Beiträge von _溯源_

    In Japan sagt man "Ichigu wo terasu" (一隅を照らす) - eine Ecke (der Welt) erhellen. Diese eine Ecke ist die, in der Du gerade stehst. Du musst nicht die Welt retten. Tu Dein Bestes, die Ecke in der Du gerade stehst, für Dich und Andere ein wenig heller zu machen. Das genügt.


    _()_

    Bakram:

    Aus Deinen Zeilen Lese ich, Zen soll vor allem emotional Fesseln und eher weniger intellektuell durchdringen


    Ich weiss nicht, wo du das herauslesen willst. Es geht darum, dass Zen sich nicht durch "intellektuelles Durchdringen" von was auch immer erschließen und verwirklichen lässt - sondern nur durch konkrete Praxis mit ungeteiltem Körper und Geist in Gemeinschaft mit allen Wesen. Das gemeinschaftliche Praktizieren in der Sangha ist der unverzichtbare konkrete Aspekt des Praktizierens "gemeinsam mit allen Wesen". Mit emotionalen Bindungen hat das sicherlich auch etwas zu tun - insbesondere mit karuna, maitri, mudita und upeksha. In der Sangha hast Du ein konkretes Übungsfeld dafür.

    Zitat

    Könnte ich da nicht ebensogut einem Faschingsverein beitreten ?


    Sicher, wenn in diesem Verein Zazen praktiziert wird. Meine Sangha hat seit vielen Jahren an Fasching immer ein Sesshin und am Rosenmontag sitzen wir Zazen mit komischen Hütchen auf dem Kopf und roten Pappnasen im Gesicht. Nee .... nicht wirklich (nur das mit dem Sesshintermin stimmt) ... Verkleidungen brauchen wir da nicht. Das ist übrigens das Anzeichen dafür, dass die Gemeinschaft, in und mit der Du praktizierst, eine Sangha ist. Du brauchst keine Verkleidungen und Masken.

    Zitat

    Denkst Du die Buddhanatur werde entwickelt, wenn man dazu verführt an Regeln und Riten anzuhaften ?


    An der Buddhanatur gibt es nichts zu entwickeln. Und Regeln und Riten zu beachten ist nicht dasselbe, wie an ihnen anzuhaften. Als Literaturkenner kennst Du doch sicher den 16. Präzedenzfall des Mumonkan? Vielleicht hilft es, sich ein wenig mit Ummons Frage zu beschäftigen ...

    Zitat

    Ich weiss man hört oft es brauche eine Stütze, die man zur gegebenen Zeit wieder loslassen soll.


    Gemeinschaftliche Praxis ist keine "Stütze" - es ist vollständige Praxis. Individuelle Praxis ist keine Mahayana-Praxis.

    Zitat

    ZEN ist leer von Inhalten sagst Du, das stimmt so nicht ganz. Besser wäre die Bemerkung, dass die Inhalte nicht kommunizierbar sind. Sie werden erkannt, wenn sie da sind ! Was ist ausserhalb der Hütte ? Nichts !


    So lange du noch Inhalte erkennst, hast du gar nichts erkannt. In der Hütte ist nämlich auch nichts. Gerade hier zeigt sich die Notwendigkeit der gemeinsamen Praxis mit einem Lehrer - und es zeigt sich, dass individuelle Praxis stagniert.

    Zitat

    Nur Schade, dass für mich die Hürden in eine solch hierarchische Struktur einzutreten viel zu gross sind.


    Ja schade. Wobei ich stark vermute, dass es Dir nicht eigentlich um eine "hierarchische Struktur" geht - die ist in den meisten westlichen Zengemeinschaften kaum nennenswert bzw. sehr flach. Ich vermute, Deine Hürde besteht ganz konkret darin, Dich der Führung eines Lehrers anzuvertrauen. Auch ich kenne diese Hürde - es ist eine von vielen auf dem Zenweg. Der Zenweg ist ein Hürdenlauf ... Nee - auch das nicht wirklich :) . Wenn Du Deinem Lehrer oder Deiner Lehrerin begegnest, ist diese Hürde verschwunden. Dazu musst Du allerdings Dein Zimmer verlassen.


    _()_

    Bakram:

    Als typischer aufgeklärter "Westler" (in diesem Sinne zu verstehen:http://de.wikipedia.org/wiki/Aufkl%C3%A4rung) wird meine Persönlichkeit von Individualismus und Autonomie dominiert. Enge Strukturen, Gruppenzwänge, Hierarchien meide ich wo es geht. Um es bildlich zu formulieren: Schmetterlinge sind eben schwieriger zu führen als Raupen. Im zu engen Käfig gehalten gehen sie kaputt.


    Ich sehe mich selbst durchaus ebenfalls als einen Befürworter des "Projekts Aufklärung", das ich für lange noch nicht abgeschlossen halte und versuche meinen bescheidenen Teil dazu beizutragen. In allen Kulturen, in die der Buddhadharma gelangte, hat er häufig das Beste aufgegriffen, was diese Kulturen zu bieten hatten. Es ist meine große Hofnung, dass die Inkulturation des Buddhismus im Westen nicht nur die westliche Kultur sondern auch den Buddhismus durch eben die geistige Tradition der Aufklärung bereichern und von vielem antirationalen und anachronistischem Ballast (als Beispiel sei nur die Geschlechterdiskriminierung) befreien wird.


    Aber Aufklärung ist etwas mehr als Individualismus - was Du natürlich weisst. Und die Einordnung in eine Gemeinschaft widerspricht nicht notwendig den Prinzipien der Aufklärung - lediglich das Nicht-hinterfragen von Hierarchien und deren kritiklose Akzeptanz.


    Da es im Buddhadharma ganz wesentlich um das Loslassen irriger Vorstellungen von 'ich' geht, kann der weniger für die Aufklärung als für die moderne kapitalistische Gesellschaftsordnung so typische Individualismus (der häufig nahtlos in Egoismus überzugehen droht) durchaus hinderlich auf dem Weg sein.


