Beiträge von Erdmaus im Thema „Was ist Leid?“

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    Insofern herrscht Einigkeit, dass ein Regenwurm, aufgrund seines primitiven Bewusstseins nur eine geringe Leidensfähigkeit zu haben scheint.


    auf Basis einiger Indizien tendiere ich dazu dies anzunehmen. Aber wie ich oben geschrieben habe: Man muss ein Wurm sein um zu wissen wie sich ein Wurm fühlt und ob er überhaupt etwas "mitbekommt". Ich kann letztlich auch nicht mit absoluter Sicherheit von meinen Mitmenschen sagen, dass diese eine subjektive Innenwelt generieren. Ich gehe davon aus, weil ich auch ein Mensch bin und von mir auf andere schließe. Ferner können andere Menschen sprechen und von sich erzählen. Aber auch hier könnte es sich um pure Generierung von Sprache handeln, ohne dass ein Bewusstsein dahintersteckt. Natürlich gehe ich trotzdem davon aus, dass meine Mitmenschen ein Bewusstsein entwickelt haben.


    Ich kann jedoch nicht von mir auf einen Wurm schließen. Das ist nicht mehr möglich. Bei höheren Säugetieren kann ich in beschränkter und vorsichtiger Weise von mir als Säugetier auf dieses andere Säugetier schließen. Die Hirnstruktur und die Anatomie ähneln sich schließlich.


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    Wenn eine Ratte in einer speziellen Situation (Geräusch, Aufsuchen eines Ortes) wiederholt Schmerzen erleidet beginnt sie sich davor zu fürchten ! Sie lernt: in dieser Sitation empfinde ich Leid.


    Man kann aus dem Verhalten eines Systems (in diesem Fall der Organismus einer Ratte) nicht darauf schließen, ob Leid generiert wird oder nicht. Das alles könnte auch einfach unbewusst als Folge von neuronalen Informationsverarbeitungsprozessen passieren. Von außen wird dann der Anschein erweckt das die Ratte leidet, weil sie Bewegungsabläufe zeigt, die uns an Vorgänge erinnern, welche wir als Mensch als leidvoll empfinden.


    Kleines Beispiel: Man kann einen Roboter menschenähnlich bauen und ihn so programmieren, dass er schreit wenn man ihn schlägt oder das er wegrennt wenn man ihm Gewalt androht. Wenn man sowas beobachtet kann schnell der Eindruck entstehen, dass dieses Gerät leidet. Es verhält sich schließlich wie ein Mensch, der in Gefahr kommt. So ähnlich könnten wir auch der Illusion verfallen ein Regenwurm, der sich krampfhaft kringelt, weil er verstümmelt wurde sei leidend. Es könnte jedoch sein, dass einfach ein "seelenloses'" Reaktionsmuster abgespult wird und überhaupt kein Leiden vorhanden ist. Wir können es nicht wissen.


    Diese Unwissen kennt sogar einen Namen: Das sogenannte Qualia Problem --> http://de.wikipedia.org/wiki/Qualia

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    Natürlich leidet ein Regenwurm. Sogar eine einzelne Zelle leidet: kommt sie mit giftigen Substanzen in Verbindung, so wehrt sie sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln.


    Und was ist mit einem Roboter, der mit entsprechenden Sensoren ausgestattet ist und auf seine Umwelt reagiert? Kann der dann auch leiden? Man kann durchaus einen Roboter herstellen, der vor Gefahren flüchtet oder Geräusche macht wenn man ihm seine Fühler kaputt macht. Lernfähigkeit kann man ihm auch beibringen. Ich bezweifel ernsthaft, dass solche Systeme leiden können. Dazu bedarf es schon ein bischen mehr.


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    Für Wissenschaftler ist das ein bequemer Gedanke: Regenwürmer leiden nicht, Mäuse und Ratten auch nicht, also können wir denen alles zumuten …


    Ratten und Mäuse sind keine primitiven Lebensformen. Im Gegenteil. Ratten sind intelligente Wesen mit einem relativ großen Gehirn. Wurm und Ratte trennen Welten. Mir ist auch keine wissenschaftliche Abhandlung darüber bekannt, welche Lebewesen leiden können und welche nicht. Man muss bedenken, dass man eine Ratte sein muss um zu wissen ob sie leidet. Wir sind aber nunmal Menschen und keine Ratten. Ich habe oben auch geschrieben, dass ich einen Wurm oder ein Insekt dennoch behutsam behandle. Dies mache ich, weil ich niemals 100% sicher sein kann, ob ein so primitves Geschöpf eine Innenwelt generiert oder nicht. Ich gehe nicht davon aus, aber wissen kann ich es nicht.


