Im Eingangsposting werden zwei Metaphern aufgegriffen, die ich nicht für besonders gelungen halte (auch wenn ich sie selbst publiziert habe) und die beide häufig von einem bestimmten Lehrer in einer bestimmten Tradition ("Dogen-Zen"/Antaiji) benutzt werden. Zen bringe nichts, und "die Karotte". Ein Erklärungsversuch lautet:
Zen hat ein klares Ziel: Zu erwachen. Da wir aber gemäß dieser Lehre bereits erwacht (vollkommen) sind, können wir genau das nur erkennen und verwirklichen, indem wir aufhören, unsere vielen, vielen Ziele zu verfolgen.
In diesem Widerspruch liegt das Problem. Und Dôgen hat es m. E. nie gelöst. Er versuchte die ursprüngliche Erleuchtung, hongaku, damit zu versöhnen, dass es dennoch eine "Praxis" bräuchte, und kam darauf, sie mit Zazen gleichzusetzen. Diese Verschärfung seinerseits ist die große Irrlehre, die es zu durchschauen gilt. Hier noch einmal, wie etabliert diese Anschauung ist:
Es ist zunächst mal nur für wenige Menschen möglich diese Praxis auszuüben -
Das Gegenteil ist der Fall, wenn man "Praxis" als das versteht, was der sechste Patriarch darunter verstand (und meines Erachtens das Chan/Zen in seiner wesentlichen Tradition), nämlich als Geistesübung. Nicht jeder mag rituell sitzen, und was in den Zen-Gruppen geschieht, ist Ritual und Religion. Das schreckt, neben den Schmerzen und der Unbequemlichkeit, viele ab. Wer glaubt, die Menschen müssten rituell sitzen, um mit ihrem Geist klar zu kommen und ihn zu durchschauen, baut eine unnötige Hürde ein.
Dazu müsste man herausfinden, warum die nicht wiederkommen bzw. was ihnen nicht gefallen hat.
In Einzelfällen kommt noch die Hierarchie hinzu, wenn z.B. einer mit entsprechendem Gehabe der Sangha als Meister vorsteht, das ist auch nicht jedemanns Sache.
Es ist doch ganz offensichtlich, dass Zen selbst denjenigen was gebracht hat, die behaupten, es bringe nichts. Zum Beispiel einen Lebensunterhalt. Zum Beispiel einen Titel ("Zen-Meister") bzw. eine "Ermächtigung" in einer Linie. Dafür braucht es ein gewisses Einhalten gängiger Vorgehensweisen, die sich als erfolgreich erwiesen haben (z.B. langjährige Anwesenheit m Tempel, interessante Thumbnails bei den YouTube-Clips, Kooperationen mit Leuten, die am Markt eine gewisse Verbreitung haben usw.). Wenn einem das klar ist und wenn man das auch noch so offensichtlich macht (eine Alternative wäre ja, in der Versenkung zu verschwinden, also öffentlich kaum in Erscheinung zu treten), dann sollte man m.E. sparsam mit o.g. Metaphern umgehen. Sonst kommt man in die Lage, schulterzuckend zu behaupten, manche Widersprüche seien eben gewollt. Aber: Die Widersprüche, die im Zen gewollt waren (wie solche, die Koan erzeugen), hatten nicht den Sinn, in Widersprüchen zu leben oder in der Öffentlichkeit zu reden.
Dieses Problem geht wie gesagt auf Dôgen zurück. Wenn Praxis Sitzen ist und sich darin die ursprüngliche Erleuchtung manifestiert, braucht es natürlich nichts mehr zu bringen, d.h. man selbst braucht es nicht mehr zu bringen - ein "erleuchtetes" Handeln außerhalb des klösterlichen Komplexes ist unnötig. Praxis dreht sich da nur noch um sich selbst. Jedoch können Außenstehende recht leicht erkennen, warum der Sitzende dies überhaupt tut - er war in emotionalen/geistigen Schwierigkeiten und wandte sich dem Zen zu. Die "Praxis" erleichterte die Probleme, also blieb er/sie dabei.