    Du weisst doch sicher, wie Huineng zum 6. Patriarchen wurde? Nach seinem ersten Gespräch mit Hongren fügte er sich in die Hierarchie des Klosters ein und verrichtete über 8 Monate lang die niedrigsten Tätigkeiten, bevor Hongren auch nur ein zweites Mal das Wort an ihn richtete ... Nun will ich das sicherlich nicht als nachahmenswert hinstellen (zumal die Geschichte eher hagiographische als historisch-biographische Züge trägt) - aber ein Problem mit "engen Strukturen, Gruppenzwängen, Hierarchien" scheint Huineng wohl nicht gehabt zu haben ...


    _()_

    Zitat

    Und dann machst du auch eine literarische Fiktion und erzählt was schon vor über 1300 Jahren begonnen habe.


    Nun - eben das ist keine Fiktion, sondern da geht es um die faktischen historischen und sozialen Bedingungen, aus denen heraus die Zen-Bewegung entstand und sich institutionalisierte. Und zwar untrennbar von der Zen-Praxis selbst. Dass eben dies in der westlichen Rezeption von Laien immer noch weitgehend ausgeblendet wird und so in vielen Köpfen ein zwar sehr romantisches aber nichtsdestotrotz unrealistisches Bild von Zen (insbesondere durch die klassische Literatur der Tang- und Song-Zeit inspiriert) herumspukt, war Ausgangspunkt meines Beitrags.

    Zitat

    Institutionalisierung - ja - richtig und sie wurde immer wieder re-formiert.


    Richtig, und eben dieser Prozess findet auch aktuell statt. Und zwar insbesondere im Westen - da, wo Zen-Praxis rezipiert wird und nicht lediglich Zen-Literatur - wobei aus dieser Literatur dann bestenfalls eine private Praxis, die für Zen gehalten wird, auf Grundlage eines begrenzten persönlichen Verstehens konstruiert wird.


    Weil eben dieser Prozess ein permanenter ist, ist es auch ein auf mangelnder Sachkenntnis beruhendes Missverständnis, wenn hier davon gesprochen wird, dass Zen "sich zu institutionalisieren beginnt". Vielmehr sind die institutionellen Formen im Wandel begriffen, in einem Anpassungsprozess an die westliche Kultur.

    Zitat

    Geblieben ist Zazen - sitzender Buddha - in welchen Kleidern, Kesas, mit welchem Gebimmel und welche Rezitationen - das kann sich beständig ändern - ist ja auch alles vergänglich und veränderbar.


    Und genau das tut es ja auch.

    Zitat

    Wenn dir daran was liegt, dann praktiziere eben so - wenn anderen nichts daran liegt, dann lass dies doch einfach so sein.


    Natürlich lasse ich das so sein - ich könnte es ja auch nicht ändern, selbst wenn ich wollte. Aber ich kann auf den Unterschied aufmerksam machen zwischen Zen als etwas, das in einer Gemeinschaft praktiziert wird und somit zwangsläufig in einer Gestalt, die sich in Institutionen und Konventionen manifestiert einerseits - und Zen als einer Kopfgeburt andererseits, das dann bestenfalls alleine und privatim im stillen Kämmerlein praktiziert wird. Letzteres ist kein Zen und auch kein Mahayana - es ist bestenfalls der Weg eines Pratyekabuddhas. Die Zuflucht ist dreifach.

    Zitat

    Zen oder Zazen wird immer in einem kulturellen Kontext praktiziert


    Genau - und Zen oder Zazen, das diesen Namen verdient, wird auch immer in einem sozialen Kontext praktiziert, und auch der ändert sich selbstverständlich. Wieso Du meinst, aus meinem posting ein Plädoyer für das Konservieren von Formen und Institutionen - speziell japanischen - herauslesen zu können, erschließt sich mir nicht so recht, habe ich doch ausdrücklich auf die Unausweichlichkeit von Anpassung und Wandel hingewiesen:

    Zitat

    Sicher sind viele Aspekte der traditionellen Gestalt verzichtbar, insbesondere im Westen. [...] Die Frage bleibt, was nicht verzichtbar ist bzw. einer anderen Gestaltung bedarf. Dieser Frage muss sich nicht nur Zen, sondern jede buddhistische Tradition im Westen stellen; ihre Beantwortung ist Teil der Inkulturation und von der richtigen Antwort hängt deren Gelingen ab. Sie muss also mit Sorgfalt beantwortet werden.


    Insofern ist diese Äußerung von Dir:

    Zitat

    Schmeiß dein japanisch-chinesisches Gepäck über Bord und befrei dich vom dem, was du für upaya hälst.


    ... schlicht ein Schuss in den Ofen. Weder kennst Du mein persönliches "japanisch-chinesisches Gepäck" (ich trage nicht schwer daran) noch kennst Du die spezifischen Institutionen und Formen meiner Sangha. Du spekulierst - und auf solcher Grundlage kann man sich Ratschläge auch gleich sparen. Das weisst du natürlich - aber als Ratschläge sind diese Äußerungen von Dir ja wohl auch nicht wirklich gedacht, sondern als Provokation. Für Unterstellungen reicht Dein Talent für Eristik offensichtlich aus.

    Zitat

    Nur niemand kommt drumherum für sich selbst und sein Leben davon etwas auszuwählen und diese Entscheidung kann man niemand abnehmen.


    So ist es. Ich habe nirgendwo gesagt gesagt oder geschrieben, dass der Weg den z.B. meine Sangha geht der einzig richtige und angemessene ist - gerade der Verweis auf die Upaya-Natur sollte eigentlich hinreichend deutlich machen, dass die Möglichkeiten hier unbegrenzt sind. Trüge ich schwer an meinem "japanisch-chinesischen Gepäck" würde ich darauf bestehen, dass es genau 84.000 sind ...


    Wie im letzten Absatz meines postings ausdrücklich erklärt, geht es um Inkulturation - und so mannigfaltig da die möglichen Ansätze sind, so gibt es doch auch Unverzichtbares. Du selbst nennst Zazen - sitzender Buddha. Ich füge - nochmals - hinzu: die gemeinsame Praxis. Nur in gemeinsamer Praxis kann sich Übertragung ereignen. Ohne Übertragung kein Zen.


