Beiträge von Thorsten Hallscheidt im Thema „Buddhismus und Homosexualität und Transsexualität“


    Zum ganzen Interview

    Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie es ist hetero oder schwul zu sein, habe ich darum das Recht nach Ursachen für das Sein eines Menschen zu suchen oder gar zu erfinden, um mich wohler zu fühlen?

    Du kannst Dir auch nicht vorstellen, wie es ist, ich zu sein. Darum verbieten sich alle Urteile oder Mutmaßung, welche karmischen Ursachen zu Leben und Sein eines anderen geführt haben mögen. Für Dich selbst, aus Dir selbst heraus, mag der Blick auf Ursachen und Wirkungen hilfreich sein. Allerdings würde ich auch von Fantastereien bezüglich vergangener Leben absehen.

    Nicht eine Kommentierende hat bisher gefragt, welche guten Taten den dazu geführt haben könnten, warum jemand - frei nach Wowereit - das GLÜCK hatte, in diesem Leben als queerer Mensch geboren worden zu sein.

    Da hast Du nicht sauber gelesen:


    Man kann ja auch problemlos argumentieren, dass es einer positiven karmischen Ursache entspringt, wenn jemand homosexuell ist.

    Aber ich bin natürlich auch ein Kommentierender, insofern hast Du vielleicht recht.

    Hier eine besondere Blume:


    Offensichtlich wird da auch etwas tradiert, das sich widerspricht.
    Das kann man doch nicht einfach ignorieren, weils grad nicht passt.

    Ich denke, es handelt sich bei dem Verständnis von Karma um einen kulturellen Prozess, der im Verlauf der Entwicklung der buddhistischen Philosophie von der plumpen (und unglaubwürdigen) Auge-um-Auge-Logik zu einer immer subtileren und differenzierteren Wirklichkeitsbeschreibung wurde. Im Palikanon und auch in späteren Schriften des Mahayana werden dazu unterschiedliche Konzepte vorgestellt. Jeder mag selbst entscheiden, welches dieser Konzepte ihm oder ihr plausibel erscheint. Plausibel jedenfalls werden diese Konzepte nicht, weil sie in irgendwelchen heiligen Schriften stehen, sondern nur, weil sie möglicherweise etwas zum Verständnis der unmittelbaren eigenen Lebenswirklichkeit beitragen können. So war für mich die Vorstellung, dass es sich bei den Gedanken, die ich aus Gewohnheit als "meine" Gedanken bezeichnete, (ebenso wie bei der Bewegung einer Wasseroberfläche im Wind) um die Ergebnisse von Ursache-Wirkung-Verbindungen handelt, die nicht meine sind, nicht mir gehören und die ich nicht bin.

    Es gibt DIE buddhistische Vorstellung nicht.

    Nun gut. Dieses Argument kann letztlich jede Diskussion beenden. Mit buddhistischer Vorstellung meine ich Vorstellungen, die auf die Lehre des Buddha zurückgehen, wie sie z.B. im Palikanon tradiert werden. Jetzt kannst Du natürlich weiter argumentieren, die Schriften des Palikanon müsse man in ihrem historischen Kontext betrachten, etc.. Ja klar, das ist so. Aber ich denke, diese Diskussion führt weit von der Fragestellung dieses Threads weg.


    Klar gibt es diese folkloristische Quid-Pro-Quo-Vorstellung von Karma: Du warst böse, jetzt bekommst Du eine Strafe. Die Vorstellung hält ja der Wirklichkeitsauffassung der buddhistischen Lehre selbst nicht stand. Welche Person soll wiedergeboren (und bestraft) werden, wenn die Person auf der Basis von vergänglichen Ursachen und Umständen entsteht?


    Gegeben, man hält das Konzept von Karma (in der von Dir genannten zweiten Lesart) für eine valide Beschreibungsmöglichkeit von Wirklichkeit (und das tue ich), so kann das einen guten Blick auf den Zusammenhang von persönlichem Tun und dessen Auswirkungen ermöglichen, ohne in Rassismus, Homophobie oder Schadenfreude zu münden.

    Die Problematik der ersten Denke, man sei für das, was man ist (homo- oder heterosexuell, groß, klein, dunkelhaarig, ein Bein zu kurz) und für die Umstände in denen man lebt (hungernd in der Sahelzone, champagnerschlürfend in Monaco) selbstverantwortlich, ist, dass es a) gesellschaftliche Ungerechtigkeiten und Rassismus fördern kann und Änderungen ungerechter Verhältnisse verhindert und b) kann es zum psychologischen Problem werde. Zufällige Variationen werden mit Schuld aufgeladen. "Du hast schlimmen Liebeskummer, bist kleinwüchsig, hast Krebs, dein Kind ist gestorben? Selbst schuld. Da möchte ich nicht wissen, was du in deinem letzten Leben verbrochen hast!"

    Ja, diese Art des Denkens ist problematisch, vor allem, wenn einer Wirkung unmittelbare persönliche Verantwortung zugewiesen wird. Schlimmer noch, wenn der Begriff "Schuld" auftaucht.


