Liebe Foris
Ich spreche nicht wirklich die buddhistische Sprache, komme von der Psychologie. Ich bin jahrelang den psychologischen Weg gegangen und angekommen, fühle ich eine grosse Nähe zum Buddhismus. Der Buddhismus hat viele Erklärungen, die mir bis dahin gefehlt haben und trotzdem bleibe ich kritisch, weil das ein Grundbedürfnis von mir ist.
Ich habe meine eigene Sprache entwickelt, meine Spiritualität in Worte zu fassen. Ich empfinde momentan grosse Mitgefühl für die Nöte meiner Mitmenschen und versuche mir einen Reim darauf zu machen, wie Menschen ticken. Hier ist eine psychologisch-spirituelle Interpretation von Menschen, die im Mangel leben und dringend unsere Hilfe brauchen. Erst einmal möchte ich euch das Konzept der Bindungstheorie von John Bowlby vorstellen und danach einen Schwenker auf meine eigene Gedanken vollziehen.
Bindungstheorie
John Bowlby wollte mit seiner Bindungstheorie zeigen, wie grundlegend und lebenswichtig emotionale Bindungen für die Entwicklung eines Menschen sind. Seine Absicht war es, zu verdeutlichen, dass das Bedürfnis nach Nähe, Sicherheit und verlässlicher Verbundenheit zu anderen Menschen ein angeborenes, zentrales menschliches Bedürfnis ist.
Er wollte erklären, wie die Qualität dieser frühen Beziehungen das Vertrauen in sich selbst, die Fähigkeit zu Beziehungen und das emotionale Wohlbefinden nachhaltig beeinflusst. Bowlby betonte, dass stabile und verlässliche Bindungen die Grundlage für psychische Gesundheit, Selbstvertrauen und die Fähigkeit, die Welt neugierig und mutig zu erkunden, schaffen
Die vier Grundaspekte der Bindungstheorie nach John Bowlby
1.Nähe suchen (Proximity Maintenance)
Das Bedürfnis, sich Menschen oder Gruppen verbunden zu fühlen und aktiv soziale Nähe herzustellen.
2.Sicherer Hafen (Safe Haven)
Die Erfahrung, bei anderen in schwierigen oder belastenden Situationen Unterstützung, Trost und Schutz zu finden.
3.Sichere Basis (Secure Base)
Das Gefühl, durch stabile soziale Beziehungen so viel Sicherheit und Rückhalt zu haben, dass man sich auf Neues einlassen und die Welt erkunden kann.
4.Verlässliche Verbundenheit (Reliable Connectedness)
Das Bedürfnis, dass wichtige Beziehungen und Bindungen beständig, verlässlich und verfügbar bleiben.
Bowlby erklärt im Prinzip, was Mensch antreibt und was sie tun, um so eine Art inneres Gleichgewicht zu erlangen.
Es folgt nun mein eigenes Modell, das sich teilweise mit dem Buddhismus deckt.
Vier Formen von Liebe und ihre Schattenseiten
1. Geborgenheit & Zugehörigkeit (Upekkha)
Was ist das?
Diese Form der Liebe schenkt das Gefühl, aufgehoben zu sein, dazu zu gehören und Teil einer Gemeinschaft oder Familie zu sein. Sie vermittelt Sicherheit und Vertrauen.
Mangel & Folge
Wer sich als Kind allein oder verlassen fühlte, sucht oft sein Leben lang nach Zugehörigkeit – manchmal, indem er sich in Beziehungen aufopfert oder sich unbedingt im Leben eines anderen Menschen unverzichtbar machen will.
Lösung
Innere Geborgenheit entsteht, wenn man lernt, sich selbst ein sicherer Ort zu sein sich selbst Trost spenden, sich selbst Halt geben und in sich selbst Heimat finden.