    Gemeinsame Praxis hat notwendig eine soziale Gestalt - DIE ist unverzichtbar, nicht eine speziell chinesische oder japanische Gestalt. Die Sorgfalt, die ich bei der Behandlung des Inkulturationsproblems angemahnt habe, beinhaltet aber auf jeden Fall eine sorgfältige Prüfung der existierenden Institutionen und Formen - also der Tradition, die nun einmal eine chinesische und japanische Prägung hat. Eben diese Tradition sollte man dann auch kennen, wenn man sich qualifiziert zu solchen Fragen äußern will (muss man ja nicht). Nur ein Narr hebt Dinge auf, für die er einen besser geeigneten Ersatz hat - aber wer Dinge über Bord wirft (oder dies Anderen empfiehlt), für die er keinen besser geeigneten Ersatz hat, ist ebenfalls ein Narr. Entscheidend ist dabei einzig und allein die bessere Eignung - nicht 'alt' oder 'neu', nicht das möglicherweise als exotisch empfundene japanische oder chinesische Kolorit. Eben diese Eignung oder Nicht-Eignung erweist sich in der konkreten gemeinsamen Praxis einer Sangha - nicht durch theoretische Erwägungen.


    _()_

    Ich möchte hier eine (eigentlich offtopic) Bemerkung aus einem anderen thread aufgreifen und dazu einige Überlegungen äußern.

    Zitat

    Allerdings beginnt auch ZEN langsam Staub anzusetzen, der seinen eigentlichen geistigen Inhalt zu verdecken droht (Ein Phänomen das bei allem auftritt was sich zu institutionalisieren beginnt. Organisatorische und symbolische Belange werden plötzlich wichtiger als die Sache selbst).


    Das ist ein schönes Beispiel für das im Westen immer noch stark verbreitete Verwechseln von Zen als gelebter Praxis und Zen als bloßer literarischer Fiktion. Das Gegenteil ist vielmehr richtig - der Druck der Moderne, dem gerade in Japan die traditionellen religiösen Institutionen ausgesetzt sind und vor allem die Verbreitung von Zen als Praxis (und nicht nur von 'Zen-Literatur') im Westen haben dafür gesorgt, dass vieles an verkrusteten Strukturen abgebaut wird. Die oben beklagte "Institutionalisierung" von Zen ist beileibe keine moderne Entwicklung, sie begann vor über 1300 Jahren und hatte sich schon vor einem Jahrtausend zu sehr konkreten Formen verfestigt. Im 12. Jahrhundert fand diese Institutionaliserung im System der Fünf Berge und Zehn Klöster (als 'Gozan Jissetsu Seido' dann von Japan importiert) einen vorläufigen Abschluss .


    Die Vielzahl von religiösen Zeremonien und zeitaufwendigen Rezitationen zu den unterschiedlichsten Anlässen, die im Tagesablauf eines japanischen Zenklosters (außer in Zeiten intensiver Übungspraxis) deutlich mehr Zeit einnehmen als die Zazen-Übung, ist zunächst einmal ziemlich überraschend und ernüchternd für den, der sich anhand einiger häufig mehr schlecht als recht übersetzter Texte ein völlig realitätsfernes und romantisches Bild von Zen zurechtgezimmert hat. Und das nicht, weil das japanische Zen in dieser Hinsicht 'entartet' wäre. Zwar ist die ursprüngliche "goldene Regel" Baizhangs aus dem 8. Jahrhundert nur noch in wenigen Zitaten erhalten, doch die erhaltenen, hauptsächlich aus dem 13. und 14. Jahrhundert stammenden Klosterregeln (der älteste, die sog. Chongning-Klosterregel, stammt von 1103) zeichnen ein in keiner Weise anderes Bild. Wer sich die unter den Ming zum Standard gewordene (revidierte) Baizhang-Klosterregel (kompiliert von Dongyang Dehui 1336) anschaut, wird vor allem überrascht sein, welchen Raum dort beispielsweise Riten und Zeremonien etwa zum Geburtstag des Kaisers und des Thronfolgers (und auch zu diversen Todes-Gedenktagen) einnehmen. Ein ganzes Kapitel (das 2.) ist Zeremonien gewidmet, die in Erfüllung von Verpflichtungen gegenüber dem Staat abzuhalten sind. Um eine kurze aber bezeichnende Passage aus der Einleitung dieses Kapitels zu zitieren:


    "Jeder Kaiser regiert das Reich von Himmel und Erde als inkarnierter Nirmanakaya und wenn er seine Pflicht der Transformation vollendet, kehrt das Reich in den Zustand der Buddhaschaft zurück. Daher wird in den Tempeln der Hauptstadt, die von der Regierung unterstützt werden, das Bild des Kaisers auf dem Buddha-Altar aufgestellt. Fünf Mal im Monat werden dem Bild wie für eine lebende Person Opfergaben und Worte der Verehrung dargebracht und es wird mit nährenden und schützenden Gedanken verehrt ..."


    Der "eigentliche geistige Inhalt" von Zen, von dem im Ausgangszitat die Rede ist, existiert zunächst einmal nur in persönlichen Vorstellungen auf Grundlage begrenzten Faktenwissens. Auch Zen ist leer - das heisst, es existiert nur aus einer Konstellation von Ursachen und Bedingungen heraus und ist diesen entsprechend beständigem Wandel unterworfen. Einen davon unabhängigen "geistigen Inhalt" gibt es nicht.


    Zen ist ein buddhistischer Weg - ist mithin trotz aller doktrinären Eigentümlichkeiten Zufluchtnahme zu Buddha, Dharma und Sangha. Vor allem letzeres - die Zufluchtnahme zur Gemeinschaft als drittem Juwel und die gemeinschaftliche Praxis in und mit ihr - unterscheidet Zen als konkrete Praxis von bloßen theoretischen Vorstellungen über und von Zen sowie dessen "eigentlichen geistigen Inhalt". Im konkreten, im praktizierten Zen, ist keine Trennung zwischen Form und Inhalt. Der einzige Unterschied zwischen beidem ist der, dass man die Form erlernen kann - sie ist der Zugang. Dann - und erst dann - erschließt sich die Form auch als Inhalt und der Inhalt als Form. Dann - und erst dann - hat auch das Studium von traditionellen Zen-Texten einen Sinn. Ansonsten sind diese Texte nur leblose Zeichen auf Papier und Wegweiser in das Gestrüpp von Ansichten und Meinungen.


