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Das mit Sasakis Erbe hätte ich so heute auch nicht mehr geschrieben. Warum genau er keine Nachfolger genannt hat, weiß ich tatsächlich nicht und es ist mir ehrlich gesagt vollkommen Wurscht. Seine Linie ist aus meiner Sicht genauso tot wie die von Shimano, mit oder Nachfolger.
Okay, ich werde mich - mit anderen - bemühen, dass das im Fall Sasaki nicht so ist, und was Shimano angeht, vielleicht nochmal ein Buch von ihm auflegen. Gerade weil die beiden tot sind, stellt sich die Frage nicht, ob ich sie als persönliche Lehrer aufsuche, sondern bestenfalls die, ob ich von ihren Texten oder Reden etwas lernen kann - was ja für alle bedeutenden Zenlehrer gilt, von Dogen über Linji bis Sawaki usw. Das ist der Punkt, wo wir uns grundlegend unterscheiden. Ich will meine Argumente mal anführen.
1. Die Kategorie "Von wem habe ich etwas gelernt". Demzufolge sind mir diese Lehrer wichtig. Für TNH gilt dies nicht. Es hat zunächst also nichts mit dem Lebensstil der Lehrer zu tun, sondern damit, was sie vermitteln und wie sie es vermitteln. Ein anderer mag das genau umgekehrt sehen. Diese Kategorie ist dennoch von Bedeutung. Ich frage nicht, ob Laotse auf Lolitas stand. Wenn ja, hätte er einfach Glück gehabt, dass es niemand notierte.
2. Die Kategorie "Eine Linie ist dann nicht tot, wenn du sie aufleben lässt". Ich habe das auch in Bezug etwa auf die von Yunmen etc. gesagt: Wer sich Yunmen zu eigen und zu seinem Lehrer macht, belebt seine Linie. Ein "tote Linie" ist also - neben einer rein akademisch-historischen Festlegung - auch eher eine subjektive Wertung.
3. Die Kategorie "Leid verursachen": Im Falle Sasakis und Shimanos habe ich mir die Archive ganz genau angesehen, und für mich bleibt da nichts Justiziables übrig, also bewegen wir uns hier auf dem Feld einer weniger allgemein gültigen Moral (wie es das Gesetz wäre), sondern spezifisch buddhistischer oder anders motivierter Betrachtungen. Um welches Ausmaß von Leid geht es da, dass jemanden nicht mehr "zitierfähig" machen soll? Sasaki hat schon sehr früh in den USA davor gewarnt, ihn auf einen Sockel zu stellen. Und er hat später nicht nur seine sexuellen Neigungen eingeräumt, sondern seine Sangha hat weibliche Neulinge ausdrücklich auf diese Eigenart hingewiesen. Deshalb gibt es auch eine gestanden Psychologin, die sich z.B. auf ein Verhältnis mit ihm bewusst einließ und dies in einem Buch beschreibt. Es ist jedenfalls kaum vorstellbar, dass irgendjemand, der sich sexuell auf welche Art auch immer austobt, kein Leid erzeugt. Es muss also einen Maßstab geben für diese von Dir genannte Ausgrenzung. Einer wäre ein Gesetz, wie es Döring zum Verhängnis wurde. Dann aber könnte man - auch im Sinne dieses Gesetzes - nach Haftstrafen die Sache als abgebüßt betrachten. Döring hat also eine neue Chance verdient. Selbst Shimano und Sasaki wurden auf ihre Weise abgestraft, teils materiell und durch Wegbrechen von Teilen ihrer Sangha.
4. Das leitet über zur Kategorie "Wer darf Dharma-Nachfolger werden?" Du unterstellst z.B., dass ein Pädosexueller überhaupt kein Dharma-Erbe antreten solle. Dazu kenne ich keine stich- und standhaltige Regel. Sehr wahrscheinlich wurde sogar in Japan, wo ja unter den Samurai eine ganze Zeitlang Knabenliebe praktiziert wurde, auch von Zen-Meistern nichts dergleichen verurteilt, bis es eben der Zeitlauf und die Gesellschaft anders sahen und ggf. noch Gesetze es verboten haben. Aus einer bestimmten feministischen Ecke (Schwarzer etc.) wäre auch Ikkyus Gang zu Prostituierten heute so zu werten. Ein Dharma-Erbe sollte also keiner werden, wenn er sexuelle Schwächen wie diese hat? Was ist mit den anderen Schwächen, welche sind noch erlaubt? Ist das nicht genau der übliche Fallstrick, den Meister auf einen zu hohen Sockel zu stellen?