Umgang mit Menschen in Not
Biete Zugehörigkeit an, ohne Bedingungen zu stellen. Lade Menschen in Not ein, Teil einer Gemeinschaft zu sein, und signalisiere „Du bist willkommen, so wie du bist.“ Schaffe einen Raum, in dem sich der andere sicher und angenommen fühlen kann.
2. Anerkennung & Bestätigung (Mudita)
Was ist das?
Liebe zeigt sich auch darin, dass das eigene Sein, die eigenen Gefühle und Leistungen anerkannt und bestätigt werden. Es ist das Gefühl, dass man „richtig“ ist, wie man ist.
Mangel & Folge
Wer nie echte Anerkennung erfahren hat, entwickelt häufig eine „kranke“ Selbstliebe Übersteigerte Selbstinszenierung, Narzissmus oder ständiges Bedürfnis nach äußerer Bestätigung können die Folge sein.
Lösung
Die Anerkennung, die wirklich trägt, kommt aus dem eigenen Inneren sich selbst ehrlich loben, die eigenen Erfolge anerkennen und sich erlauben, sich über das eigene Glück zu freuen.
Umgang mit Menschen in Not
Zeige ehrliche Anerkennung für das, was der andere ist und tut – auch für kleine Schritte. Freue dich mit dem Menschen über seine Erfolge und Fortschritte, ohne Neid oder Bewertung. Ermutige ihn, sich selbst wertzuschätzen und seine Entwicklung zu feiern.
3. Zuwendung & Aufmerksamkeit (Metta)
Was ist das?
Liebevolle Zuwendung zeigt sich darin, dass ein Mensch wahrgenommen, gesehen und beachtet wird. Es ist das Gefühl, dass jemand wirklich anwesend ist und Interesse zeigt.
Mangel & Folge
Wer als Kind nie echte Aufmerksamkeit erfahren hat, sucht später oft verzweifelt nach Beachtung – manchmal um jeden Preis. Das kann sich in Geltungsdrang, extrovertiertem Verhalten oder sogar Provokation äußern.
Lösung
Heilung beginnt mit achtsamer Selbstzuwendung sich selbst liebevoll wahrnehmen, die eigenen Bedürfnisse ernst nehmen und sich selbst immer wieder kleine Gesten der Aufmerksamkeit schenken.
Umgang mit Menschen in Not
Begegne Menschen in Not mit echter Präsenz und aufrichtiger Aufmerksamkeit. Höre wirklich zu, schenke ihnen Zeit und signalisiere, dass sie gesehen werden. Kleine Gesten der Wertschätzung – ein freundliches Wort, ein Lächeln, echtes Zuhören – können Trost und Hoffnung spenden.
4. Respekt & Wertschätzung (Karuna)
Was ist das?
Respektvolle Liebe bedeutet, dass jemand in seiner Würde, Einzigartigkeit und seinen Grenzen anerkannt wird. Es ist das Gefühl, dass man als Mensch wertvoll ist, unabhängig von Leistung.
Mangel & Folge
Wer nie respektiert oder wertgeschätzt wurde, entwickelt häufig ein geringes Selbstwertgefühl und sucht später Anerkennung durch Leistung, Status oder Anpassung – oder lehnt sich aus Trotz gegen jede Autorität auf.
Lösung
Wertschätzung beginnt im eigenen Herzen Die eigenen Stärken und Schwächen anerkennen, sich selbst mitfühlend begegnen und die eigene Würde achten.
Umgang mit Menschen in Not
Begegne Menschen in Not mit echtem Respekt – unabhängig von ihrem Verhalten oder Auftreten. Zeige ihnen, dass sie als Mensch wertvoll sind, und achte ihre Grenzen. Vermeide es, sie zu belehren oder zu bewerten; stattdessen erkenne ihre Bemühungen und ihr Sein an.
Fazit
Indem du Menschen in Not mit Aufmerksamkeit, Respekt, Zugehörigkeit und Anerkennung begegnest, schaffst du einen Raum, in dem Heilung, Trost und neue Hoffnung möglich werden – für den anderen und auch für dich selbst.