    Zen ist also - wie jeder ernstzunehmende buddhistische Weg - nicht von seiner sozialen, historisch bestimmten Gestalt abzutrennen. Das literarisch-fiktive Zen unterscheidet sich vom konkreten, gelebten Zen wie der Film 'Fluch der Karibik' von der Realität des Schiffsverkehrs am Horn von Afrika im 21. Jahrhundert. Der Film mag interessanter und unterhaltsamer sein - hat aber nicht nur nichts mit der heutigen Realität zu tun, sondern auch nichts mit der der Karibik des 17. Jahrhunderts.


    Mithin ist Zen auch nicht zu trennen von Institutionen und von den Regeln und Ritualen, die dem sozialen Zusammen-Wirken von Menschen in den Institutionen ihre Gestalt geben. Diese 'Gestalt' ist *nur* Upaya, 'geschicktes Mittel' - wobei das diminutive *nur* bei einem Werkzeug, dessen Funktion Realisierung der Buddhanatur ist, nicht wirklich angemessen ist. Um so mehr ist bei der Gestaltung dieses Upaya große Sorgfalt anzuwenden. Sicher sind viele Aspekte der traditionellen Gestalt verzichtbar, insbesondere im Westen. So ist z.B. eine Geburtstagszeremonie für den Kaiser (in Japan nach wie vor fester Bestandteil im Jahresablauf) oder auch die tägliche Zeremonie für den Kami Idaten als Wächter des Küchenfeuers nach meiner persönlichen Auffassung durchaus verzichtbar. Die Frage bleibt, was nicht verzichtbar ist bzw. einer anderen Gestaltung bedarf.


    Dieser Frage muss sich nicht nur Zen, sondern jede buddhistische Tradition im Westen stellen; ihre Beantwortung ist Teil der Inkulturation und von der richtigen Antwort hängt deren Gelingen ab. Sie muss also mit Sorgfalt beantwortet werden - man kann einen Baum nicht verpflanzen, wenn man alle seine Wurzeln abschneidet und so die Gestalt des Baumes irreparabel schädigt. Wenn man nur die Blüten des Baumes als "eigentlichen geistigen Inhalt" im Auge hat und sich einen Blütenzweig in eine Vase stellt, wird man nicht lange Freude an ihnen haben.


    _()_

    Takumi:

    Man kann hier, bei dem Ausspruch des 6. Patriarchen im Fall 23 des Mumonkan davon ausgehen, dass er "Glauben vergegenwärtigen" im Sinne des Hsin hsin ming 信心銘 verstanden hat.


    Richtig, im Mumonkan 23 ist ebenfalls von 信 die Rede. Als buddhistischer Terminus steht 信 vor allem für Skt. śraddhā (tiefes Vertrauen, Überzeugung) - mit 'Glaube' sollte man wegen der christlichen Implikationen dieses Begriffs vorsichtig sein.


    _()_

    Das, was Du, Takumi. schreibst, mag alles schön und richtig sein, hat aber mit zumindest mit Soto-Zen (und nur zu diesem Thema äußere ich mich hier) nicht allzuviel zu tun.

    Takumi:

    Es ist also ein Gegenstand der Übertragung.


    Nein. Es werden im Soto-Zen überhaupt keine Gegenstände "übertragen". Übertragen wird in der Soto-Tradition shikantaza and sokushinzebutsu - in gemeinsamer Praxis, von Lehrer zu Schüler und von Schüler zu Lehrer. Von Buddha zu Buddha, yuibutsu yobutsu.


    Das O'Kesa ist gemäß Dogens Lehre Manifestation des Buddhadharma - in dieser Hinsicht wird es "übertragen". Man sollte hier generell mit dem Begriff "übertragen" vorsichtig sein, um Missverständnisse zu vermeiden - Dogen spricht in Bezug auf das O'Kesa nicht von "Übertragung" im Sinne menju (genau das ist die Bezeichnung für die Übertragung zwischen Lehrer und Schüler) sondern er verwendet bevorzugt den Begriff juji, was ich als 'Aneignung' (oder "empfangen [und daran] festhalten") übersetzen würde. Passt auch besser zur Einheit von O`Kesa und Buddhadharma (eho ichinyo).

    Zitat

    Was wird also übertragen?


    Es wird also nichts "übertragen", sondern das Kesa / der Buddhadharma wird als Einheit dem Zuflucht Nehmenden vom Ordinierenden übergeben und von diesem angenommen. Für einen Außenstehenden mag das dann auch ein "äußerliches Zeichen" sein. Aber kommt es hier auf den Außenstehenden an?

    Zitat

    Und wie sieht die Berechtigung aus bzw. wie erlangt man die Berechtigung zur Übertragung?


    Die Berechtigung zur Ordination hat ein Lehrer, also jemand der von seinem Lehrer shiho/dempo empfangen/entgegengenommen hat. Wenn er der japanischen Sotoshu-Organisation angehört, muss er außerdem die zuise vollzogen haben und darf sich dann Osho nennen (der Besitz diverser Rolls-Royce ist entgegen anderslautenden Gerüchten keine hinreichende Qualifikation für diesen Titel).

    Zitat

    So könnte man auch sagen: das Kesa ist der Glaube Buddhas (und der Glaube an Buddha, Dharma, Sangha). Der Träger des Kesa bringt damit seinen Glauben "Buddhist zu sein" zum Ausdruck.


    Mit Glaube (besser: Vertrauen, shraddha) hat das nicht notwendig etwas zu tun. "Die verschiedenen Wesen, die untersucht haben, wie man Buddha folgt - jene, deren Übung aus dem Glauben erwächst sowie jene, deren Übung aus dem Verstehen des Dharma erwächst - haben alle das Kesa geschützt und daran festgehalten und es als ihren eigen Körper und Geist behandelt" (Dogen, Shobogenzo Den'e)


    Es macht wenig Sinn, hier das Tanjing (wobei noch zu fragen wäre, welche der diversen Versionen) und Dogens Lehren zu vermengen.

    Zitat

    Im Zen ist das Kesa also das Label


    Wie schon gesagt, ist das lediglich die Sicht eines Außenstehenden auf "äußerliche Zeichen". Ist der hörbare Herzschlag und der fühlbare Puls das "Label" des schlagenden Herzen? Verstehst und erkennst Du durch diese äußerlichen Zeichen Form und Funktion des Herzens?

    Zitat

    Um noch auf das vermeintliche Gegensatzpaar von unmittelbarer Erfahrung und Religionswissenschaft einzugehen - das Tragen des O' Kesa macht gar nichts. Erst im Kontext zeremonieller Aktivität eignet sich der Träger auch diese Funktion [des z.B. Priesters] an und zwar in einer Sangha.


