Beiträge von fotost im Thema „Karma im säkularen Buddhismus“

    Also ganz zuerst säkular und 'glauben an' schließen sich ziemlich aus, oder?


    Überhaupt nicht. Jeder Mensch glaubt an etc. Und wenn es nur das ist, dass man daran glaubt, dass jemand mit einer bestimmten Erklärung Recht hat.

    Es kommt auf die Definition an. Ohne eine Menge von verschwommenen Grundannahmen wäre ein normales Leben fast unmöglich.


    Ich 'glaube', daß die Bauarbeiter, die die schwere Betonplatte über meinem Kopf gegossen haben, das irgendwie ganz gut gemacht haben und daß ich hier sicher sitze, obwohl wir alle Bilder von eingestürzten Häusern mit Baupfusch kennen.


    Allein die direkte Gegenüberstellung der Begriffe säkular und glauben an sollte deutlich machen, daß diese Art von Alltagsglauben nicht gemeint ist. Ich meinte ganz spezifisch glauben an übernatürliche Erklärungen oder Hoffnungsträger und dann ist es geradezu Definition von säkular, diese Art von glauben abzulehnen.


    Oder ganz konkret - die Betondecke hält wegen der Physik von Beton, Architekturregeln und der Handwerkskunst von Bauarbeitern und nicht, weil da an den Ecken kleine Trolle sitzen, die mich bewachen und dafür die Decke für mich festhalten :grinsen:


    Und für mich als Buddhisten über Jahrzehnte ist es Tatsache, daß Buddha mit seinen Erklärungen fast immer ein gutes Erklärungsmodell geliefert hat. Ich glaube nicht an Buddha, aus langer Erfahrung vertraue ich ihm.

    Vielleicht gehöre ich zu den am meisten hardcore säkularen Buddhisten im Forum, auf jeden Fall zu den ersten, die sich hier selbst so bezeichnet haben 8)


    Also ganz zuerst säkular und 'glauben an' schließen sich ziemlich aus, oder?


    Ganz konkret zu Deiner Frage (die mich selbst umgetrieben hat, weil ich sie bei den ersten Protagonisten eines säkularen Buddhismus nicht gefunden habe. Leute wie Batchelor möchten das Thema am liebsten ausblenden!).


    Als ein entschiedener säkularer Buddhist - Karma ist so fest in den zentralen buddhistischen Texten/Ideen verankert, daß jeder Versuch der Ablehnung zu einer problematischen Situation führen würde (für mich).


    Am Ende laufen die meisten Diskussionen hier im Forum auf ein Wortgeplänkel hinaus - mal tiefer gehend, mal weniger. Lass uns ehrlich bleiben :angel:


    Was meinst Du, wenn Du die 5 Buchstaben Karma in die Tastatur tippst?


    Ich hoffe, Du hattest keine Karma Idee im Hinterkopf, die eher vehdischen Ursprungs ist.


    Für mich ist es inzwischen vollkommen klar - Karma bedeutet: Handlungen haben Konsequenzen! Es gibt keine 100% Relation, weil Menschen verschieden sind, weil die Umstände verschieden sind


    Ich möchte hier einen Abschnitt eines Buches einfügen, an dem ich arbeite


    Auf der elementarsten Stufe bedeutet Karma ganz einfach Wirkung. Taten haben Wirkungen, Gedanken sind die Voraussetzung für Taten, Gedanken haben Wirkungen. Grundhaltungen, grundsätzliche Einstellungen, Ideologien beeinflussen unsere Gedanken. Grundhaltungen, grundsätzliche Einstellungen, Ideologien haben Wirkungen.


    Die einfachen, direkten Wirkungen kann ich sehen, wahrnehmen. Je weiter die Wirkung zeitlich und räumlich von der Tat entfernt ist, desto problematischer wird dieser Zusammenhang. Man könnte hier an moderne Gedanken dazu, wie etwa den Schmetterlingseffekt1 denken. Noch weiter entfernt kommen dann Ideen wie etwa zur Chaostheorie2 auf. Das vielleicht am besten bekannte Beispiel hier ist das Doppelpendel3. Alle Rahmenbedingungen sind bekannt, die Anfangsbedingung lässt sich beinahe perfekt bestimmen, die Entwicklung des Systems bleibt trotzdem unvorhersehbar, verlaufen aber innerhalb der Rahmenbedingungen.

