Beiträge von Amdap im Thema „Welches Buch lest ihr gerade?“

    Passend zu den letzten Postings eine Literaturempfehlung: Das deutsche Krokodil. Meine Geschichte. Autobiografie, Rowohlt Verlag, Reinbek 2017, ISBN 978-3-498-04468-8


    Eine vaterlose Kindheit in den 70ern als Sohn einer Schlesierin (Flüchtling) und eines Nigerianers in Dossenheim bei Heidelberg.

    Zum Autor und auch zum Buch gibt's was bei Wikipedia


    ... noch ein Roman zu dem Thema:


    "Stay Away from Gretchen" von Susanne Abel (gibt's auch als Hörbuch).


    Oh, vielen Dank! Werde mir das mal vormerken.


    Und ich habe - passend dazu - auch ein sehr interessantes Buch, ebenfalls gefunden in der Tauschbücherei-Telefonzelle: "Neger, Neger, Schornsteinfeger!" von Hans J. Massaquoi. Ist, glaube ich, ganz bekannt.


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    Eine Schulkameradin zeigte mir mal einen Aufsatz ihrer Mutter, als deren Klasse einen Ausflug in den Hamburger Hafen machte. Sie schrieb: "....und als wir an den Landungsbrücken entlang liefen, sahen wir: einen Neger." - Die Verfasserin muss so ungefähr Jahrgang 1930 gewesen sein.

    (Ich selbst hatte ein ganz anderes Erlebnis mit meinem Klassenausflug in den Hamburger Hafen: da kam jemand mit einer Kiste Bananen auf uns zu und verteilte die Früchte an uns. Das war genauso sensationell, denn zu Hause gab es selten Bananen - die damaligen "Neger" unter den Früchten. Verzeiht bitte: damals durfte man das N-Wort noch aussprechen; das nur zum Verständnis.)


    Monikadie4. :

    Oh, Deine Eltern waren aber doch viel älter als meine, das hätte ich nicht gedacht. Das gibt dann ja doch eine bisschen andere Konstellation in der Prägung.

    Aber entscheidend ist eben auch Deine Aussage, dass es in unserer Jugend "normal" war, was heute wenigstens strafbar ist - nämlich das Schönreden von rechter Denkweise.

    Ja, aber wenn wir Kinder an die alte Zementmauer (Trennwand zwischen den Höfen der Mehrfamilienhäuser) mit Dachziegelscherben Hakenkreuze malten, wurden wir furchtbar ausgeschimpft. Wir wussten genau, dass wir es nicht durften, aber das Verbotene zu tun, reizte doch so sehr, das war so ein Kribbeln und machte Spaß zu gucken, wie weit man gehen kann.

    Da hatten die Eltern Angst, wenn ihre Kinder sowas taten. Das war ca. 1960.

    In meiner Jugend wussten viele gar nicht, was passiert war. Es wurde offen über Hitlers Autobahnen geschwärmt. Und als ich 1980 in Kanada lebte, feierten viele Deutsche Hitlers Geburtstag.

    Liebe Monika,


    ich bin zwar ein paar Jahre jünger als Du, aber bei mir war es genauso, und ich hatte eine für mein Geburtsjahr [damals] relativ alte Mutter, Jahrgang 1925. Vielleicht war ja Deine Mutter jünger, als Du geboren wurdest, da kann ich mir gut vorstellen, dass das, was sie von sich gab, den Bemerkungen meiner Mutter ähnelte.

    Als ich Kind war, lebte Billy Mo in meiner Nähe. Er hatte eine weiße Frau aus meiner Gegend, und Mischlingskinder. Meine Mutter sagte manchmal: deutsche Frauen sollen sich nicht mit Schwarzen zusammentun, weil sie davon krank werden. Ich habe das gar nicht verstanden, und konnte mir auch nicht vorstellen, dass seine Frau deswegen krank sei. Einzelheiten dazu konnte meine Mutter aber nicht erklären, wenn ich fragte, warum und wieso. In meinem späteren, hochspezifischen und anspruchsvollen Biologieunterricht verpufften diese Merkwürdigkeiten dann ohnehin.