    Das ist ein gutes Beispiel für dieses an der Oberfläche haftende Verständnis. Zur Praxis mit dem O'Kesa gehören zwar zweifellos auch zeremonielle, "priesterliche" Aktivitäten - zentral jedoch ist das Verschmelzen von Zazen-Praxis und Kesa-Praxis. Und die ist wiederum nicht zeremoniell, sondern allenfalls rituell (was allerdings ebenfalls nur eine religionswissenschaftliche "Außenansicht" ist) - jedenfalls nicht "priesterlich".


    Es ist wie bei jeder religiösen Praxis - religionswissenschaftliche deskriptive Termini ersetzen keine Hermeneutik (zu der ich hier ein paar Fingerzeige geben wollte). Und selbst die ist kein wirklicher Ersatz für ein genuines Verstehen, das lediglich durch tatsächliches Ausüben einer religiösen Praxis erlangt werden kann. Dieses Verstehen allerdings ist dann sprachlicher (oder schriftlicher) Mitteilung nicht mehr zugänglich - hier tritt das, was man mit Fug und Recht "Übertragung" nennen kann, an dessen Stelle.


    _()_

    Dorje Sema:

    Eventuell liegt das u.a. auch daran das "Untrennbar" und "(nicht)Verschieden" im [deutschen] Vokabular begrifflich miteinander gleichgesetzt werden :?:


    Ich würde sagen, das Problem liegt darin, dass das skrt "na pṛthak" - 'nicht getrennt von' im Sinne von 'nicht verschieden' oder 'besteht gemeinsam' - plump und platt als Identität verstanden wird. Wenn dann rupaskandha = sunyata und vedanaskandha = sunyata, folgt daraus messerscharf, dass rupaskandha = vedanaskandha - was, wie geschrieben, sinnfreier Blödsinn ist. Zumindest jedenfalls nicht das, was Avalokitesvara im Herzsutra sagt.


    In Sanskrit lautet die Stelle:
    इह शा रि पु त्र रूपं शू न्य ता शू न्य तै व रूपं रूपा न्न पृथक्शू न्य ता शू न्य ता या न पृथग्रूपं
    iha śāriputra rūpaṃ śūnyatā śūnyataiva rūpaṃ rūpān na pṛthak śūnyatā śūnyatāyā na pṛthag rūpaṃ
    Eine Identität oder Äquivalenz scheint es nun allenfalls im ersten Halbvers zu gehen - rūpaṃ śūnyatā śūnyataiva rūpaṃ, Form [ist] Leere, Leere ist Form. Wie die Beziehung zwischen Leere und skandhas – hier exemplarisch rupaskandha – genau zu verstehen ist, wird jedoch im zweiten Halbvers genauer spezifiziert - rūpān na pṛthak śūnyatā śūnyatāyā na pṛthag rūpaṃ. Das "na pṛthak" gibt übrigens auch Kumarajivas chinesische Übersetzung (der Xuanzangs Text bis auf eine kleine Hinzufügung genau folgt) ziemlich treffend wieder, nämlich mit 不異. Die Hauptbedeutung von 異 ist "verschieden[sein], ungleich, anders [werden], [ein]Anderer/s, [sich] unterscheiden", 不 steht als Verneinung davor. Exakt wäre hier die deutsche Übersetzung mit "nicht verschieden", was zumindest sehr nahe am "nicht getrennt" (das für na pṛthak mE um Nuancen adäquater wäre) ist. Deutsch wäre evt. noch "nicht geschieden" möglich. Jedenfalls - "nicht getrennt von", "nicht geschieden von", nicht verschieden von" ist alles etwas Anderes als "ist dasselbe wie" ...


    _()_

    Bakram:


    "JU SO GYO SHIKI YAKU BU NYO ZE" mit "und Form sind auch die Empfindung, das Denken, der Wille und das Bewusstsein" zu übersetzen ist sinnfreier Blödsinn; dem Übersetzer fehlen offensichtlich selbst rudimentäre Grundkenntnisse sinojapanischer buddhistischer Terminologie. Unmittelbar vorher wird die Beziehung zwischen sunyata (空, ku, Leerheit) und rupaskandha (色, 'shiki', Form) erklärt, darauf folgt natürlich die Aussage, dass das Gleiche (如是, 'nyo ze' - also die gleiche Beziehung) ebenfalls (亦復, 'yaku bu') für vedanaskandha (受, ju, Empfindung), samjnaskandha (想, 'so', Wahrnehmung), samskaraskandha (行, 'gyo', Wollen) und vijnanaskandha (識, 'shiki', unterscheidendes Denken) gilt.


    "Und Leere sind auch die Empfindung, das Denken, der Wille und das Bewusstsein" wäre ja zur Not noch angegangen, auch wenn das da gar nicht steht. Den rupaskandha jedoch mit den anderen skandhas gleichzusetzen ist schlicht gaga.


    Zusätzlich eine Anmerkung - das Herzsutra ist ein extremes Kondensat des Mahaprajnaparamitasutra. Als Einstieg in mahayanisches Denken völlig ungeeignet; da sollte man sich besser vorher ein wenig mit einem ausführlicheren Text beschäftigen, z.B. dem Astasahasrika Prajnaparamita Sutra und am besten auch mit Nagarjuna. Sonst versteht man nämlich nur Bahnhof wie der oben zitierte Übersetzer. Wenn schon gleich das Herzsutra als Einstieg, dann wenigstens eine gute kommentierte Übersetzung - z.B. die von Edward Conze.


    _()_

    Benkei:

    Da die Frage nun hier im "tibetischen Forum" eingestellt wurde wollte ich noch die folgenden Posts ergänzen:


    Tibetische Teilübersetzung von "Zen-Splitter"


    Zur Klarstellung: es handelt sich nicht um eine "tibetische Teilübersetzung" des Herzsutra, sondern um die Übersetzung eines Abschnitts des Mahaprajnaparamitasutra aus dem Sanskrit - und zwar des Abschnittes, der später zur Vorlage des Herzsutra wurde.


