Der Begriff relativer Wahrheit ist wie jede andere Form von Relativismus eher etwas abstraktes, eine Freizeitbeschäftigung der eigenen Gedanken. Meine Erfahrung ist, dass Menschen nicht relativistisch leben, sondern sehr stabile Meinungen über die Welt haben und genau so leben.
Viele Menschen machen eine gegenteilige Erfahrung. Du hast argumentiert, ein Weltbild habe widerspruchsfrei zu sein, wenn es in Anspruch nehmen möchte, wahr zu sein. Dem Argument kann ich folgen. Ein widersprüchliches Weltbild ist unmöglich wahr, ein widerspruchsfreies Weltbild ist möglicherweise wahr. Ein widerspruchsfreies Weltbild kann grundlegend irrtümlich sein. Werfen wir einen Blick in die großen monotheistischen Religionen stellen wir oft fest, dass es eine Diskrepanz zwischen den Gläubigen und den Ansprüchen des Glaubens gibt. Das ist widersprüchlich, demnach unmöglich wahr. Das Problem lässt sich lösen, indem die Punkte, die als unpassend zu den eigenen Glaubensüberzeugungen wirken, neutralisiert werden. So lösen es die Kirchen. Wo die Menschen nicht mit dem vorgelegten Glauben übereinstimmen, stehen sie außerhalb der Wahrheit. Großreligionen haben im Bewusstsein, dass das gläubige Leben in sich widersprüchlich ist.
Das gläubige Leben der großen Religionen ist konsequent weitergedacht relative, veränderliche Wahrheit, deren Gültigkeit von der Existenz der sie konstituierenden Bedingungen abhängig ist.
Diese relative Wahrheit steht in einer Beziehung zur absoluten Wahrheit, von der Buddhismus keinen konkreten Inhalt bestimmt, lediglich die Beschaffenheit dieser absoluten Wahrheit thematisiert.
Es lässt ich auf das Glaubensleben der Menschen anwenden. Wachstum innerhalb der Religion wird bedingt durch die relative Gültigkeit von Wahrheit, kurz durch relative Wahrheit.
Wollen wir ableiten, wie die absolute Wahrheit beschaffen ist, müssen wir eine Beziehung zwischen relativer und absoluter Wahrheit finden. Die Ermöglichung von relativer Wahrheit setzt die Abwesenheit von Statik in der absoluten Wahrheit voraus.