Aber wenn es buddhistische Linien gibt, die diese Integrität nicht sicher stellen können oder wollen, dann haben sie in unserem Kulturkreis eben nichts zu suchen.
Ja, klar. Aber auch in unserer Kultur gab es auch Werteverschiebungen. In den 70er Jahren z.B. war es weit weniger anrüchig, unmittelbare sexuelle Avancen zu starten. Im Rahmen der sexuellen Befreiung galt es zum Teil sogar als verklemmt und rückständig, darauf mit Empörung zu reagieren. Heute würde man solche Übergriffe natürlich anders bewerten, weil sich auch das Bewusstsein verändert hat. Was also vor 50 Jahren in buddhistischen Gruppen noch relativ normal war, kann heute im Rückblick zum Skandal werden, zumindest wenn wir heutige Maßstäbe an die Handlungen vergangener Zeiten anlegen.
Zudem kommen viele "authentische" buddhistische Lehrer aus wirklich sehr anderen Kulturen. Und wenn man ihr (Fehl-)Verhalten in unserer Kultur nicht kritisiert und somit nicht korrigiert, setzt sich dieses Fehlverhalten fest oder wird gar nicht erst erkannt. Die Gurus haben somit schlechte Chancen, sich an hiesige Gepflogenheiten anzupassen, bzw. sie müssten ihre eigene Unfehlbarkeit infrage stellen lassen und sich für die Kultur, in der sie lehren, interessieren. Aber wer wagt unter Buddhisten schon seinen Guru (Meister, Lehrer) zu kritisieren, und welcher Guru mag schon von seinem Thron der Allwissenheit steigen? 
Ich war zum Teil erschüttert, wie wenig z.B. manche tibetische Lehrer, die hier unterrichten, über unsere Kultur wissen. Es gab Diskussionen, bei denen schnell klar wurde, dass sie sich weder für die hiesige Geschichte, Mentalität, Philosophie noch für Kultur oder sittliche Regeln interessierten.
Die tibetischen Häuser, die ich kennenlernen durfte, versuchen ja auch möglichst viel von der tibetischen Kultur zu kopieren, sodass für die Lehrenden auch kaum ein Anpassungsdruck bestand und besteht. Im Zen, sofern ein japanischer Meister anwesend ist, oder ein europäischer, der die japanische Kultur für das Non Plus Ultra hält, ist es ja ähnlich. Man versucht Sitten, Ästhetik und Gepflogenheiten des Herkunftslandes zu kopieren. Das gilt dann als "unverfälschte Lehre". Im Theravada das Gleiche.
Ich fand dieses unreflektierte Kopieren anderer Kultursysteme immer schon sinnlos und gefährlich, weil damit auch Missverständnisse und Konflikte importiert werden, die aus unterschiedlichen Werte- und Bildsystemen resultieren. Sexueller Missbrauch ist da nur ein Konfliktfeld unter vielen.
Eigentlich müssten sich die buddhistischen Lehrer, die aus anderen Kulturen zu uns kommen, zunächst vielleicht im Rahmen einer Weiterbildung oder eines Studiums über die Kultur informieren, in der sie zukünftig lehren sollen. Das findet aber offenbar nicht statt. Das Ergebnis ist, dass diese Leute zwar ihre buddhistische Lehre innerhalb ihres kulturellen Kontextes vermitteln können, aber kaum in der Lage sind, diese Lehre in die neue Kultur und die anderen kulturellen Vorstellungen zu integrieren. Zudem können Sie auch oft nicht unsere Sprache, so dass man auf Dolmetscher angewiesen ist, und sie wissen auch nicht, mit welchen Bildungsgrad oder mit welchen sozialen oder psychologischen Hintergründen sie es bei ihren Schülern zu tun haben. Das fand ich ziemlich frustrierend.
Es gibt dann natürlich auch Ausnahmen, zum Beispiel tibetische Lehrende, die an westlichen Universitäten studiert haben, eine westliche Sprache beherrschen, und sich intensiv mit der für sie neuen Kultur beschäftigt haben. Aus diesen Kontexten kommen dann auch ganz andere Inhalte.