Wenn ich Freunden und Bekannten gegenüber äußere, dass mir Religion wichtig ist, oder dass ich mich als religiös bezeichnen würde, hat das häufig eine ähnliche Wirkung, als würde ich eine verborgene Perversion oder eine kriminelle Vergangenheit gestehen...
In dem Maße, wie seit der Aufklärung die moderne Wissenschaft an Einfluß zunahm, hat derselbe der Religion abgenommen. Seitdem hat uns die Wissenschaft einen ungeahnten materiellen Fortschritt gebracht aber das Wesen des Menschen ist geblieben, wie es immer war. Die Spannweite reicht vom verworfensten Verbrecher bis zum höchsten Heiligen. Verschiedene Zeitepochen neigen sich mal mehr in die eine oder andere Richtung aber im Prinzip ist das Wesen der Menschheit geblieben, wie es immer schon war. Die einstige Hoffnung, mit wissenschaftlichen Methoden auch eine bessere, menschlichere Gesellschaft zu schaffen, haben sich zerschlagen. Heute stehen wir vor einem Scherbenhaufen und das ist kein Vorwurf an die Wissenschaft, denn niemand hat diese Entwicklung gewollt.
Daß sich in der westlichen Welt, in der die Wissenschaft ihre größten Triumphe feiert, das Religiöse als Aberglaube angesehen wird, ist die Folge davon. Die Wissenschaft sieht das „vor den Augen liegende“, die sogenannte Materie, als das Primäre an und der Mensch ebenso, denn es entspricht seinem täglichen Erleben und infolgedessen ist vielen Abendländlern heute alle Religiosität suspekt.
Die Definition des Wortes Religion ist offenbar nicht ganz geklärt. Ich verstehe darunter: re = rück, ligere = verbinden, also Rückverbindung, nämlich mit dem ganzen Wesen der Existenz, nicht nur mit dem Materiellen. In diesem Sinne ist Religion für mich der Ausdruck für etwas Ganzes, Universelles, Unteilbares, etwas, was das Leben ganz durchdringt, nicht nur das menschliche Leben. Es ist der Sinngehalt der Lehre Buddhas und aller anderen großen Seher und war lebendig, solange sie es lehrten und einige Zeit darüber hinaus. Sobald man es jedoch zu organisieren begann, eine Institution darum herum errichtete, begann sie abzusterben. Ich unterscheide also zwischen Religion und Kirche. Religion gibt es für mich nur eine, Kirchen gibt es viele: Christliche, muslimische, mosaische, buddhistische u.s.w.
Kirchen haben historisch nie dauerhaft zu einer entscheidenden Verbesserung der Gesellschaft geführt, ebenso wenig wie die Wissenschaft. Ob es Religion kann, wissen wir nicht, denn Zeiten, in denen wahre Religion der Maßstab des Handelns einer ganzen Gesellschaft war, ist nicht überliefert.
Wohl aber gab und gibt es Gemeinschaften, die nach religiösen Prinzipien leb(t)en und eine gewisse Zeit harmonisch existier(t)en aber auch hier kann man Zeiten des Aufstiegs, der Blüte und des Zerfalls beobachten.
Wie auch immer, seit mir der Sinn der Lehre aufgegangen ist, ich dem vom Buddha gewiesenen Weg folge und merke, wie sich Dukkha mindert und das Heile und Helle mehrt, ist es mir egal, daß Leute die Augen verdrehen, wenn sie von meiner Weltsicht erfahren. Jeder muß selbst seine Erfahrungen machen – die glücklichen und die leidvollen. Vielleicht kommt es nicht darauf an, diese Welt zu bessern, sondern uns zu bessern und das kann jeder nur bei sich selbst erreichen.