    Auf Zensplitter findet sich außerdem eine Interlinearübersetzung der chinesischen Übersetzung Xuanzangs - die Fassung, die im ostasiatischen Buddhismus am häufigsten als Rezitationstext verwendet wird. Außerdem eine Übersetzung der längeren Version des Herzsutra, die wiederum auf dem Sanskrittext basiert: http://www.zensplitter.de/Herzsutra.pdf


    _()_

    Brücke:

    ich kenne die koreanische Zen-Tradition nicht, aber einfach so sich eine Kesa/ein Rakusu zu nähen und sich das dann umhängen, geht wohl eher nicht.


    Natürlich nicht. Jemand, der ein ojo-gasa (Rakusu) trägt, ist zumindest Novize. Jemand, der ein kasa trägt, ist ordiniert. Ist das kasa dunkelbraun, ein zölibatär lebender Ordinierter, wenn es rot ist, ein Tae'go. Auch im Son empfängt man das kasa als Teil der Ordination, und zwar von jemandem, der befähigt und berechtigt ist, Ordination zu geben - in öffentlicher Zeremonie. Alles andere ist Kostümball oder schlicht Betrug.


    _()_

    Onyx9:

    Kann ich das denn nun machen, einfach so, wegen der Lehre, als einfache Respektbezeugung,
    als einfaches Zugehörigkeitssymbol zur Linie ?


    Kannst Du als Katholik eine Soutane tragen? Einfach so, wegen der Lehre, als einfache Respektbezeugung, als einfaches Zugehörigkeitssymbol?


    Natürlich kannst Du, wenn Du das für eine angemessene "Respektsbezeigung" hältst. Wobei Deine Mitkatholiken da anderer Ansicht sein und Dich als Hochstapler einschätzen dürften. Gewöhnlich nennt man so etwas eine Verkleidung - beschränke das besser auf den Karneval.


    _()_

    Kleidung ist immer ein Stück weit Ausdruck eines sozialen Status. Das war schon zu Zeiten Buddha Shakyamunis nicht anders und ganz offensichtlich auch von ihm ausdrücklich so gewollt, als er für den Sangha eine 'Kleiderodnung' verpflichtend machte. Das Tragen eines O'Kesa in einer der im Soto-Zen üblichen Formen zeigt als Status an, dass der Träger shukke tokudo empfangen hat - oder anders gesagt: die sechzehn Gelübde in der durch Dogen Zenji eingerichteten Form. Nicht mehr und nicht weniger.


    Ob das "Identität und eine Stütze" schafft ... Ich schätze mal, wenn das der Fall ist (und solche Fälle gibt es gewiss), wurde der Sinn von shukke tokudo nicht verstanden und in sein Gegenteil verkehrt. shukke ist "Hauslosigkeit" und die wiederum ganz wesentlich Freiheit von "Identität und Stütze". Mit dem O'Kesa selbst haben solche Missverständnisse oder Missbräuche allerdings nichts zu tun, sondern mit dem Transformationsprozess (bzw. dessen Unvollständigkeit), von dem ich geschrieben hatte. Manche werden "Identität und Stütze" erst in einem längeren Prozess los und vielleicht unterstützt sie das O'Kesa dabei. Manche werden sie nie los - vielleicht, weil sie es gar nicht wollen. Wie auch immer - all das ist völlig ohne Belang. Von Belang ist nur, was das O'Kesa mit dir macht, nicht, was es aus dir (in deinen und in den Augen Anderer) macht.


    Ansonsten kann man den Umgang mit dem O'Kesa in der Soto-Zentradition und insbesondere in der Fukudenkai-Praxis natürlich unter religionswissenschaftlichen Kategorien betrachten und anhand diverser Merkmale als elaborierten Fetischismus charakteriseren. Genauso, wie man aus dieser Sichtweise heraus Zazen zwangsläufig als Ritual begreift. Man sollte sich nicht täuschen und Fetischismus als 'primitive' Form religiöser Praxis abtun - fetischistische Elemente haben auch in den Hochreligionen ihren Platz; man denke an die christliche Reliquienverehrung oder den Steinkult der Muslime. Man sollte sich auch über den Stellenwert von Riten in authentischer buddhistischer Praxis nicht täuschen - das beginnt schon damit, auf einem speziellen Kissen zu sitzen oder zu bestimmten Anlässen ein Räucherstäbchen anzuzünden usw. usf.


    Ob religionswissenschaftliche rein deskriptive Ansätze ein tatsächliches Verständnis der religiösen Praxis vermitteln können, bezweifle ich. Es fehlt die entscheidende Dimension der unmittelbaren Erfahrung - die Funktion des upaya lässt sich beschreibend nicht erfassen.


    _()_

    bel:

    wie immer staun ich, wie Du an die ganzen Quellen rankommst.


    Halb so wild. Meine Quelle ist im Wesentlichen eine Studie zu dem Thema, veröffentlicht im Japanese Journal of Religious Studies 31/2 S. 311–356. Ich habe die mal übersetzt (ohne das Copyright zu haben) und stelle die Übersetzung Leuten, die ein O'Kesa nähen, auf Wunsch zum privaten Gebrauch zur Verfügung. Einfach, um zusätzlich zum begleitenden Studium der Dogen-Texte auch ein wenig historisches Hintergrundwissen zu vermitteln.

    Zitat

    1. zunächst ging es um die Rekunstruktion des authentischen Kesas


    Richtig - solche 'technischen' Fragen (auch Nähtechniken usw.), Analyse historischer Entwicklungen durch Untersuchung historischer Kesas etc waren vor allem das Anliegen des Shingon-Priesters Jiun Onko im 18. Jahrhundert (wobei aber auch da schon praktisch genäht wurde). Das war die Basis, auf der Sawaki aufsetzte und dann eine ganz spezielle Soto-Sicht des O'Kesa (genauer: die von Dogen in 'Den'e' und 'Kesa kudoku' entwickelte Doktrin 'eho ichinyo' - Einheit von Lehre und Gewand Buddhas) in eine sprituelle Praxis umsetzte bzw. diese erneuerte (oder neu erfand <hüstel> ).

    Zitat

    2. das Nähen ist ein Akt des Gebens - nicht nur in sich selbst - sondern tatsächlich als Dana-Praxis. Auch mein Rakusu ist handgemacht, nicht aus ner kommerziellen Schneiderei und ich habe es - wie die Gelöbnisse in vollem Umfang empfangen. Auch das macht für mich seine Kostbarkeit aus und daran erinnere ich mich nicht zuletzt immer beim morgendliche Takkesage.


