ZitatRaphy schreibt:
... Und dann das andere Leid, das daraus entsteht weil wir dem Habenwollen und der Ablehnung nicht mehr so stark nachgehen. Wenn wir immer mehr sehen, dass es uns so garnicht gibt wie wir immer dachten. Wenn immer mehr Licht auf unsere unbewußten und verdrängten Anteile fällt. Wenn Dinge wegfallen mit denen wir uns identifiziert haben. Es basiert eher auf Bewußtheit oder Wissen. ...
Genau diese Art von Leiden meinte ich. Ich hatte was ähnliches schon 1990 zur und nach der Wende. Wenn einem das ideologische Weltbild wegbricht und man erkennt, dass alles woran man vorher geglaubt hat falsch, indoktriniert und letztlich sinnlos war, dann steht man erstmal ziemlich hilflos und leer da.
Leer wäre sicher gut, aber der Geist vieler war auf die Leere nicht vorbereitet. Also versank er in Selbstmitleid wegen der Sinnlosigkeit des Seins, oder er suchte sich einen anderen Sinn, z.B. eine Religion. Für mich war die Wende eine riesige Chance (ich war gerade 20), also habe ich nicht gelitten, sondern war begeistert, wegen der Möglichkeiten. Viele andere im Osten, gerade Ältere, sind in sehr tiefe Löcher gefallen.
Nun, jetzt gerade geht es mir ähnlich, etwas was ich selbstverständlich, normal, ja sogar gut fand, hat sich mir als die wohl größte Quelle meines Leidens offenbart. Das reißt einem den Boden unter den Füßen weg. Zum Glück habe ich, seit ich hier angemeldet bin (Februar) schon einen kleinen, aber anscheinden hinreichenden Schritt auf dem Weg der Lehre gemacht, so dass ich das Gefühl habe, ich könnte mit der Situation zurechtkommen.
Ich lese gerade Jack Kornfield: Nach der Erleuchtung Wäsche waschen und Kartoffeln schälen. Wie es der Zufall so will bin ich gerade in dem Kapitel über die verschiedenen Stufen der Erleuchtung und die manchmal sehr dunkle Nacht dazwischen. Nunja, ich bin nicht erleuchtet. Ich würde es noch nichteinmal Kensho nennen. Aber ich bin mir sicher, dass vor den Stufen der Erleuchtung viele kleine und große Stufen der Erkenntnis liegen. Auch zwischen diesen gibt es dunkle Nächte und helle Tage. Vielleicht komme ich ja irgendwann am Nordpol meines Geistes an, wo die Nächte weniger dunkel und die Tage weniger hell sind. Ich hoffe dann ist mein Gleichmut trotzdem noch warm und nicht wie die nordische Kälte.
LG,
Milou