    1https://de.wikipedia.org/wiki/Schmetterlingseffekt

    2https://de.wikipedia.org/wiki/Chaosforschung

    3https://de.wikipedia.org/wiki/Doppelpendel


    Mit dieser einfachen Betrachtungsweise von Karma lässt sich dieses PK Zitat gut vereinbaren. Es bringt nichts, sich über alle irgendwie denkbaren Ergebnisse jeder Tat unendliche Gedanken zu machen.

    • Vier unerfaßbare Dinge gibt es, ihr Mönche, über die man nicht nachdenken sollte, über welche nachdenkend man dem Wahnsinn oder der Verstörung anheimfallen möchte. Welches sind diese vier Dinge?
    • Der Machtbereich der Buddhas, ihr Mönche, ist etwas Unerfaßbares, über das man nicht nachdenken sollte und über das nachdenkend man dem Wahnsinn oder der Verstörung anheimfallen möchte.
    • Der Machtbereich der Vertiefungen
    • die Wirkung der Taten (kamma-vipāka)
    • das Grübeln über die Welt ist etwas Unerfaßbares, worüber man nicht nachdenken sollte, und worüber nachdenkend, man dem Wahnsinn oder der Verstörung anheimfallen möchte.

    A.IV.77 Die vier unerfaßbaren Dinge - 7. Acinteyya Sutta1


    Nun, damit würde es sich beim Karmagedanken um eine Trivialität handeln. Dies würde weder Buddha noch dem säkularen Buddhismus gerecht werden.


    Ich möchte den obigen Ansatz an einem Beispiel etwas ausbauen. Handlungen/Taten haben Folgen. Nehmen wir einen Bauern, der Getreide aussäht. Er handelt bewußt und er hofft auf eine ganz bestimmte Folge seiner Handlung, eine reiche Ernte.

    Was mit dem einzelnen Saatkorn geschieht, das auf den Acker fällt, kann er nicht 100% kontrollieren. Einige Saatkörner werden nicht aufgehen, sie werden Futter für Würmer oder Vögel. Die meisten Saatkörner werden aufgehen, aber die Pflanzen, die sich entwickeln sind von vielen Faktoren abhängig. Einige wie Dünger oder Bewässerung kann der Bauer beeinflussen, andere wie das Wetter nicht.

    Der Bauer hat die weitgehend vollständige Kontrolle über seine Planung und seine Handlungen, er kann aber das Endergebnis nicht allein festlegen. Er kann nur mit auf die Saat folgenden Handlungen (Unkraut jäten, Krähen verscheuchen) die Ereignisse im Sinne seiner ursprünglichen Planung beeinflussen.


    Der Einwand, daß dieses Denkschema auch für jemanden gilt, der einen Banküberfall plant ist absolut richtig. Andererseits werden die meisten zustimmen, Produktion von Nahrungsmitteln ist meist gesellschaftlich wünschenswert/zielführend, Gewalttaten sind es meist nicht.


    An dieser Stelle würde dann der Karmagedanke Handlung → Folge plötzlich verknüpft mit einem sozialen Gedanken. Ich lebe in einer Gesellschaft, meine Taten haben Folgen auch für andere. Dies gilt sogar über das eigene individuelle Leben hinaus. Am Ende geht es dann darum Verantwortung zu übernehmen, auch da, wo die Handlung/Folge Wirkung keine unmittelbar sichtbare, sondern eine nur wahrscheinliche ist (Klimaschutz, Umweltzerstörung, sozial ungünstiges Handeln etwa).


    Um auf das Beispiel mit dem Bauern zurückzukommen – er kann nicht alles bestimmen. Was aber vollkommen klar sein sollte, wenn er nicht aussäht, bleiben viele Teller leer, eventuell auch die Bettelschale eines vorbeiziehenden Mönchs.

    1A.IV.77 Die vier unerfaßbaren Dinge (acinteyya) - 7. Acinteyya Sutta


    Entschuldige den langen Sermon, bleib neugierig