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    Aber es genügt eine einzige Nervenbahn bei einem komplexen Wesen, damit es Schmerz und Unbehagen empfindet. Mehr braucht es nicht dazu. Auch Dir muss nur ein einziger Nerv wehtun, z.B. im Zahn oder der Trigeminus und Du bedankst Dich.


    Der Nerv tut nicht weh. Was weh tut ist die Reaktion des Gehirns, welches durch komplizierte neuronale Vorgänge den Schmerz generiert. Genaugenommen ist für den Schmerz nichtmal ein Nerv nötig. Das sieht man sehr schön bei Phantomschmerzen, wenn einem ein Bein weh tut, dass gar nicht mehr existiert. Man muss nur die Verbindung zum Hirn kappen und schon kann man ganze Nervestränge beliebig reizen ohne das man das geringste spürt. Das was du spürst ist halt nicht der Nerv. Noch eindrücklicher ist dies bei der Narkose. Da funktionieren deine Nerven auch noch, aber dein Hirn erzeugt kein Bewusstsein und daher wird auch kein Schmerz empfunden. Trotzdem funktioniert dein Körper weiter. Aber da ist kein Schmerz.


    Bei einem Wurm gibts Nerven und auch ein bischen Informationsverarbeitung zur Generierung der lebensnotwendigen Reaktionsmuster. Aber das Ganze läuft ziemlich programmatisch ab. Dem Wurm fehlen einige Eigenschaften, die charakteristisch für komplexere Lebensformen (mit größeren Hirnen) sind.


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    Dann haben wir noch den Drang zum überleben, auch der gehört dazu, und den hat auch ein Regenwurm. Wenn er könnte, würde er Dich beissen. Außerdem hat er Hunger und Durst, den Drang zur Fortpflanzung, und wenn es regnet, dann huscht er an die Oberfläche um nicht zu ertrinken.


    Solche Reaktionsmuster können aber auch ohne Bewusstsein oder subjektive Erfahrungswelt existieren. Das beste Beispiel sind eben die Roboter und Computer. Ich bin aber der Ansicht, dass die auch eines Tages Bewusstsein entwickeln könnten. Momentan halte ich sie für nicht komplex genug. Aber ich bin kein Computer und kann daher nicht 100% wissen, ob mein PC Empfindungen hat. Vielleicht merkt er es, wenn seine CPU Daten verarbeitet und Signale rein und raus laufen ^^

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    Würde ich in dieser Daseinsform mehr oder weniger oder gar nicht Leiden ?


    ich glaube nicht das ein Regenwurm leiden kann. Die neuronalen Verschaltungen sind sicher nicht komplex genug um sowas Aufwändiges generieren zu können.
    Ich schätz mal, dass ein Regenwurm genausoviel Innenleben wie eine Pflanze hat, nämlich gar keins.


    Aber: Da man sich nicht in ein Fremdbewusstsein hineinversetzen kann, kann man niemals mit Sicherheit wissen was in einem anderen Lebewesen subjektiv passiert. Aus diesem Grunde gehe ich auf Nummer sicher und bin auch bei kleinen Krabblern sanft zur Hand - so auch bei unserem kleinen Freund dem Regenwurm.


    Im Übrigen: Ich würde mich nicht vor einer Inkarnation in einer primitiven Lebensform fürchten, sondern vor einer Existenz in einem Wesen mit hochentwickeltem, großem Gehirn. Der Mensch ist das beste Beispiel für enorme Leidensfähigkeit. Dies führe ich auf sein komplexes Hirn zurück. Ein Wurm besitzt überhaupt nicht die Kapazität dazu. Wir Menschen neigen nur dazu ihn zu vermenschlichen und ihm auf Grund seiner optischen Ansicht, seiner kriechenden Bewegungsabläufe und seines erdigen Lebensraumes eine besonders leidvolle Existenz zuzuschreiben.

    Gruß
    maus

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    Aber was ist überhaupt Leid?


    ein subjektives Phänomen


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    Kann man das überhaupt allgemein definieren?


    Das kann man nicht. Das Phänomen ist verbal nicht fassbar. Das ist genauso wie wenn man versuchen würde den subjektiven Eindruck der Farbe "blau" zu erklären oder zu definieren. Vollkommen unmöglich.


    lg
    maus