Es gibt so einiges in den Jātakam das mir geholfen hat geweitet zu denken. Mitfühlender zu werden, kommunizieren mit meinen Erfahrungen ohne die Geschichten als wirkliche Ereignis zu verwenden.
Ich stimme mit Dir überein, dass solche Geschichten für entsprechend empfängliche Menschen wirklich nützlich sein können; eben 'geschickte Mittel'. Ich selbst beschäftige mich gelegentlich auch ganz gerne mit Mythen und ihrer Deutung.
Die Frage dabei ist natürlich - wie deutet man einen Mythos oder Wundergeschichten? Wobei solche Geschichten ja grundsätzlich an ein etwas naiveres Publikum gerichtet sind als etwa die Sutten des Palikanon oder die Prajñāpāramitā-Sutren. Was, wie ich ausdrücklich betone, in meinen Augen nicht per se gegen sie spricht - aber dem heutigen Leser nahelegt, entsprechend bei der Deutung auch nicht allzu kompliziert zu denken.
Okay, kommen wir jetzt noch mal auf diese spezielle Geschichte. Wie sehen die Voraussetzungen für den Mord aus? Zunächst einmal ist der Ausführende ein hoher Bodhisattva der sich, wie sein Name 'Mahakaruṇā' anzeigt (大悲, im Chin. und Jap. einer der Namen Avalokiteśvaras), auf die Übung des 'Großen Mitgefühls' konzentriert. In Theravada-Sprech ein 'Einmal-Wiederkehrer' (Sakadāgāmin), wobei dieser spezielle Sakadāgāmin als Siddhārtha Gautama aus eigener Kraft heraus den Weg zum Erwachen wiederentdecken wird. Und dieser Mann meditiert über die Frage, ob er durch Mord Nothilfe leisten soll, erst einmal sieben Tage, bevor er einen Entschluss fasst.
Hier stellt sich mir in aller Bescheidenheit die Frage - wie sehen da meine persönlichen Voraussetzungen aus, wenn ich in die Verlegenheit komme, evt. ebenfalls durch einen präventiven Mord Nothilfe zu leisten? Mir ist klar, dass ich da nur für mich sprechen kann - aber mein Fazit ist doch da zunächst einmal, dass ich diese Geschichte vorerst mal entweder unter 'geht mich nix an' ablege oder aber daraus die Deutung ziehe, dass man eine Option 'Nothilfe durch Mord' erst dann ernsthaft in Erwägung ziehen sollte, wenn man dieselben Voraussetzungen mitbringt (dieselbe 'Geübtheit' aufweist) wie Avalokiteśvara. Und selbst dann äußerst gründlich abwägen sollte, bevor man handelt.
Ansonsten sollte man solche 'Lösungen' besser gar nicht erst Betracht ziehen, insbesondere wenn einem das nur durch einen Mord zu lösende Problem im Traum durch Götter gestellt wird. Mir persönlich werden in meinen Träumen solche Probleme glücklicherweise nicht gestellt. Also: auch das geht mich nix an; diese Voraussetzung fehlt mir. Und wenn die Voraussetzung, dass ich mich durch Träume zu einem Mord motiviert sehe, mal gegeben sein sollte, dann suche ich hoffentlich erst einmal fachärztlichen Rat. Also - aus heutiger Sicht bewegt sich der Autor dieser haarsträubenden Geschichte da auf äußerst dünnem Eis ...
Nächste Voraussetzung: der Punkt, dass die Nothilfe ohne jegliche negative Emotion, sondern ausschließlich aus umfassendem Mitgefühl heraus mit der Bereitschaft, zum Wohle anderer Wesen dafür eine unfassbar lange Zeit wieder in die Höllenbereiche abzusteigen, ausgeübt wird. Also - ich habe zwar schon viele Wesen umgebracht, aber glücklicherweise noch keinen Menschen. So etwas unter dieser Voraussetzung zu tun, traue ich mir ebenfalls nicht zu. Auch da geht mich diese Geschichte nix an. Dass unter dieser speziellen Voraussetzung dann das karma des Mordens sich gerade umgekehrt auswirkt (interessanterweise in gleicher Gößenordnung) mag nun eine interessante Theorie sein - die aber von dem Buddha in der Geschichte nicht weiter begründet wird. Kann man jetzt glauben, muss man aber nicht. Vor allem, wenn man ohnehin nicht in die Verlegenheit kommt.
Offensichtlich ist diese Geschichte selbst ein 'geschicktes Mittel' oder soll es doch zumindest sein. Wobei ich hier allen Ernstes in die Runde fragen möchte: "geschickt" eigentlich für wen? "Geschickt" wozu eigentlich?
Das Mindeste, was man wohl sagen kann, ist, dass diese Geschichte zum Missbrauch einlädt (was sie zu einem ziemlich ungeschickten Mittel macht). Ein naives Publikum, dem man diese Geschichte erzählt, zieht daraus womöglich die Lehre, dass es nicht nur in Ordnung ist, "böse" Menschen umzubringen sondern sogar förderlich auf dem buddhistischen Weg. Wer die "Bösen" sind, wird einem bei Bedarf dann schon gesagt - von den Geschichterzählern.