Die Tools, die er seinen Schülern gegeben hat, waren Ngöndro und Guru Yoga. Das war für mich vielleicht zu wenig. Genauso wie ich persönlich davon profitiert hätte (Stichwort Sektierertum), wenn ich die damals noch lebenden großen Lehrer wie z.B. Urgyen Tulku und Dilgo Kyentse gesehen hätte, hätte ich mich tiefer mit den Vajrayanalehren beschäftigen können, wenn mir eine Yidampraxis beigebracht worden wäre. Aber das ist nicht nur ein Problem bei Ole, sondern bei den Kagyüs insgesamt. Für eine tiefgründige Praxis ist es notwendig, in ein drei Jahres Retreat zu gehen. Deshalb wollte ich schon 2004 zu den Gelugpas wechseln, aber Ole hielt mich davon ab.
Ich war zwar nicht bei Ole Nydahl, habe ihn in den Neunzigern nur auf einem Vortrag kennengelernt in unserer Stadt, aber ich bin schon mehrere Jahre bei den anderen Karma-Kagyüs, mit Oberhaupt Orgyen Trinley Dorje.
Deinen Satz habe ich hier hervorgehoben, weil ich mich sofort angesprochen fühlte und Dir vollauf zustimmen kann, denn hier, wo ich Mitglied bin, ist es dasgleiche, und mir geht es genauso. Hat bei den Karma-Kagyüs jemand das Ngöndro "durch", muss er wieder von vorn anfangen (wobei, auf Anfrage oder Bitte, der Lama auch mal frech werden kann). Ob der Adept das nun will oder nicht. Dieses Sich-im-Kreise-Drehen ist eine Art Beschäftigungstherapie. Niemals wurde ich auch nur ansatzweise darauf hingewiesen, dass man das Ngöndro als Unterlage für eine weiterführende, maßgeschneiderte Yidam-Praxis verwenden kann. In der Theorie gibt es das vielleicht, in der Praxis ist es aber so, als ob man immens fortgeschritten sein muss, um Yidampraxis anzugehen. Es stellt sich mir so dar, als ob nur "besondere Leute" das üben dürfen. Und als ob die Lamas auf diese Weise ihre Schäfchen in Schach halten, damit sie einfacher zu führen sind.
Zu den Karma-Kagyüs wechselte ich, weil meine vorherige Gemeinschaft, der Orden Arya Maitreya Mandala, gegr. von Lama Anagarika Govinda, sich auflöste (ist nur noch eine Karteileiche bei der DBU, wird aber nicht rausgenommen, weil der Ein-Mann-Betrieb [Volker Zotz] immer noch die Mitgliedsgebühr bezahlt). Im Orden AMM war es eine Selbstverständlichkeit, dass man schließlich, bei ernsthafter Praxis und Bemühen, an den Punkt kam, eine Yidampraxis aufzunehmen. Das ging natürlich nicht von heute auf morgen, wie man sich denken kann, aber in Begleitung von persönlichen Gesprächen. Ich muss hier hinzufügen, dass Lama Anagarika Govinda Abstand nahm vom Ngöndro, weil er - aus verschiedenen Gründen - meinte, dass dieses einem westlichen Menschen, nach Mentalität und Kultur, nicht zuträglich sei. Trotzdem haben wir sehr gute Vorübungen für eine Yidam-Praxis gemacht: Vieles von dem, was bei den Theravadins Grundlage ist, wie etwa Atembeobachtung, die Gedanken ziehen lassen, ohne sich mitreißen zu lassen, aufkommende Gefühle beobachten und dergleichen. Und weiter: Konzentrations- bzw. Kontemplationsübungen auf die Chakras, verbunden mit den ihnen zugeordneten Farben, auch dreidimensional. Nachspüren dessen, was im Alltag mit dem entsprechenden Chakra kompatibel ist. Hatte man da eine gewisse innere Stabilität erreicht und war das Bedürfnis da, so konnte man die Yidampraxis angehen. Dabei war das nicht starr, sondern konnte, auf Rücksprache, auch immer an die persönliche Befindlichkeit angepasst werden.
All dieses vermisse ich bei den Karma-Kagyüs. Die gewöhnlichen Otto Normalmeditierer werden dort kleingehalten und das Ngöndro ist eine nützliche Beschäftigungstherapie, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen oder etwa aufmüpfig werden. Schließlich könnten westliche Menschen ja gefährlich werden, die sind anders erzogen und haben eine andere Kultur, also haben anscheinend die Lamas beschlossen, an ihnen rechtzeitig vorzubeugen! Ich möchte auch zu gerne mal Mäuschen spielen und lauschen, was sie über uns so reden, wenn sie ganz unter sich sind. Vielleicht machen sie sarkastische Witze über uns.
Aber so etwas Bombastisches ist die Yidam-Praxis gar nicht. Sie ähnelt ja auch den "Archetypen" bei C. G. Jung.
Zwischen der Schar der gewöhnlichen Mitglieder jedoch, da hat man sich angewöhnt zu sagen, in Wirklichkeit sei das Ngöndro eine sehr tiefgründige Praxis und keinesfalls nur eine Vorübung. Damit wollen sie sich selbst trösten, weil ihnen die Yidampraxis verwehrt wird, um zu zeigen, dass man ja wirklich einer hohen Übung nachgeht, die in ihrem Wert auf gleicher Stufe steht wie eine Yidam-Praxis, und so wird es untereinander erzählt. Währenddessen wird man alleingelassen, was persönliche Gespräche betrifft: bei Fragen werden nur pauschale Antworten gegeben, so wie der Lama es selbst gelernt hat, und sind die Fragen zu spezifisch und der Lama weiß keine Antwort, so gibt er sich nicht die Blöße und ihm fällt trotzdem immer eine Antwort ein, denn so lautet die Tradition:
Paragraph Eins: Der Lama weiß immer eine Antwort. Paragraph Zwei: weiß der Lama ausnahmsweise mal nichts, tritt automatisch Paragraph Eins in Kraft. Und so redet man mit ihm aneinander vorbei. Auch das ist eine Beschäftigungstherapie!
Um die Beschäftigungstherapie zu festigen, wird schließlich empfohlen oder angewiesen, sich dem Guru-Yoga zuzuwenden. Das hat zur Folge, dass man Paragraph Eins und Zwei mit großem Ernst folgt. Noch besser ist es, "den Lama aus der Ferne zu rufen", falls der Lama nicht greifbar ist, und das ist er meistens.
Nun wundert Ihr Euch bestimmt, warum ich noch Mitglied bin.
Nun, das hat einen einfachen Grund: ich bin sehr neugierig und will wissen, wie es weitergeht. Um es mit Albert Einstein zu sagen: "Ich habe keine besondere Begabung. Ich bin nur leidenschaftlich neugierig."
Und außerdem: wenn man wechselt, kann man noch so viel [spirituelle] Erfahrung haben: man gilt in der neuen Gruppe immer als Anfänger. Keine Chance! Und dazu habe ich keine Lust. Denn ich bin ein Mensch im fortgeschrittenen Alter und fühle die Altersweisheit meiner Lebenserfahrung. Das ist eine reale Würde, und die lasse ich mir nicht kaputtbelehren.
Das musste ich mal loswerden, auch wenn ich nie bei Ole Nydahl war und seine emotionalen Eskapaden nie erlebt habe. Der hat vielmehr andere Methoden - angewendet, muss man hier sagen (Perfekt anstatt Präsens), denn anscheinend tritt er nicht mehr auf, weil er schon zu dement ist.