Beiträge von Yoshikind im Thema „Der Karmapa, Missbrauchsvorwürfe, eine Initiativen von Karma Kagyüs“

    Achtung, es folgt ein sehr subjektiver Beitrag.



    Ich fasse es nicht. Schon wieder ein Missbrauchsskandal, und diesmal ist es der Karmapa.


    Warum bekomme ich das erst heute mit? Weil ich seit Ewigkeiten mal wieder in dieses Forum schaue. Weil ich seit Monaten, wenn nicht seit Jahren denke, dass ich mich endlich mal wieder mit buddhistischen Themen befassen möchte, weil mir das - eigentlich - sehr wichtig ist. Die buddhistische Lehre habe ich, wenn ich mich damit befasst habe, immer als Ausdruck reiner Vernunft und Ethik wahrgenommen. Außerdem: Dieses Leben ist kurz und mir scheint, die alten Tibeter haben die Funktionsweise des menschlichen Geistes besser beobachtet als irgendwer sonst. Also würde ich meinen Geist gerne ein wenig stabilisieren, bevor er durch den nächsten Bardo tanzt.


    Ich habe aber seit geraumer Zeit immer so ein fieses Gefühl, wenn ich daran denke, mich in irgendeine Form des Austausches in einer Sangha zu begeben. Mehr als einmal habe ich erlebt, wie ich dazu aufgefordert werde, meinen Verstand an der Tür abzugeben. Das ist natürlich eine subjektive Interpretation. Aber ich habe eine ganze Menge Zeit damit verbracht zu lernen, auf welchen Grundsätzen die buddhistische Lehre beruht. Es wird nach und nach öffentlich, dass und in welch krasser Weise ein Würdenträger nach dem anderen gegen diese Prinzipien verstößt. Das ist frustrierend mit anzusehen, aber noch viel verstörender sind für mich die Reaktionen darauf. Vom allfälligen Gerede über „crazy wisdom“ und die Behauptung, der offensichtlich Missbrauchende sei die Verkörperung des Mitgefühls, einfache Schüler könnten ja die Motivation seines Handelns gar nicht erkennen (gern genommen von Mitgliedern der Sangha des jeweilig Betroffenen) über arrogant-desinteressiertes Abwinken von Mitgliedern anderer Gemeinschaften (man selbst habe dieses Problem nicht, der eigene Lehrer würde nie…man sei eben selbst dafür verantwortlich, welchen Lehrer man sich aussucht) bis zum Totschlag-Argument bzgl. einer Kultur, die man angeblich nicht versteht. Ja, ich verstehe die tibetische Kultur nicht, wie sollte ich auch? Aber ich möchte ja auch nicht Tibeterin werden, sondern mein Verständnis der buddhistischen Lehre erweitern, und zwar unter besonderer Berücksichtigung des im alten Tibet entstandenen Wissens über den menschlichen Geist. Dass ich das möchte, hat eine ganze Menge damit zu tun, dass die buddhistische Lehre sehr gut zu meinem christlich-abendländische Wertekanon, den ich mitbringe, passt. Ich möchte diese Werte nicht aufgeben, und wenn ich mich an der Lehre des Buddha orientiere, sehe ich auch nicht die geringste Notwendigkeit dazu. Lügen, Vergewaltigungen, die Verwendung von Spendengeldern für den Erhalt von Macht, für Vertuschung und Verschwendung – das alles mag Ausdruck von Kultur sein. Und zwar von patriarchalischer (Un-)kultur, der Kultur von Machteliten. Und natürlich ist das nichts spezifisch Buddhistisches. Es ist im Gegenteil überall das Gleiche. Eine dünne Schicht privilegierter Männer terrorisiert den Rest der Welt und insbesondere die Frauen durch Gewalt, Entrechtung und Ausbeutung. Der größte Teil vom Rest der Welt guckt weg, solange es irgendwie geht. Als Motive kann ich mir nur Bequemlichkeit und einen übermächtigen Wunsch nach Selbstvergewisserung vorstellen. Was wird schließlich aus dem eigenen Ego, wenn man feststellt, dass man lange einem System angehangen hat, dass man in Frage stellen sollte?


    Die buddhistische Lehre, so wie ich sie aufnehme, weckt in mir ein großes Bedürfnis nach Austausch. Aber in solchen Strukturen wie eben beschrieben mag ich mich nicht über Dinge austauschen, die mein Innerstes betreffen.