... auf dem Land ist es extrem schwierig, einen Arzt zu finden, der Cannabis verschreibt und womöglich die Verordnung dann auch noch so begründet, dass du eine Kostenübernahmezusage der Kasse beantragen kannst. Die wäre dann das geringste Problem. Selbst in der nächsten größeren Stadt (ca. 25 km) ist ein Ableger der Uniklinik (Lehrkrankenhaus) der Landeshauptstadt und meine Ärztin dort hat mir gesagt, sie haben eine strikte Vorgabe der Krankenhausleitung, keine Cannabis-Produkte zu verschreiben. Und das in einer onkologischen Ambulanz ... Sie bieten Beratung durch eine externe Schmerzspezialistin an - aber die hat mir gesagt, sie könne keine weiteren Patienten mehr annehmen, sie sei 'voll'. ... ein Verfahren wegen Drogenschmuggel ist noch anhängig.
Es ist nicht zu fassen, dass ein derart absurder Irrsinn noch immer möglich ist in diesem Land. Es ist zwar mittlerweile kleinteilig belegt, dass der us-amerikanische Kreuzzug gegen Canabis ab den 30ger-Jahren - auf den die heutigen Vorurteile weiter Teile unserer Gesellschaft letztlich eins zu eins zurückgehen - von Anfang an jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrte und lediglich ein machtpolitischer Schachzug war (u.a. um die afroamerikanische Jazz- und Swingkultur zu kriminalisieren und den durch Aufhebung der Prohibition arbeitslos gewordenen Polizisten ein neues Betätigungsfeld zu schaffen). Aber trotzdem hält offenbar leider immer noch ein beträchtlicher Teil unserer Gesellschaft und Parteienlandschaft an der uns allen über Jahrzehnte eingetrichterten Voreingenommenheit gegenüber Canabis fest und verschließt sich dabei eindrucksvoll wissenschaftlicher Erkenntnisse und rationaler Argumente.
Nun frage ich mich wie ihr die Frage der Cannabis-Legalisierung seht.
Als jemand, der seit fast 50 Jahren unter Migräneanfällen leidet, kann ich bestätigen, dass Canabis ein wirkungsvolles Medikament sein kann, ohne - wie herkömmliche Schmerzmittel - Leber und Nieren zu belasten oder sonstige schädliche Nebenwirkungen zu haben. Zu den gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen kommt bei Schmerzmitteln für mich hinzu, dass die milderen wie Aspirin oder Paracetamol gegen Migräne keinerlei Linderung bringen, während Ibuprofen, Diclofenac und besonders Metamizol (Novalgin. Novaminsulfon) mir Übelkeit erzeugen und den Migräneanfall verschlimmern bzw. einen weiteren Anfall triggern. Triptane helfen mir zwar recht gut, führen aber schnell zu einer Situation, in der mein Körper jeden zweiten Tag einen neuen Migräneanfall ausbrütet, ich also jeden zweiten Tag ein Triptan bräuchte, um in meinem Beruf arbeitsfähig zu bleiben - auch als sogenannte "Triptan-Spirale" bekannt.
Canabis ist natürlich auch kein Wundermittel, aber es kann in manchen Situationen eine gute Hilfe sein. Das funktioniert aber nur mit sauberem Canabis. Wenn man nicht selbst anbaut oder einen vertrauenswürdigen Grower kennt, ist auf dem illegalen Markt sauberes Canabis praktisch nicht zu bekommen. Im hörenswerten Podcast "Grasland" schildert ein ehemaliger Dealer, wie verbreitet das Srecken mit synthetischen Canaboiden heutzutage ist (diese weitgehend unerforschten Stoffe bergen große gesundheitliche Risiken und können im Gegensatz zu natürlichem Canabis u.a. auch körperlich abhängig machen etc.). Im Selbstversuch eines Youtubers aus Berlin waren 8 von 9 Zufallsproben verschiedener Dealer mindestens mit einem stark gesundheitsschädlichen, zuckerhaltigen Klebstoff gestreckt. Der Deutsche Hanfverband zählt darüberhinaus noch Blei, Glassplitter, Sand, Flüssigplastik, Hormone, Haarspray, Gewürze und Phosphor/Kaliumdünger als Streckmittel zur Gewichtserhöhung/Ertragssteigerung der gedealten Ware auf.
Auch unabhängig von der rein medizinischen Bedeutung von Canabis begrüße ich die geplante Legalisierung. Solange wir in einem Staat leben, der uns zum Glück (!) nicht durch Verbote und Regularien jeglicher Selbstverantwortung entzieht, ist es nicht zu rechtfertigen, Tabak und vor allem Alkohol gesellschaftlich zu tolerieren und den gesundheitlich viel harmloseren Canabiskonsum zu kriminalisieren. Das führt nicht nur zu einer Vielzahl von absurden Situationen wie z.B. den von Sudhana weiter oben geschilderten. Ganze Lebensschicksale sind dadurch ruiniert worden, sei es gesundheitlich (Stichwort mit giftigen Stoffen gestrecktes Canabis), sei es durch Strafverfolgung, sei es durch z.B. familiere Ächtung unserer diesbezüglich leider stark indoktrinierten Gesellschaft.
Abschließend aus buddhistischer Perspektive betrachtet, würde ich persönlich den Aspekt verminderter Geistesklarheit (zumindest bezogen auf sauberes Canabis) erst mal nicht überbewerten. Den Geist des Erwachens aufrechtzuhalten bzw. von Augenblick zu Augenblick in seiner Lebendigkeit zuzulassen, ist für mich keine Freizeitbeschäftigung, die sich auf die Stunde Sitzens am Morgen oder das Sesshin am Wochende begrenzt. Es geht nach meiner Auffassung darum, diesen Geist in jedem Augenblick und bei jeder Tätigkeit zu verwirklichen. Es ist daher auch unabdingbar, eine Praxis zu kultivieren, die unabhängig von unserem jewiligen Geisteszustand authentisch und lebendig bleiben kann (in meinem Fall die Koanpraxis). Dass THC i.d.R. eine deutliche Veränderung unseres Geisteszustandes bewirkt, dürfte außer Frage stehen. Ich würde jetzt aber auch nicht behaupten, dass man in diesem Zustand zwangsläufig weniger achtsam und schon gar nicht "gewissenloser" ist. Es spricht aus meiner Sicht nichts dagegen, auch unter dem Einfluss von THC mit dem Koan zu praktizieren - wenn es sich mal so ergeben sollte. Ich würde auch nicht sagen, dass das, was dabei herauskommt, "schlechter" oder "besser" sei als die Praxis in einem anderen Zustand.
Bezogen auf bestimmte andere Aktivitäten sehe ich Canabiskonsum dagegen sehr viel kritischer. Ich denke da z.B. an die Teilnahme im Straßenverkehr als Auto- oder Fahrradfahrer, an die Arbeit oder den Umgang mit Kindern etc. Aber das gilt natürlich auch für Alkohol, starke Medikamente und, klar, auch für starke Schmerzen.