Mit anderen Worten: Was uns unterscheidet ist meine Auffassung, dass ein Zenlehrer dann für mich Sinn macht, wenn er etwas erkannt hat, was mich weiterbringt und was er mir vermitteln kann. Am Besten per Text oder Rede. Diese bleibt auch dann zitierfähig, wenn sein Verhalten zu wünschen übrig lässt. Bei dieser Verhaltenskritik sollte mir aber bewusst sein, wo ich selbst Ansprüche stelle und was mich etwas angeht. Das Sexualleben anderer geht mich im Grunde nicht viel an. Besitzverhältnisse oder die ungerechte Verteilung von Reichtum allerdings schon. Ich habe festgestellt, dass ich als jemand nahe an der Armutsgrenze durchaus einen Weg finden kann, ohne das schmierige Getue dieser Zenmeister eine gewisse Befriedigung zu erreichen. Tatsächlich könnte ich mir sogar einreden, dass es wahrscheinlich nur wenige Reiche gibt, die ein besseres Sexualleben haben als ich. Und dass ich sogar sexuell leben kann, während ich loslasse, also Zen praktiziere. Ich glaube allerdings - aufgrund meiner eigenen Praxis -, dass Besitz von Ländereien, Immobilien, Materiellem diesem Loslassen eher hinderlich ist. Darum ist bei meiner Kritik dieser Punkt moralisch bedeutsamer. Und natürlich die unter 1. erwähnte Erkenntnis. Es ist also so, dass TNH zwar mehr Erkenntnis und Wissen besaß als der Thich von Phat Hue, aber sie geben mir beide als Lehrer nix. Beide streb(t)en zwar auch nach Materie. Doch sind sie für mich bereits als Lehrer erledigt, noch bevor ich ihre Charakterfehler feststelle. Ob dann noch einer dazukommt (sexuelles Fehlverhalten), ist ggf. nicht sehr bedeutend, denn sie sind nicht "zitierfähig", weil sie in meinen Augen Dünnschiss lehren. Eine weitere wichtigere Kategorie als das Sexualleben ist für mich die Glaubwürdigkeit, mit der sie das dokumentieren, was sie behaupten zu sein (TNH ein autorisierter Thien-Lehrer usf.). Denn damit wollen sie sich ja als Lehrer ranschmeißen. Hier beginnt bei sehr vielen von mir zuvor Genannten bereits die Heuchelei, und die ist von ganz ähnlicher Natur wie die derjenigen, die ihre sexuellen Eskapaden unter den Teppich kehren wollen.
Der Vollständigkeit halber will ich zwei Dinge ergänzen, zum einen, dass ich vor einigen Jahren im Schlussspurt der Förderungen von der Robert-Bosch-Stiftung einen Antrag stellte, TNHs Vorleben in Vietnam zu recherchieren, u.a. auch nach jenem Kind zu suchen und seine Verwicklung in die kommunistische Strategie und die Verantwortung von Mönchen für das Massaker in Hue (wo auch Deutsche starben). Der Antrag wurde nicht bewilligt, und dann kam ja auch Corona. Jedenfalls würde ich sagen, das ist ein Thema für einen investigativen Journalisten, so wie es im Kleinen damals auch der Fake-Shaolin-Tempel in Otterberg war und der Thay aus Frankfurt, was die Presse ggf. etwas spät erkannte. Ich hoffe, dass sich da nochmal jemand dahinterklemmt. Für mich sind ist der Kommunismus ein Krebsgeschwür, das insbesondere in Ostasien weiter wuchert, und ich würde jeden, der dazu beitrug, auch unter den Verdacht des "Leidverursachens" stellen. Diese subjektiven Kategorien spielen dabei eine Rolle, wen man am liebsten an den Pranger stellt. Aber die kann man ja diskutieren.
Zum anderen glaube ich, dass Du - wie viele in Sasakis Sangha - seine Lehre nicht auf die gleiche Weise verstehst wie ich und deshalb "sich an eigenen Schülerinnen zu vergreifen" (ich ergänze: an erwachsenen Frauen) "seine angebliche Erkenntnis im Kern" träfe. Ich will deshalb kurz skizzieren, was Sasaki z.B. über uns als Menschen und auch über sich sagte: a) Wir bewegen uns von Egolosigkeit zu Ego und wieder zurück, mit anderen Worten: Es ist völlig abwegig, dass einer, auch ein Sasaki, keine Fehler hat oder permanent selbstlos ist. b) Wenn sich eine Gelegenheit ergibt, Liebe oder Zuneigung zu zeigen, dann ergreife sie. c) Glaube bloß nicht, der Lehrer sei etwas Besonderes. - Wenn ich allein diese drei Dinge - als Ausschnitt seiner Lehre, wobei a) ein wesentlicher Kern ist - geschluckt habe, inwiefern ist dann die sexuelle Annäherung an erwachsene Frauen in seiner Sangha ein Widerspruch zu seiner Erkenntnis? Es ist mehrfach bestätigt worden, dass Sasaki eine Frau nicht weiter behelligte, wenn sie klar Abneigung gegen sein Verhalten zeigte. Natürlich können wir uns wünschen - und hoffentlich selbst praktizieren -, dass er auch noch erkannt hätte, d) in der eigenen Sangha wildere ich nicht. Wer das will, der kann sich eine Sangha mit einer solchen Regel suchen und schauen, ob es dort funktioniert.
Ich komme auf den Fehler "Lehrer auf den Sockel stellen" zurück: Man sollte auf Lehrer also nicht projizieren, was sie gar nicht gelehrt oder erkannt haben. Sasaki hat das Menschsein als genau so fehlerhaft erkannt wie er es selbst lebte und wir es - auf unsere je eigene Art - auch tun. Das ist für mich einer seiner Augenöffner. Andere mögen zwar glauben, insbesondere mit Bezug auf die Buddha-Figur, ein Lehrer habe moralisch einwandfrei zu sein. Aber das ist zumindest nicht, was Sasaki lehrte, sondern eine Wunschvorstellung, vor der er selbst schon früh warnte. Sasaki kannte sich, er war in Japan u.a. auch deshalb wegen Veruntreuung von Tempelgeldern verurteilt worden, weil er das Geld mit einer Geisha durchbrachte. Schon damals hat Sasaki ohne Zögern vollumfänglich gestanden. Das heißt, er hat auch im Versagen - und später im Knast - Zen praktiziert.