    Natürlich lässt sich das Nähen nicht von der dana-Praxis trennen, auch wenn es sehr schwierig ist, diese Praxis im Sinne des Diamantsutra hier zu üben (also ohne Anhaftung an Form und Eigenschaften, Abschnitt IV). Schließlich ist jedes O'Kesa eine Maßanfertigung und genauestens auf den vorhergesehenen Träger abgestimmt. Aber gerade das gehört mit zu den Herausforderungen dieser Praxis. Natürlich ist es so, dass auch, wenn der Nähende später das O'Kesa selbst tragen wird, er es nicht für sich sondern für seinen Lehrer näht, von dem er es dann empfängt (oder auch nicht :oops: ). Auf diesen ganz wesentlichen Punkt hat Pali ja schon hingewiesen.


    Dana-paramita ist aber nur EIN Aspekt. Zentral ist, dass - so wie Zazen Buddhas Sitzen ist - das O'Kesa Buddhas Gewand ist (nicht 'symbolisiert'). Das Nähen und das Tragen dieses unbegrenzten "Gewandes der Befreiung" (gedap-puku) ist Teil der Aktualisierung / rituellen Inszenierung von Buddhas Erwachen. Das ist natürlich sehr spezifisch Dogen-Zen (Einheit von Übung und Erwachen) und schon z.B. auf Rinzai nicht übertragbar ... Insofern nicht verwunderlich, wenn das da - wie Ji'un Ken schreibt - ganz anders abläuft.


    Dass die Nähübung allgemein und insbesondere das eigenhändige Nähen des Gewandes, das man bei der Ordination erhält, im Westen einen deutlich höheren Stellenwert als in Japan hat, ist in gewisser Hinsicht verständlich und nachvollziehbar. Die intensive (und idR durch den Lehrer forcierte) Auseinandersetzung mit dem Gewand bereitet auf Rolle und Aufgabe des Ordinierten vor; sie füllt damit gewissermaßen ein (im Vergleich zu Japan) im Westen bestehendes Defizit in Bezug auf die vorbereitende Ausbildung. Auf qualitativ andere, aber durchaus nicht minderwertige Weise; an Stelle eher formaler Ausbildung (die natürlich nicht vollständig in den Hintergrund tritt, aber im Westen auch weniger notwendig ist) wird hier eine geistige Transformation angestoßen. So soll es jedenfalls sein. DAZU bedarf es unter anderem in der Tat auch 'Mut', wie man Onyx9 gesagt hat - besser: viriya-paramita.


    Dieser Transformationsprozess (nicht das bloße handwerkliche Nähen) ist das Entscheidende und deswegen wird er von manchen Lehrern im Westen zur Vorbedingung einer Ordination gemacht. Ich habe zu Beginn des desjährigen Rohatsu-Sesshin ein gekauftes O'Kesa und die Erlaubnis, es zu tragen empfangen. Aber auch nur, weil ich bereits ein eigenhändig genähtes O'Kesa empfangen habe und weil andere Verpflichtungen mir derzeit leider zu wenig Zeit für die Nähpraxis lassen.

    Zitat

    3. Aus einsehbaren Gründen gibt es in der Soto-Shu (wie auch im Jogye) Kleidervorschriften, die sich mit Selbstnähen wohl nicht erfüllen lassen.


    Das sehe ich ein wenig anders. Vom spirituellen Aspekt einmal ganz abgesehen, ist ein nach Fukudenkai-Tradition genähtes O'Kesa formal ANDERS als ein professionell von Gewandherstellern nach den Spezifikationen der Sotoshu Shumucho in Tokyo gefertigtes - entspricht also anderen "Kleidervorschriften". Es ist nach anderen Spezifikationen gefertigt - das Verständnis von Authentizität ist da unterschiedlich (hier spielt auch wieder der Aspekt 'Rekonstruktion' eine Rolle). Ansonsten ist die Anfertigung nicht weniger aufwendig, nicht unkomplizierter - allenfalls die Ausführung weniger professionell (z.B. Gleichmäßigkeit der Stiche) und natürlich auch in aller Regel viel zeitaufwendiger.


    Auch die offiziellen Sotoshu-Spezifikationen könnten theoretisch durch Selbstnähen erfüllt werden - das will oder kann aber einerseits die Shumucho Nichtprofessionellen nicht zugestehen (und wohl auch nicht allen ihren Novizen zumuten), andererseits wäre das auch nicht im Sinne der Fukudenkai-Praxis. Das ist an sich auch typisch für solche Vorgänge in großen Organisationen - da hat man etwa 8 Jahrzehnte zwischen Vertretern der beiden Haupttempel komplizierte Verhandlungen um einen einheitlichen Kleidungsstandard geführt und die Ergebnisse mehrfach revidiert - und dann kommt da eine Basisbewegung und setzt ganz unbekümmert einen eigenen Standard. Dass man da seitens der Hierarchie nicht begeistert ist, ist ja nachvollziehbar ...

    Zitat

    In Antaiji, Stammkloster Sawakis, war nach meinem Wissen das (für-sich-)Selbstnähen nie eine für die Ordination obligate Voraussetzung - falls es das war, würde es mich wundern, wieso dann daran nicht festgehalten wurde, denn andere Dinge sind da ja auch ziemlich speziell.


    Ja, so radikal war Sawaki nicht - das Selbstnähen war für ihn eine Option, eine Erweiterung der Praxis. Obligat wurde es dann erst in westlichen Linien - nach meinem Verständnis aus den oben angedeuteten Gründen.


    Zitat

    Überhaupt ist es so, daß fast jede Linie, jedes Kloster seine Eigenheiten entwickelt


    Ja sicher - auf youtube gibt es irgendwo ein Video, wo Brad Warner seinen Lehrer Nishijima Roshi vorführen lässt, wie man ein O'Kesa anlegt. Wird bei uns nicht nur anders angelegt, sondern auch etwas anders getragen ...


    _()_

    Die meisten kennen diesen Spruch wohl allenfalls aus Mumons Kommentar zum Koan 'Mu' (1. Präzedenzfall des Mumonkan): "Triffst du den Buddha, wirst du ihn töten. Begegnest du einem Patriarchen, wirst du ihn töten."