    Es wurde in meiner Kindheit auch relativ viel von Erbanlagen gesprochen, wobei man indirekt heraushörte, dass die Erbanlagen anderer Völker, mit Ausnahme der nordischen, nicht so toll seien. Das bekam mehr Gewicht, als die Gastarbeiter kamen. Zuerst die Italiener, dann die Türken, dann die Spanier und Griechen.

    Meine Mutter glaubte nicht, dass 6 Millionen Juden vernichtet wurden. Sie meinte, das habe man nach dem Krieg den Deutschen eingetrichtert, durch die systematische Umerziehung durch die Besatzungsmächte. "Gehirnwäsche", sozusagen. Dabei war es ja überwiegend umgekehrt gewesen, die Sache mit der Gehirnwäsche.

    Auch über die Juden hat man damals negativ gesprochen (das Übliche) - es ging einfach weiter, so, als ob die Umerziehung nichts gefruchtet hatte.

    Aber es wurde immer nur allgemein gesprochen. Wenn man jemanden persönlich kannte, war der eine Ausnahme. So gab es einen Juden in meiner Nähe, der eine winzige Drogerie führte, das war Herr Wahrenberg. Wie der die Hitlerzeit überlebt hatte, ist mir nachträglich ein Rätsel, denn seine Frau hatte es nicht geschafft. Eines Tages, als ich schon viel bewusster und neugieriger geworden war, ging es an die Weihnachtsbäckerei, und meine Mutter sprach von Pottasche und Hirschhornsalz. Über diese zwei komischen Namen dieser Lebkuchen-Triebmittel wollte ich mich kaputtlachen und konnte mich gar nicht beruhigen. Da nahm mich mein Vater bei der Hand und führte mich zu Herrn Wahrenberg, der sollte mir fachgerecht erklären, wie diese komischen Namen zustande gekommen waren. Ich war fasziniert und hing an seinen Lippen, wie er das kindgerecht und einfühlsam machte, und seit dem Tag war Herr Wahrenberg fast wie ein Guru für mich, so einen Respekt hatte ich. Über Pottasche und Hirschhornsalz habe ich nie wieder gelacht.

    Auch meine Kinderärztin, Frau Dr. Haas, war Jüdin. Doch bei ihr habe ich mich immer wohlgefühlt, und ich hatte keine Angst vor dem Arztbesuch - wie etwa andere Kinder. Leider war Frau Dr. Haas, im Nachhinein betrachtet, wohl depressiv (wer weiß, warum), und da sie als Ärztin an alle möglichen Mittel kommen konnte, munkelte man, sie spritze sich Drogen (Morphium vermutlich). Sie wurde immer hagerer und ihre Haut wurde immer gelblicher, bis eines Tages ihre Todesanzeige in der Zeitung stand.

    Und es stimmt, auch meine Mutter hat Hitler gelobt, dass er - bei allem "Ungemach" - doch so vielen Menschen zu Arbeitsstellen verholfen habe und den Grundstein für das heutige deutsche Autobahnnetz gelegt hat (Reichsautobahn). Dabei wurde die Berliner Avus [die anfangs hauptsächlich als Teststrecke diente] schon 1913 gebaut, und eine Landstraße bei Köln ab 1928 ebenfalls zu einer Autobahn-ähnlichen Schnellstraße ausgebaut und 1932 fertiggestellt. Und die Pläne für die Reichsautobahn existierten schon viel früher - Hitler hat die Ausführung nur beschleunigt.

    Mein Vater (Jahrgang 1909) hat nicht so viele verkorkste Meinungen von sich gegeben wie meine Mutter. Er war zudem viel intelligenter. Er berichtete nur, wie er in der Hitlerzeit seine Mitmenschen manchmal verarscht hat, um seine Ziele durchzusetzen, beispielsweise, als er zu Anfang der Hitlerzeit arbeitslos war und wieder einmal das Arbeitsamt besuchte, dass der Beamte keine Lust hatte, ihn mit dem Hitlergruß zu begrüßen. Da musste dieser so ein fürchterliches Donnerwetter von meinem Vater erleben, dass er fast Todesangst bekam, und so kam mein Vater ganz schnell zu einer neuen Arbeitsstelle im Maschinenbau.

