Das alles sind nichtmal irgendwelche neueren Thesen in der Buddhologie, sondern seit Jahrzenten anerkannt, Mainstream quasi. Nur die bud. Community liest die Texte noch wie ein evangelikaler Christ seine Bibel: Als wörtliches Zeugnis des Religionsgründers.
Die religionswissenschaftliche Perspektive ist ein möglicher Zugang zur buddhistischen Lehre – einer, der die Lehre zum Objekt der Forschung aus der Dritten-Person-Perspektive macht. Es ist eine Außenperspektive, die sich in Polarität zur Innenperspektive zu setzen versucht, da sie für sich Objektivität statt Subjektivität, wissenschaftliche Genauigkeit statt religiöser Überzeugung, Rationalität statt Irrationalität, historische Faktizität statt Überlieferung und Übertragungslinien proklamiert. Zu recht?
Es ist die Frage, welchen Stellenwert eine solche Sicht bei einer Lehre haben kann, die erklärtermaßen vor allem die Innenperspektive betrifft. Meiner Ansicht nach verhält es sich dabei ähnlich wie bei der Relation von Kunstwissenschaft zu Kunst. Es ist interessant zu lesen, was Kunstwissenschaftler alles herausgefunden haben zu Kunstwerken und Künstlern der verschiedenen Epochen und Kulturen. Für die aktuelle Produktion von Kunst ist es aber nur von geringer Bedeutung und für die Rezeption ebenso – zudem ist die kunstwissenschaftliche Perspektive für das tiefe Begreifen von Kunstwerken oft eher hinderlich. Warum? Weil die Kern-Phänomene, um die es bei der Kunst geht, für die wissenschaftliche Sicht schlicht nicht zugänglich sind.
Kunstwissenschaftler können, wie ich in häufigen Gesprächen gemerkt habe, das nur schwer ertragen und schreiben sich die Finger wund, um den Kern der Kunst dennoch zu fassen. Oder sie behaupten, er gäbe diesen Kern gar nicht. Dennoch ist das Erleben, was den Schaffensprozess und die unmittelbare, nicht intellektuell behinderte Rezeption ausmacht, mit nichts vergleichbar, was Wissenschaft an Abhandlungen, Betrachtungen und Sichtweisen hervorbringen kann. Man kann ein Buch über die Ökologie des Meeres schreiben oder lesen. Die Erfahrung aber, Wochen oder Monate im und auf dem Meer zuzubringen, wird das nicht einmal im Ansatz erfassen oder vermitteln können. Ähnlich ist es in der Kunst oder in der religiösen Praxis (die gar nicht so unterschiedlich sind).
Die Religionswissenschaft versucht durch die Außenperspektive Phänomene zu kategorisieren, zu beschreiben und zu bewerten, wozu sie letztlich keinen Zugang finden kann, solange sie Außenperspektive bleibt. Verlässt sie aber die Außenperspektive, gehen die Kernbehauptungen und -kompetenzen der Objektivität und wissenschaftlichen Genauigkeit verloren. Das ist das grundlegende Dilemma, das dazu führt, dass der religionswissenschaftlichen Perspektive letztlich keine wesentliche Relevanz für eine lebendige religiöse Praxis zukommen kann. Vielleicht kann man sie mit dem Kommentator bei einem Fußballspiel vergleichen: Interessant, eloquent, informativ, unterhaltsam, meinungsprägend – aber rennen und Tore schießen tun am Ende andere.... und auf die kommt es letztlich an.
Damit will ich nicht sagen, dass die religionswissenschaftliche Perspektive nicht auch einiges Interessante und Erhellende beitragen kann. Ich lese solche Texte gerne und mit Gewinn. Aber sie ist eben nur ein Blick von Außen, unbeteiligt, ein Randphänomen innerhalb des Religiösen, innerhalb des Buddhismus, wie auch die Kunstwissenschaft nur am Rande etwas mit Kunst zu tun hat oder der Kommentator mit Fußball.
Die buddhistische Community ist sehr heterogen. Darum ist das oben zitierte (evangelikaler Christ seine Bibel) natürlich Unsinn. Die religiöse Praxis fußt aber dennoch auf der Innenperspektive, darum haben die Texte für den Praktizierenden natürlicherweise eine andere Bedeutung, Funktion, Relevanz und "Wahrheit" als für die Außenperspektive, die versucht diese Texte mit den Werkzeugen einer vorgeblich objektiven wissenschaftlichen Methodik einzuordnen und zu bewerten. Das ist schon alles, und das ist sehr viel, ein fundamentaler Unterschied.