    Natürlich zitiert Mumon hier Rinzai, und wenn man Mumons Kommentar verstehen will, sollte man die zitierte Stelle im Zusammenhang kennen. Dann beantworten sich viele Fragen von selbst und man kann sich einiges an überflüssigen Spekulationen sparen. Ich zitiere hier Rinzai Roku Abschnitt 20 und 21:



    _()_

    bel:

    Das Selber-Nähen ist eher ne Sache, die japanische Lehrer in Amerika und Europa erst eingeführt haben.


    Mit Verlaub - das stimmt so nicht *ganz*. Richtig ist, dass es sich nicht um eine alteingeführte Praxis handelt, sondern um eine im 20. Jahrhundert wiederbelebte. Die entscheidenden Leute waren da Hashimoto Eko und insbesondere Sawaki Kodo, wobei Sawakis Lehrer Oka Sotan eine wichtige Rolle spielte, da er Sawaki mit Mokushitos Ryoyos 'Hobuku kakusho' (Der korrekte Standard für buddhistische Kleidung, 1821) und Soko Raizens 'Fukuden taisui' (Tiefe Bedeutung des Feldes des Verdienstes, 1825) bekannt machte. Beides Studien über Dogens Shobogenzo-Kapitel 'Kesa kudoku' und 'Den'e' unter Beiziehung von Zitaten aus klassischen Texten (Sutren, Vinaya-Texte, Shastras ...). Natürlich spielte als Vorläufer auch Menzans Zuihos Schrift 'Shakushi hoe kun' (Bestimmungen über Shakyamunis Gewand der Lehre, 1768) eine Rolle. Der vielleicht wichtigste Impuls kam allerdings aus der Shingon-shu - von Jiun Onko (1718-1804). Im Shingon entwickelte sich die Praxis des Nähens von Laien noch deutlich früher als im Soto.


    Zunächst ging es weniger um das eigenhändige Nähen als um die Rekonstruktion des authentischen Gewandes Buddhas. Daneben existierte (und existiert noch) die offizielle Kleidervorschrift der Sotoshu - es sind exakte Vorgaben für spezialisierte Schneider, die nach diesen zu arbeiten haben und die bis Mitte des 20. Jahrhunderts auch öfters geändert wurden. Hintergrund dieser Unbeständigkeit waren unterschiedliche Auffassungen zwischen Sojiji und Eiheiji, wie eine standardisierte Priesterkleidung auszusehen habe.


    Eine entscheidende Entwicklung leiteten Sawakis Shobogenzo-Vorträge am Nonnenkloster in Nagoya ein - die Nonnen begannen, durch die Vorlesungen über Kesa kudoku und Den'e inspiriert, ihre eigenen (vom offiziellen Soto-Standard abweichenden) Ordinationsgewänder zu nähen. Sawaki legte schon damals großes Gewicht auf das Erfordernis, das Gewand müsse "mit einem vertrauensvollen Geist" gefertigt werden - was nicht notwendig heisst, der zu Ordinierende müsse selbst nähen, aber doch kommerzielle Schneider ausschließt.


    Aus diesen Anfängen entwickelten sich in Japan die sog. Fukudenkai - Gruppen von (meist weiblichen) Laien sowie Priestern und Novizen, die sich dem Nähen als spiritueller Praxis widmen. Insbesondere die Laien nähen nicht notwendig für sich selbst, sondern häufig als Dana-Praxis (oft auch für männliche Verwandte). Parallel dazu übrigens auch in der Shingonshu, wobei z.T. Leute der unterschiedlichen Traditionen gemeinsam in Fukudenkais nähen. Vor allem in den 60er Jahren verbreitete sich diese Bewegung. Diese Entwicklung wurde von der Hierarchie der Sotoshu mit großer Zurückhaltung um nicht zu sagen Misstrauen aufgenommen. Mittlerweile hat sich ein Kompromiss etabliert; die selbstgenähten Gewänder (bzw. die in Fukudenkai-Gruppen genähten und an den Träger verschenkten Gewänder) sind grundsätzlich auch 'offiziell' als Priestergewänder anerkannt. In den Haupttempeln Sojiji und Eiheiji besteht die Sotoshu nach meiner Kenntnis allerdings nach wie vor darauf, dass ausschließlich professionell gefertigte Gewänder getragen werden. Was wiederum bedeutet, dass man für eine Anerkennung der Dharmaübertragung (denpo) durch die japanische Sotoshu sich zwangsläufig ein entsprechendes Outfit (für grob mindestens 2.000 €) kaufen muss - da zu diesem Zweck in beiden Tempeln die zuise-Zeremonie durchgeführt werden muss.


    Im Westen ist mittlerweile das Selbstnähen sehr viel weiter verbreitet als in Japan - wohl zum Teil auch, weil viele Linien organisatorisch nicht mit der Sotoshu verbunden sind, also auf die Registrierung ihrer Ordinierten bei der Sotoshu Shumucho und auf die zuise in den Haupttempeln verzichten. Da ist es nicht erforderlich, viel Geld für 'professionelle' Roben auszugeben - wer andererseits ohnehin das Geld hinlegen muss, fragt sich vielleicht, ob er sich die nicht unerhebliche Arbeit des Selbstnähens tatsächlich antun soll. Ein Verständnis für den spirituellen Aspekt des Nähens entwickelt sich ja erst im Laufe der Praxis selbst ...


    Deshimaru Taisen berief sich zweifellos auf seinen Lehrer Sawaki, ansonsten kann ich zu dieser Linie wenig sagen, außer dass die Praxis des Nähens in den auf Deshimaru zurückgehenden Linien wohl hauptsächlich durch Sawakis Mitarbeiter Kyoma Echu vermittelt wurde (durch 'Kurse' in Deutschland und Frankreich). Am San Francisco Zen Center, von wo die Linien Suzuki Shunryus, Katagiri Dainins und Otogawa Kobun Chinos ausgingen, wurde die Tradition des eigenhändigen Nähens auf Vorschlag Katagiris eingeführt und dort in den 70er und 80er Jahren durch Sawakis Schülerin Kaisai Joshin gelehrt. Von ihr und ihrer Schülerin Katagiri Tomoe (Katagiri Dainins Frau) leitet sich die Nähtradition dieser Linien her.


    _()_