    In Wirklichkeit verachtete mein Vater diesen ganzen "Blödsinn" und ging innerlich seine ganz eigenen Wege, denen Viele oft nicht folgen konnten. Er hatte ganz seinen eigenen Dickkopf. Seine politische Gesinnung ließ sich ungefähr im linken SPD-Flügel einschätzen, und bis zu seinem Tod änderte sich das nie. So, wie es sich damals gehörte, für einen ordentlichen, hanseatisch denkenden Hamburger Facharbeiter.

    Die genetische Zusammensetzung eines Durchschnittsdeutschen ist ein abenteuerliches Konglomerat, eine Folge von permanenter Migration! Beispielsweise sind wir zu 30 % slawisch, jüdisch im einstelligen Bereich, und sogar so plusminus 2 % Neandertaler! Und germanisch sind die Frauen nur bei 50 %, die Männer noch weniger (was beweist, dass durchziehende wilde Horden sich einheimische Frauen genommen haben). Man könnte fast scherzen, wenn Hitler das heute wüsste, würde er sich im Grabe herumdrehen - wenn doch dieser Gedanke nicht so traurig wäre, bei all diesem unausdrückbar Schrecklichen, was unsere Vorgeneration(en) damals erleben mussten.


    Manchmal hat man ja das Gefühl, dass Dinge zu einem kommen, wenn es an der Zeit ist und es gerade passt - so wie bei mir, indem ich in der alten Telefonzelle das Buch "Schindlers Liste" fand.

    Es ist schwer zu sagen, ob es sich wirklich so verhält, oder ob man gerade so eine Phase einer bestimmten Sensibilisierung hat, und darum darauf eingestellt ist und andere Dinge in dem Moment ausblendet.

    Es kann aber auch sein, dass es eine Mischung von allem ist.

    Ich beschäftige mich gerade sehr mit menschlichen Schicksalen rund um den Zweiten Weltkrieg, wie es dazu kam und die Folgen.

    Das hat mit den aktuellen Geschehnissen zu tun.

    Dazu passt, dass ich in unserer Tauschbücherei in der Altstadt (umgebaute alte Telefonzelle) das Buch "Schindlers Liste" gefunden habe. Habe es gerade angefangen, nachdem ich ein Buch von der Deutschen Kriegsgräberfürsorge, mit Einzelerlebnissen--->Berichten von damaligen Flüchtlingen aus dem Osten (Kriegsende), fast durch habe.

    Ich habe eine gute Freundin in Krakau, schon seit über 40 Jahren. Mit ihr war ich in dem Museum, was früher Schindlers Fabrik gewesen war. Mich hat das alles unglaublich berührt. Nie wieder darf sowas passieren!, dachte ich damals.

    Und heute? Heute sind wir wieder gefährlich nah dran.


    Das macht einen fassungslos.

    Vorgestern habe ich in unserer Bücher-Telefonzelle (= Tauschbücherei) in der Altstadt gefunden:

    "Triffst du Buddha, töte ihn!" von Andreas Altmann. Ich fange morgen damit an. Bin schon gespannt.


    Kennt jemand das Buch?


    Der Ausspruch wurde übrigens Linji Yixuan zugeschrieben, einem der bekanntesten Meister der Zen-Geschichte.

    Ich lese gerade:

    "Meditation verlernen - was tun, wenn Anleitungen im Wege sind" von Jason Siff, Arbor Verlag, aus dem Amerikanischen übersetzt.

    ISBN 978-3-86781-128-6, 1. Auflage 2015.


    Originaltitel:

    "Unlearning Meditation - What to Do When the Instructions Get in the Way"


    LG - Amdap