Beiträge von Thorsten Hallscheidt im Thema „Religion“

    Wenn ich Freunden und Bekannten gegenüber äußere, dass mir Religion wichtig ist, oder dass ich mich als religiös bezeichnen würde, hat das häufig eine ähnliche Wirkung, als würde ich eine verborgene Perversion oder eine kriminelle Vergangenheit gestehen: Hüsteln und baldiger Themenwechsel ist oft die Folge. Ist auch nachvollziehbar, wenn ich mir anschaue, welches Bild von Religionen in den Medien transportiert wird. Dabei berichten die Medien natürlich von dem, was ihnen und den Konsumenten berichtenswert erscheint: Skandale, Missbrauch, Rückständigkeit, Bigotterie, Fortschrittsfeindlichkeit, Homophobie, Sexismus, etc... Und all das ist ja auch Realität. Es ist Realität im Buddhismus, im Islam, im Christentum – und in vielen anderen Teilen der Gesellschaft. Selten wird von den positiven Effekten der Religionen berichtet, die meiner Ansicht nach unvergleichlich häufiger und einflussreicher sind als Skandale, etc...

    Religion, religiöse Praxis ist meiner Ansicht nach der Schlüssel für einen besseren Umgang mit unserer Mitwelt, einfach, weil Unwissenheit, Begierden und Abneigungen genau das Feld sind, das im Kern die Ursache für die meisten der derzeitigen globalen Probleme darstellt. Darum gehört für mich zum Klima- und Artenschutz vor allem die Praxis der Geistesschulung, denn sie setzt genau da an, wo diese Probleme ihren Anfang nehmen.

    Geistesschulung ist ein anderes Wort für religiöse Praxis, denn die meisten Religionen enthalten einen Weg der Transformation von Unwissenheit, Begierden und Abneigungen. Dabei geht es mit Unwissenheit eigentlich um die Fragen: Wie funktioniere ich, und wie kann ich mit mir und meinen Bedürfnissen und Abneigungen so leben, dass es für mich und andere (also die Mitwelt) besser läuft.Dafür ist auch das tiefe Empfinden von Angstbefreiung, Geborgenheit, Wunschlosigkeit und ungerichtetem Glück, das sich durch religiöse Praxis einstellen kann, ein wichtiger Baustein.

    Mit anderen Worten: Jemand, der Zufriedenheit und Geborgenheit in sich selbst finden kann, braucht viel weniger äußere Quellen der Befriedigung, und dadurch auch weit weniger Energie, diese Quellen zu erzeugen, zu erwerben und gegen andere zu verteidigen. Dieser Wertewandel könnte tatsächlich zukünftig den Unterschied machen, weshalb ich auch Religion für unverzichtbar halte, wenn es um gesellschaftlichen Wandel geht. Das klingt nach: Wenn alle Menschen religiös werden, ist die Welt in Ordnung, und ruft natürlich sofort Widerspruch auf den Plan: Das sieht man ja an ISIS oder den Gesellschaften des Mittelalters inkl. Inquisition und gewaltsamer Missionierung, wie gut das klappt! Nachvollziehbar... Allerdings ist der Reflex, wegen dieser Gegebenheiten Religion grundsätzlich abzulehnen, ebenso verfehlt, weil damit auch die Quelle für Angstbefreiung, Geborgenheit, Wunschlosigkeit und ungerichtetem Glück verloren gehen, die den eigentlichen Kern der religiösen Erfahrung ausmachen. Daher ist vielleicht ein Blick auf Religion notwendig, der ergebnisoffen Nutzen und Gefahren abwägt, und die Quelle für möglichst viele Menschen öffnet, ohne mit Dogmen, Zwang oder Denkverboten alle Vorteile und Entwicklungen zunichtezumachen oder gar nicht erst zu ermöglichen.

    Mir scheint, du ergehst dich gern in Vorstellungen über dies und das.

    Und du hast dir auch eine eigene Vorstellung von Buddhismus gebastelt.

