufluchtsobjekte Buddha, Dharma, Sangha.
- Die vier 'edlen Wahrheiten'. Dabei ist übrigens in Bezug auf die erste der aryasatya (duhkha) nicht von einem 'Kreislauf der Wiedergeburten' die Rede, sondern von einem 'Daseinskreislauf'.
- Die drei Seinsmerkmale (trilakṣaṇa); erweitert um die aus der tibetischen Tradition stammende ergänzende Formel 'Nirvana ist Frieden'.
- Das Bekenntnis zur Einheit aller Buddhisten (im Sinne von 1., 2. und 3.) sowie Verpflichtung zu einem achtungsvollen und offenen Umgang miteinander. Das ist der traditionsübergreifende Ansatz der DBU.
- Die Pañcasīla als gemeinsame ethische Grundlage.
- Die vier brahmavihārās / apramāṇa als gemeinsame Grundlage sozialer Praxis.
Ich weiss nun nicht, welche Ansprüche an und Vorstellungen von einem "gemeinsamen Nenner" Herr Dr. Wagner hat - mir erscheint diese "doktrinäre Standardisierung" als Definition, was ein Verband wie die DBU unter 'Buddhismus' versteht hinreichend und auch klar. Und sonderlich "klein" finde ich diesen "Nenner" nicht - aber das ist wohl persönliche Geschmackssache. Was ihm da fehlt (oder zu viel ist?), verschweigt uns Herr Dr. Wagner leider. Wenn er das 'buddhistische Bekenntnis' einmal gründlich studieren würde, wäre ihm womöglich auch etwas klarer, "wie viel authentischer Buddhismus [...] eigentlich noch im Vajrayana" steckt. Was "authentischer" Buddhismus nach dem Verständnis der DBU ist, steht genau dort - das definiert nicht Herr Petersen mit seinem nach meinem Empfinden etwas albernen Spruch. Dass Herr Dr. Wagner für diesen Spruch auch noch implizit Bhikṣuni Jampa Tsedroen (Carola Roloff) in Mithaft nimmt - wobei man sich auch als säkularer Buddhist keinen abbricht, wenn man jemanden mit seinem Ordinationsnamen anspricht - ist schlicht unsauber.
Aber okay - ich will mich nicht weiter über das polemische DBU-bashing Herrn Dr. Wagners auslassen. Ich finde bei diesem Thema eine maßvolle Polemik sogar angebracht, da sie die konträren Positionen verdeutlicht, um die es in diesem Diskurs eigentlich geht. Wobei es mE wünschenswert gewesen wäre, Herr Dr. Wagner hätte sich mehr auf deren Verdeutlichung konzentriert als auf einen pauschalen Rundumschlag.
Das Thema ist im Grunde auch nicht neu - es geht um Akkulturation des Buddhismus in unsere Kultur bzw. in die sich bildende globale Einheitskultur mit ihren stark 'westlich' geprägten, nicht zuletzt säkularistischen Anteilen. Und da gibt es, seit der Buddhismus in der westlichen Kultur Fuß gefasst hat, eben auch zwei sehr unterschiedliche Ansätze. Den des Imports einer Religion, gar einer Glaubensreligion (mit mehr oder weniger großen Anteilen kultureller Mimikry), den das Petersen-Zitat recht treffend verdeutlich - und den einer praktischen, säkularen Lebensphilosophie. Wobei letzterer Ansatz keineswegs neu ist, sondern sogar der ältere - es soll hier genügen, auf Schopenhauer (auch ein "Altvorderer", Herr Dr. Wagner ...) zu verweisen. Selbstredend geht es jedoch nicht um Seniorität und es geht auch nicht um ein entweder/oder, sondern um ein sowohl / als auch. Das macht die sichtbar gewordenen Vorbehalte in der DBU (die ausweislich des Abstimmungsergebnisses allerdings auf grob die Hälfte der Mitglieder begrenzt sein dürften) durchaus kritikwürdig. Zumal es hier ja nicht um ein Konkurrieren geht; die unterschiedlichen Ansätze richten sich ja offensichtlich an unterschiedliche Zielgruppen. Und diese duale Charakteristik - auf einer Seite eine vorwiegend durch Glaube und Devotion gekennzeichnete Volksreligion, auf der anderen eine außerordentlich fruchtbare, auf epistemische und ethische Probleme konzentrierte Philosophie, deren Folgerungen auf Umsetzung in der Lebenspraxis angelegt sind - ist ebenfalls nicht neu, sondern hat seit jeher in den asiatischen Herkunftsländern koexistiert. Jedenfalls weist es nach meiner Auffassung in eine falsche Richtung, wenn sich die DBU dieser 'säkularen' Option der Akkulturation verschließen würde - aber überzogene Polemik ist da nicht wirklich hilfreich. Jedenfalls ist Akkulturation die eigentliche Kernaufgabe der DBU und da sollte sie möglichst breit aufgestellt sein. Dass dies nicht zu einer Beliebigkeit von Lehren und Praktiken führen sollte, versteht sich und das macht die Vorbehalte, den geltend gemachten 'Informationsbedarf' bei einer doch sehr jungen bzw. gerade erst entstehenden 'Tradition' (falls der Begriff hier überhaupt angebracht ist) auch ein Stück weit verständlich. Aber da hat die DBU mit ihrem buddhistischen Bekenntnis ein durchaus brauchbares Instrument zur Integration und Bündelung der Anstrengungen unterschiedlicher Traditionslinien und eben auch unterschiedlicher Ansätze bei der Rezeption des Buddhismus. Die Zersplitterung durch einen Verbandspluralismus (ein drohender Wink mit dem Zaunpfahl?) hielte ich für Akkulturationsbestrebungen eher für kontraproduktiv - dafür geben die Muslime Deutschlands ein hinreichend deutliches Beispiel.