Die Dôgen-Rhetorik scheint ihm nach seiner Lesart jedoch zu gebieten, dass Sitzen zu einem Selbstläufer wurde und nicht eine solche Zweckmäßigkeit verfolge. Nun ja, wenn alles gekärt ist, warum sitzen? Aber wenn man behauptete, es sei (noch) nicht alles geklärt, warum dann die "Ermächtigung", das Lehrerdasein usw.? Die Antwort lautet: Es ist eben nicht alles geklärt, da sitzt jeder, weil er sich weiterhin mit gedanklichen Vorgängen rumschlägt, die ihm nicht immer in den Kram passen und die er/sie so besser bewältigt. Alles andere ist eben m.E. eine Lüge, und die wird nur deshalb in dieser kruden Rhetorik aufrecht erhalten, weil man Dôgen falsch liest.
Dôgen wollte erwachen, und zwar mehrfach, deshalb ging er nach seiner Rinzai-Bestätigung noch extra nach China, um sich eine weitere abzuholen, über die er stolz berichtet. Dôgen wollte, dass es was bringt, darum sein Ringen um einen wirkmächtigen Tempel wie Eiheiji, der ihn auch bei den Mächtigen vorstellig werden ließ. Er hängte sich also ständig selbst Karotten vor die Nase, eine war so groß, dass er die gefährliche Fahrt übers Meer in Kauf nahm. Da seine Praxis sich um sich selbst drehte, bemerkte er auch nicht mehr, wie er sie vernachlässigte, indem er zunehmend für eine Mehrklassen-Gesellschaft (Kloster vs. Laientum) eintrat und auf bedeutenden Vorläufern wie Vimalakirti und Linji rumhackte.
Das Ganze löst man auf, indem man Zazen als Kôan betrachtet, wie es mal ein Buddhologe aus Dôgen las. Dann ist es eine von vielen Möglichkeiten, sich in einen Widerspruch zu begeben, um ihn aufzulösen, aber nicht die einzige - nicht pars pro toto.
Niemand ist ursprünglich erleuchtet im Sinne von weise oder moralisch rein, denn ein Neugeborenes hat keine Fähigkeiten in dieser Hinsicht - es ist noch ungebildet und es hat kein Ich, kann also gar nicht moralisch fehlgehen im eigentlichen Sinn. Sitzen kann es natürlich auch nicht. Die ursprüngliche Erleuchtung beschreibt etwas, das völlig unabhängig vom Ego existieren soll, manche nennen es Buddha-Natur, andere Dao usw. Es gibt da nichts zu manifestieren.
Das, was wir später manifestieren, ist die "erworbene Erleuchtung", die Erkenntnis der ursprünglichen - und da können wir dann in "moralischem" Handeln und in der momentanen Zurückstellung des Ego konkretisieren, wie wir das verstehen. Selbst wenn wir es nicht täten, würde es an der Buddha-Natur oder dem ursprünglichen Erwachen nichts ändern. Alles, was sich da draufsetzt an "Praxis" ist also individuelles, stets auch mangelhaftes Verständnis dessen, was überhaupt nicht manifestiert werden muss. Das ist dann die "Erleuchtung", die anzustreben ist, denn je klarer diese Erkenntnis, desto klarer könnte sich da etwas manifestieren.
So könnte deutlich werden, dass die Menschheit sich darum in einen angenehmeren Zustand brachte, weil sie "Ziele verfolgte". Behauptet jemand, dies solle man abstellen, werden die meisten Menschen mit gesundem Menschenverstand erkennen, dass dies ein Irrtum ist. Wir hätten kein Penicilin, wir würden mit 40 sterben, es stänke überall nach Kot mangels Kanalisation und es gäbe nicht mal Streamingdienste, um unsere Freizeit zu versüßen - denn all das hat sich verändert, weil Menschen dezidiert Ziele hatten.