    Auch diejenigen, die ihren Selbstwert im kritischen Kommentieren anderer finden, ohne eigene Positionen und Vorstellungen zu formulieren, hängen Vorstellungen von Ich und Mein und Welt nach, und spiegeln sich überlegen lächelnd darin. Spieglein, Spieglein... :verliebt:

    Aber, Scherz beiseite... Du hast natürlich vollkommen recht mit Deiner Kritik, ich habe hier versucht etwas in Worte zu fassen, einen Status Quo, eine persönliche Position. Dafür habe ich Sprache benutzt, die Vorstellungen erzeugt und auf Vorstellungen basiert. Ich habe auch im Laufe der Zeit eine Vorstellung von dem bekommen, was Buddhismus für mich ist. Das ist eine eigene Sicht, weil ich anhand der Lehre Erfahrungen gemacht habe, und für mich daher bestimmte Dinge wichtig geworden sind, andere eher in den Hintergrund getreten. Erfahrungsaustausch zum Verständnis der buddhistischen Lehre, das ist der Sinn eines solchen Forums wie hier, nicht? Einen eigenen Buddhismus gebastelt habe ich mir deshalb nicht.

    Zitat

    Wenn ein Zuwachs an Glücksempfinden tatsächlich rein qualitativer, also völlig entmaterialisierter Natur wäre, könnte seine Quelle nur im Subjekt selbst liegen.


    Aus Nico Paech, Befreiung vom Überfluss | oekom verlag S.9


    In dieser Formulierung liegt der Ausweg aus fast allen Krisen unserer Zeit. Religion, sofern nicht von Furcht vor Machtmissbrauch und Dogmatismus zerfressen, zeigt, wie das gehen kann. Dazu braucht aber Religion die "magische" Kraft zur Transformation (Heiligung) des Alltäglichen. Darum ist sie weit mehr als Technik zur Selbstoptimierung oder Ersatz für Psychologie. Eine "Modernisierung" von Religion sollte aus diesem Grunde diese" magische" Kraft nicht unterschlagen oder wegzurationalisieren versuchen. Nur mit Metapher, Bild und Mythos – als Verweis auf das Unsagbare ("Urgrund des Seins" Paul Tillich) – kann eine Modernisierung gelingen, ohne Religion zu einem Lifestyle-Produkt zu marginalisieren.

    Lieber Thorsten, das war nichts verletzend gemeint, wie haben hier im Forum keine andere Art der Kommunikation als die Sprache.

    Habe ich auch nicht verletzend aufgefasst. Die Suche kann leicht in spirituellem Materialismus münden, in dem ich mich auf der ständigen Suche nach dem nächsten religiösen Kick von Meister zu Meister kaufe. Auch können gute oder außerordentliche Gefühle in der Meditation gewaltige Anhaftung erzeugen: Das will ich wieder! Und wer mich dabei stört, ist mein Feind!


    Heiliger Bezirk klingt natürlich nach außerordentlicher Erfahrung, daher geht das Missverständnis auf meine Kappe. Sagen wir eher: der Rucksack ist mal abgesetzt, das klingt nicht so taaatatataaaaa!


    ;)

    Diese religiösen Gefühle sind Gefühle der Erhabenheit und der Beseeligung Angesicht der Gegenwart des Heiligen.

    Moin Void.


    Ich spreche nicht von religiösen Gefühlen oder Gefühlen der Ergriffenheit. Ich spreche vom Bereich des Heiligen. Der heilige Bezirk wird in der Stille sichtbar, in der Freiheit von Angst und Wunsch, von Hoffnung und Erinnerung, von gestern und morgen. Es ist nicht leicht, dort hinzukommen, obwohl er alle Dinge durchstrahlt. Das hat nichts mit großen Gefühlen oder Beseeltheit zu tun, im Gegenteil.

    Ein zurückkehren zu Leersein, zu Nicht-Glauben, ein Einlassen auf die Soheit der Welt? Zum Wandel der Dinge? Zum Einfach so?

    Wohin zurück? Ich habe von einem Glauben geschrieben, der nicht auf Vertrauen basiert, sondern von einem Glauben, der aus der Erfahrung von unmittelbarer Präsenz dessen hervorgeht, über das ich nicht reden kann, ohne es zu verdecken und zu zerbrechen, von einem Glauben, der der Motor des totalen Zweifels ist.

