Werner Vogd hat mal eine guten Aufsatz verfasst, über die Frage, ob der Buddhismus Religion ist oder eine Praxis zur Selbsterfahrung ist. Darin ist eine Definition von Religion, die mir recht plausibel erscheint, da sie drei Kriterien aufgreift, die üblicherweise nicht erwähnt werden.
http://userpage.fu-berlin.de/~vogd/Buddhismus.pdf
Ein mir vielversprechend erscheinender Versuch aus diesem Dilemma ist von dem Soziologen OEVERMANN (1995) vorgelegt worden. Sein rekonstruierter Religionsbegriff genügt einerseits LUCKMANNs Forderung, auch in einer vollständig säkularisierten Gesellschaft gelten zu müssen, und bildet andererseits einen eigenständig rekonstruierbaren soziologischen Religionsbegriff, der strukturell aus den sozio-biologischen Bedingungen des
Menschen ableitbar ist. OEVERMANNs „Strukturmodell von Religiosität“ konstituiert sich aus drei anthropologischen Bedingungen: (1.) Das »grundsätzlich gegebene Bewußtsein von der Endlichkeit« von Lebenspraxis führt zu einem »Bewährungsproblem der offenen Zukunft und einer darauf bezogenen nicht stillbaren Unsicherheit«. (2.) »Die nicht stillbare Bewährungsdynamik erfordert einen Bewährungsmythos«, der
grundsätzlich »über Herkunft und Zukunft sowie die aktuelle Identität der eigenen Lebenspraxis verbindlich so Auskunft geben kann, daß darin die Unverwechselbarkeit der eigenen Lebenspraxis verbürgt ist«. (3) Dieser
Bewährungsmythos benötigt, um seine beruhigende Kraft entfalten zu können, eine »suggestive Evidenz«, die kollektiv verbürgt ist durch eine vergemeinschaftende Gefolgschaft«. Jedes religiöse System braucht in diesem
Sinne eine charismatische Führerschaft, die, durch die ihr folgende Gemeinschaft verbürgt, eine nicht-rationale Antwort auf die Fragen geben kann, die grundsätzlich nicht rational zu beantworten sind, vom einzelnen
Menschen jedoch persönlich beantwortet werden müssen
Und weiter wird die Gemeinschaftsbildung hervorgehoben:
Entsprechend zeichnen sich nach OEVERMANN (1995: 95) religiöse Systeme immer auch durch eine intensive Gemeinwohlbindung aus. Der religiöse Mensch praktiziert Religion nicht nur für sich, sondern auch für seine
religiöse Gemeinschaft, die er durch seine Praxis stärkt. Das Individuum findet seinen Sinn und seine Bestimmung in der zirkulär verbürgten Evidenz des Glaubens. In lebendigen religiösen Bewegungen muß deshalb die Gemeinde eine herausragende Rolle spielen, denn erst hier wird die reziproke Beziehung zwischen dem Einzelnen und seinem religiösen Kollektiv zu einer tragenden Determinante des sozialen Lebens. Nur in der Gemeinde wird Religiosität im Sinne von WILSONs (1980) soziobiologischer Argumentation zu einer
wirksamen evolutionären Strategie. Erst hier kann ein »egoistischer Altruismus« funktionieren, indem die Vergemeinschaftung in der religiösen Gruppe eine Reihe von Vorteilen bieten kann, wie z. B. Schutz, Unterstützung, Kontaktmöglichkeiten und ideelle sowie moralische Sicherheit. Der Preis, den das Individuum für diesen Gewinn zahlen muß, besteht in der Einordnung in das gemeinschaftliche Regelsystem der jeweiligen religiösen Dogmatik.