Beiträge von Thorsten Hallscheidt im Thema „Gute Lehrer / schlechte Lehrer“

    Ich glaube, Menschen können Dinge hervorbringen, die ihr eigenes Sein zum Teil bei Weitem überschreiten. Mörder können Kunstwerke ungeheurer Sensibilität und Kraft hervorbringen, wie z.B. Caravaggio oder Jean Genet. Manche werden von kurzem und starkem Licht durchstrahlt und verlöschen dann vollkommen, wie Hölderlin. Von religiösen Lehrern erwarten wir totale moralische Integrität. Zu Recht? Der buddhistische Weg ist nicht ungefährlich, gerade wenn Menschen weit fortgeschritten in der Praxis sind, und z.B. in Zen oder Vajrayana die Bodenhaftung verlieren. Immerhin arbeitet das Vajrayana mit eben den Trieben und Kräften, die es zu beherrschen versucht. Und wenn ein Mensch dann noch von Menschen umgeben ist, die kein Korrektiv mehr darstellen können, weil sie ihn oder sie bedingungslos verehren, ist es wahrscheinlich sehr schwer, einen klaren Kopf zu bewahren. Im Zen ist das nicht viel anders. Die Vorstellung, man sei erwacht und somit über Gut und Böse erhaben, kann sich auch da schnell einschleichen, gerade, wenn man durch diese falsche Vorstellung glaubt, die anderen Menschen wüssten eh nicht, wovon sie reden.


    Wenn Menschen anderen bewusst Leid zufügen, indem sie ihren Gelüsten folgen, sind sie auf dem falschen Weg. Ihre Lehre ist also mit größter Vorsicht zu genießen. Auf der anderen Seite ist Erwachen wohl nicht so, wie eine Lampe, die jemand anmacht, und die dann nicht mehr verlöschen kann. Erwachen flackert in die Dunkelheit hinein, wie in einer stürmischen Nacht immer wieder mal Sterne zwischen den Wolken sichtbar werden. Sind sie sichtbar, kann man Sterne beschreiben. Das kann anderen als Orientierung dienen. Dann aber sind die Wolken der Leidenschaften wieder so dicht, dass die Sterne völlig verschwinden. Keine Ahnung, ob überhaupt irgendwann einmal dieses Erwachen unanfechtbar stabil ist. Ich glaube, es gibt sehr viele Fallen auf dem Weg. Unser Lehrer hat mal gesagt, ein kurzes Erwachen sei nicht ungewöhnlich, die eigentlich Arbeit aber würde damit beginnen, das Erwachen bis zur Meisterschaft zu kultivieren.


    Schüler müssen sich auf den Lehrer verlassen können, andererseits brauchen Lehrer aber auch ein starkes Korrektiv und keine devote Anhängerschaft. Praktizierende sind Menschen, die den Geistesgiften unterworfen sind. Und solange die Buddhaschaft nicht voll entwickelt ist – und vielleicht selbst dann? – , können schlimmer Fehler passieren. Dennoch können die Erfahrungen und Ausblicke, die weit fortgeschrittene Lehrende weitergeben können, sehr hilfreich sein – auch und vielleicht besonders die Fallen und Fehler. Phasen der Klarheit können wieder in dichtem Nebel verschwinden. Das miese ist, dass manchmal das eine vom anderen nicht zu unterscheiden ist. Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein... Jesus hat übrigens auch keinen Stein geworfen... er hat während dieser Szene mit dem Finger auf der Erde herumgeschrieben. Wahrscheinlich war er auch nicht erwacht. :roll:


    Nicht zuletzt wandelt sich der Begriff von Recht und Unrecht mit der Zeit, er ist ja leer. Was im Hochland von Tibet oder in Zen-Tempeln in Japan über Jahrhunderte Recht war, kann bei uns im zerstreuten und schnell aufgeregten Westen zum Unrecht werden.