    Ich bin ein religiöser Mensch – tief in der Religion verwurzelt. Im Buddhismus finde ich die Quelle, aus der Religion entspringt, am klarsten und deutlichsten. Ich finde darin die Essenz des Religiösen. Religion entspringt einer Quelle, jede Religion, jede Tradition derselben Quelle. Die Quelle ist nicht die Religion. An der Quelle kann ich die Religionen vergessen. Ich lehne Dogmen ab und all das, was "man glauben muss", um zum Club zu gehören. Aber ich glaube. Bis in die tiefste Faser meines Wesens glaube ich. Es ist kein Glaube, der auf Vertrauen, sondern ein Glaube der aus der Erfahrung von unmittelbarer Präsenz dessen hervorgeht, über das ich nicht reden kann, ohne es zu verdecken und zu zerbrechen.


    Der Glaube befreit mich aus dem Gefängnis der Diskurse. Der Glaube ist der Motor für den totalen Zweifel. Der Glaube erkennt nichts an, außer dem Gebiet jenseits aller Diskurse und Meinungen, außer der Quelle. Der Dharma, die Lehre des Buddha, ist ein Tor hin zum Bereich des Hierophanen, des heiligen Bereichs. Er heiligt jeden Augenblick, jede Pflanze, jede Wolke, jedes Gesicht, jedes Insekt. Der heilige Bezirk hat keinen Ort, aber er durchdringt jeden Winkel der Welt. Das Ich, mein, mich verschwindet darin – endlich – nach all der Wirrnis und all dem Irrsinn, all dem Streben und Wollen.


    Die heiligen Schriften sind voll von Metaphern und Versuchen, diesen Bereich und den Weg dorthin zu beschreiben. Ich weiß, dass sie alle die Wahrheit sprechen, jede auf ihre Weise, jede in ihrer Zeit und Sprache. Ich weiß, dass das, was sie nicht zu fassen vermögen in Text und Bild, real ist, und dass auch nur das den Begriff Wirklichkeit verdient. Religion zeigt den Weg zur Wirklichkeit, zur Quelle des Realen und Unaussprechlichen. Die Bilder und Metaphern sind für mich klar und völlig eindeutig, seit ich einmal in DAS gestolpert bin, worüber sie reden. Davor sind sie immer in tausende von Splittern zerfallen – ein jeder Splitter Anlass zu Zweifel, Häme und Verneinung, stumm, tot, unglaubhaft. Der heilige Bezirk wird in der Stille sichtbar, in der Freiheit von Angst und Wunsch, von Hoffnung und Erinnerung, von gestern und morgen. Es ist nicht leicht, dort hinzukommen, obwohl er alle Dinge durchstrahlt.


    Heute ist es noch schwerer geworden, denn Stille und Freiheit von Wunsch, Angst und Hoffnung sind selten und sehr kostbar. Darum gibt es auch immer mehr Menschen, die die Religion davon befreien wollen, indem sie sich von der Religion befreien wollen. Die Religion zeigt den Weg zu dem, über das nicht gesprochen werden kann. Der Buddhismus ist konsequent in seine Methode der Negation, daher erscheint er nihilistisch. Dabei zeigt er nur auf, was DAS alles nicht ist, um eine Ahnung zu erzeugen und eine Spur zu legen. Er erzählt Geschichten und Märchen, Methoden und Wege. Auch das Christentum kennt diese Erzählungen und der Islam. Traurig, wenn das Religiöse aus unserer Welt verschwindet, weil immer mehr Menschen den Wegweisern nicht mehr glauben wollen und den Weg nicht mehr finden können. Schließlich bleiben nur noch Skandale, leere Gotteshäuser und der Verdacht, dass das alles Geldverschwendung ist und auf den Müll gehört. Damit geht der kostbarste Weg verloren, den Menschen gehen können. Darum finde ich es besser, Religionen wieder zugänglich zu machen, die Quelle wieder zu öffnen, statt mit dem Vorwand der Säkularisation, der Aufklärung und der Rationalität die Religionen ihrer Kraft zu berauben, den WEG zu weisen.