    Eine karmische Verantwortung oder Schuld für Krankheiten oder Lebensbedingungen, in die ich hineingeboren werde, gibt es auch erst dann, wenn man der Auffassung ist, dass eine Person von Leben zu Leben wiedergeboren wird. Und das ist der buddhistischen Kernlehre zufolge nicht der Fall, weil es diesen festen, inhärenten Kern, der als Person den Tod übersteht, schlicht nicht gibt.


    Aber natürlich ist es so, dass bestimmte Entscheidungen und Handlungen zu bestimmten Ergebnissen führen, und dass sich Handlungen von Milliarden Einzelindividuen manchmal über Generationen hinweg auswirken können. Auch ist es so, das eine meiner jetzigen Handlungen einen unabsehbar komplexen Ursache-Wirkung-Zusammenhang auslöst und ihrerseits aber auch das Ergebnis eines solchen Zusammenhangs ist.


    Und auch in der Naturwissenschaft ändert sich allmählich das Verständnis von persönlichem Verhalten, Lebensumständen und Vererbung. Hier ein Beispiel:

    Zitat

    Eine Vielzahl epigenetischer Veränderungen im Belohnungszentrum des Gehirns, die durch den Konsum von Rauschdrogen verursacht werden, ist bekannt. Auch die Vererbbarkeit mancher dieser Veränderungen konnte nachgewiesen werden. Die gezielte Beeinflussung der suchtfördernden epigenetischen Einstellungen wurde in vorklinischen Studien in Tiermodellen zwar schon erreicht, erwies sich jedoch als so kompliziert, dass Anwendungen in der Suchttherapie beim Menschen in naher Zukunft noch nicht absehbar waren.[18]

    Konsumiert die Mutter oder der Vater vor der Zeugung oder die Mutter während der Schwangerschaft Cannabis, so führt das beim Neugeborenen zu epigenetischen Veränderungen, die dafür bekannt sind, mit erhöhter Anfälligkeit für psychiatrische Störungen wie Autismus, ADHS, Schizophrenie oder Suchtverhalten in einem ursächlichen Zusammenhang zu stehen.


    Quelle

    Karma wird dann zu einem problematischen Begriff, wenn man die Annahme eines festen Persönlichkeitskerns hinzuaddiert. Ohne diese Vorstellung beschreibt Karma einfach das grundsätzliche Kausalgefüge der Wirklichkeit, wovon "die Person" und ihre Vorstellungen ebenso Wirkungen wie Ursachen sind wie Wellenbewegungen im Meer oder das Fallen der Blätter im Herbst.

    Homo- oder Transsexualität sind genetisch angelegt.


    Vorstellungen, dass geschlechtliche Orientierung oder Identität irgendwie mit „schlechtem Karma“ zusammenhinge, sind unbedingt abzulehnen. Hierbei werden geschlechtliche Identität und/oder sexuelle Orientierung, die nicht der zweigeschlechtlichen und/oder heterosexuellen Norm entsprechen, herabgesetzt.


    Nach buddhistischer Vorstellung ist es z.B. eine Auswirkung positiven Karmas, wenn man als Mensch wiedergeboren wird, mehr noch, wenn man als Mensch wiedergeboren wird, der mit dem Dharma in Kontakt kommt, und in friedlichen und wohlhabenden Verhältnissen aufwächst, sich auch damit beschäftigen zu können. Warum sollte dann also ausgerechnet die Tatsache, homosexuell zu sein, aus diesem Ursache-Wirkung-Kontext herausgenommen sein?


    Problematisch wird es doch erst, wenn behauptet wird, es sei auf "schlechtes Karma" zurückzuführen, wenn jemand homosexuell ist, weil damit impliziert wird, es sei etwas Schlechtes oder eine Strafe für vergangene Vergehen. Dabei ist dann aber doch eher die Wertung problematisch. Man kann ja auch problemlos argumentieren, dass es einer positiven karmischen Ursache entspringt, wenn jemand homosexuell ist. Die Vorstellung Homosexualität = Strafe ist das Problem, nicht die Vorstellung Homosexualität = karmische Wirkung.


    Letztlich sind nach buddhistischer Vorstellung alle psychischen und physischen Eigenschaften karmische Wirkungen, und somit Grunddispositionen, auf Basis derer sich das Leben abspielt, mit unzähligen Entscheidungen, die heilsam oder unheilsam sein können. Eigentlich erübrigt sich so die Frage ohnehin, ob eine Eigenschaft die Wirkung positiven oder negativen Karmas bedeutet, weil jede Eigenschaft Basis für Befreiung oder weitere Verstrickung in Samsara sein kann – je nachdem, welchen Weg man einschlägt.


    Man kann ja Karma als Konzept ablehnen. Aber bestimmte Ursachen und Wirkungen aus dieser Vorstellungswelt auszunehmen und andere nicht, indem man sagt: das hier sind die Gene, das andere ist Karma, macht für mich keinen Sinn.